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Schweinegrippe: Impfstoff für Deutschland kommt aus Dresden

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GlaxoSmithKline stellt den Impfstoff gegen die H1N1-Grippe in Hühnereiern her.

30.07.2009  - 

Anfang Oktober beginnt in Deutschland voraussichtlich die größte Impfaktion der Bevölkerung seit fast 50 Jahren. Bei der freiwilligen Massenimpfung gegen den H1N1-Virus, der die sogenannte Schweinegrippe auslöst, sollen in Deutschland zunächst bis zu 25 Millionen Menschen geimpft werden. Die dazu notwendigen 50 Millionen Impfdosen sind jetzt von den Bundesländern gemeinsam bestellt worden, und zwar beim britischen Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline (GSK). Deutschland gehört zu den ersten Ländern weltweit, die beliefert werden. Die ersten Chargen des Impfstoffs, der in einem Werk in Dresden produziert wird, werden Ende September erwartet.

 "Die Bundesländer halten sich an die Vorgaben der WHO", sagt Thomas Schulz, Pressesprecher im thüringischen Gesundheitsministerium.  Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlichte am 13. Juli eine Empfehlung, nach der zunächst dreißig Prozent der Bevölkerung gegen die H1N1-Grippe geimpft werden sollten. In Deutschland entspricht das 25 Millionen Menschen. Da erst nach einem zweiten Impfdurchgang ein vollständiger Schutz gewährleistet ist, haben die Bundesländer nun 50 Millionen Impfdosen bestellt.

Nur Nationalstaaten können den Impfstoff bestellen

Die Bestellung hat das Gesundheitsministerium in Thüringen stellvertretend für alle Bundesländer vorgenommen, da es in diesem Jahr die Gesundheitsministerkonferenz als Vorsitz leitet. Die zentrale Bestellung war notwendig, weil die übliche Vorgehensweise bei der H1N1-Grippe außer Kraft gesetzt ist.  "Aufgrund der eingeschränkten Verfügbarkeit des Impfstoffs nehmen die Impfstoffhersteller nur Bestellungen von Ländern entgegen", sagt Schulz, der hinzufügt, dass die Rolle als Medikamenteneinkäufer am Weltmarkt für die beteiligten Gesundheitsminister ein wenig "ungewöhnlich" gewesen sei. Eigentlich sorgen die Apotheken zusammen mit den Krankenkassen für den Einkauf von Arzneimitteln.

Das Impfstoffwerk von GlaxoSmithKline in Dresden. Hier werden die 50 Millionen Impfstoff-Dosen gegen das H1N1-Virus hergestellt, die von den Bundesländern geordert wurden. Lightbox-Link
Das Impfstoffwerk von GlaxoSmithKline in Dresden. Hier werden die 50 Millionen Impfstpff-Dosen gegen das H1N1-Virus hergestellt, die von den Bundesländern geordert wurden. Quelle: Wikimedia

Das H1N1-Virus zwang die Gesundheitsminister nicht nur dazu, neue Rollen einzunehmen. Die Politiker mussten auch schneller als gewohnt handeln. „Es besteht kein Anlass für besondere Eile“, hatte Thomas Schulz noch am Tag nach der WHO-Empfehlung am 14. Juli verlauten lassen. Vor einer etwaigen Bestellung wolle man noch die Bundesverordnung zur Finanzierung und die Empfehlungen aus den Fachabteilungen der Ministerien abwarten.

Deutschland wird als eines der ersten Länder beliefert

Jetzt ging alles ganz schnell. Ohne Verordnung, ohne Empfehlungen. Am 24. Juli hat Thüringen stellvertretend für alle Bundesländer 50 Millionen Impfdosen bestellt. Die Order ging noch am Freitag raus. Damit sicherte sich die Bundesrepublik einen der vordersten Plätze in der Lieferliste. "Das ist wie beim Quelle-Katalog, da zählt die Kalenderwoche", erläutert Schulz. Nun sei Deutschland eines der ersten Länder weltweit, an die H1N1-Impfstoff geliefert wird. Die ersten Chargen werden Ende September erwartet, obwohl inzwischen auch erste Stimmen laut werden, dass dieser Zeitrahmen kaum zu schaffen sei.

"Dabei gibt es eine Option, bei Bedarf noch nachzubestellen", sagt Schulz. Falls weniger als die kalkulierten 25 Millionen Menschen sich impfen lassen, würde der verbleibende Impfstoff an Staaten abgegeben, die weniger finanzielle Mittel zum Impfstoffkauf haben. In Deutschland werden die Impfdosen an die einzelnen Bundesländer in Verhältnis ihrer Bevölkerung verteilt. So erhält Berlin etwa 4,12 Prozent der Bestellung, Nordrhein-Westfalen 20 Prozent.

Andere Länder zeigen weniger Zurückhaltung. Die USA planen nach Medienberichte, bis zu 160 Millionen Bürger zu impfen, mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Frankreich hat angekündigt, Impfstoff für 50 Millionen Bürger zu bestellen. Das wäre nahezu jeder Franzose. Der Auftrag für die 50 Millionen deutschen Impfdosen ging an GlaxoSmithKline Biologicals Dresden, eine hunderprozentige Tochter des britischen Pharmakonzerns GlaxoSmithKline (GSK). Grund für den Zuschlag sei die kurze Lieferfrist gewesn, heißt es aus dem thüringischen Gesundheitsministerium. "Ja, am vergangenen Freitag ging eine Order über 50 Millionen Impfdosen ein", bestätigt GSK-Sprecherin Daria Munsel gegenüber biotechnologie.de.
Zusätzlich haben sich die Bundesländer Optionen auf weitere Lieferungen gesichert. Bei GSK für nocheinmal 32 Millionen Impfdosen, bei Novartis-Behring in Marburg für 82 Millionen. Insgesamt sind das zwei Mal 82 Millionen Impfdosen. Würden alle Optionen ausgeschöpft, könnten somit im Extremfall alle Bundesbürger geimpft werden. Das allerdings sei nicht  zu erwarten, sagt Ulrich Grünhagel, Sprecher des thüringischen Gesundheitsministeriums.
In Dresden werden seit 1911 Impfstoffe hergestellt. Die 2008 von GSK übernommene Produktionsanlage war vormals als Sächsisches Serumwerk Dresden bekannt. Seit zwei Jahren werden von Dresden aus der europäische und Teile des asiatischen Markts mit GSK-Impfstoffen versorgt. Den amerikanischen Markt beliefert ein Werk in Kanada.

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GlaxoSmithKline stellt die Impfdosen am Standort Dresden her
Die laufende Bestellung wird noch vollständig mit der traditionellen Methode in Hühnereiern produziert.  "Es gibt Überlegungen, den saisonalen Grippeimpfstoff demnächst in Zellkulturen zu produzieren", sagt Munsel. Aber das sei noch Zukunftsmusik (mehr zu den neuartigen Methoden der Impfstoffherstellung: in unserem Dossier).

Der Standort Dresden war einer der Gründe, warum sich Deutschland für GSK entschieden hat. Nicht nur zur Sicherung deutscher Arbeitsplätze, es spielte auch logistische Gründe eine Rolle. "In einem möglichen Katastrophenfall ist die Nähe von Vorteil", betont Schulz. Wieviel die Impfung kosten wird, ist bislang noch unklar. Das Bundesgesundheitsministerium geht bei einer Impfung von 25 Millionen Menschen von 550 Millionen Euro aus.

Krankenkassen wehren sich gegen teure Impfkosten

Bezahlen sollen das die Krankenkassen. Das steht jedenfalls in einem ersten Entwurf der Bundesverordnung, die am 12. August von der Bundesregierung verabschiedet werden soll. Für die gesetzliche Krankenversicherung gehöre das Impfen der Bevölkerung schließlich zu den Pflichtaufgaben, argumentiert das Bundesgesundheitsministerium. Und: Die privaten Krankenversicherungen hätten bereits im Frühjahr ihre Zusage gegeben, sich an den Kosten zu beteiligen.

Gegen diese Vorgehensweise protestieren nun allerdings die Krankenkassen. Sie befürchten, auf einem Großteil der Kosten sitzen zu bleiben und verlangen von Bund und Ländern, sich an der Finanzierung zu beteiligen - beispielsweise mit einem Zuschuss aus Steuergeldern. Eine Summe von mehreren hundert Millionen Euro bringe die Kalkulation der Kassen „ins Rutschen“, heißt es. „Dadurch entsteht das Risiko für die Krankenkassen, Zusatzbeiträge erheben zu müssen“, warnte eine Sprecherin des Verbandes der Ersatzkassen. Außerdem müsse die Beteiligung der privaten Krankenkassen eindeutig festgezurrt werden. "Wenn man die Bevölkerung vor einer Pandemie schützen will, muss man alle mit ins Boot holen", sagte die Sprecherin der Techniker Krankenkasse, Dorothee Meusch. Auch die Innungskrankenkassen lehnen eine alleinige Kostenübernahme für die Impfung ab. „Wir werden vor vollendete Tatsachen gestellt: Bund und Länder dürfen bei der Finanzierung nicht außen vor bleiben", erklärte Uwe Schröder, Vorstand der IKK gesund plus.

Im Netz entdeckt

Inzwischen werden erste Kritiker laut, die befürchten, dass sich die Lieferung der Impfstoff-Dosen bis November verzögern wird.

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Gestaffelte Impfung für Risikogruppen

Die Politik kümmert das nicht. "Die Kassen tragen die Kosten für die Impfungen", heißt es aus dem Gesundheitsministerium, räumt aber zugleich ein: Würden sich weit mehr als die anvisierten dreißig Prozent der Bevölkerung impfen lassen wollen, könnten die Kosten um mehrere hundert Millionen Euro ansteigen. Dennoch sei eine Impfung wesentlich kostengünstiger, als eine spätere Behandlung.

Grundsätzlich kann sich jeder Deutsche gegen die H1N1-Grippe impfen lassen.  Allerdings sieht das Impfschema der WHO, nach dem sich die Gesundheitsminister in ihrer Verordnung am 12. August richten wollen, eine gestaffelte Impfung vor. Zunächst einmal haben jene Menschen Vorrang, die in sensiblen Bereichen arbeiten: zum Beispiel im Gesundheitswesen, bei Feuerwehren, Polizei und Rettungsdiensten. Aber auch besonders gefährdete Personengruppen wie chronisch Kranke oder auch Schwangere sollen als erstes die Möglichkeit zu einer Impfung haben. Erst wenn diese Risikogruppen versorgt sind, können sich die restlichen zwei Drittel der Bevölkerung impfen lassen.

Allerdings wird niemand zur Impfung gezwungen. Deshalb könnten auch weniger als dreißig Prozent die Impfung überhaupt wollen, sagen Experten. "Die saisonale Grippeimpfung nutzen im Durchschnitt nur 22 Prozent der Bevölkerung", sagt Schulz. Noch wisse zudem niemand, wie groß die Impfbereitschaft bei der H1N1-Grippe überhaupt sein werde. Die Option zum Nachbestellen stelle aber sicher, dass jeder, der eine Impfung wünscht, auch eine bekommt. Für manche allerdings könnte sich eine Wartezeit von 3-5Wochen ergeben, so Schulz.

Impfstart Anfang Oktober geplant

Falls alles nach Plan verläuft, kann Anfang Oktober mit den ersten Impfungen begonnen werden. Zuvor muss allerdings die Europäische Zulassungsbehörde EMEA den neuen Impfstoff in einem beschleunigten Verfahren noch auf seine Verträglichkeit hin überprüfen und zulassen. Derzeit lassen die verschiedenen Pharmaunternehmen ihre Impfstoffkandidaten europaweit an 15 Standorten testen - darunter in Würzburg, Hamburg, Rostock, München und Mainz. "Dass der Impfstoff wirkt, daran besteht überhaupt kein Zweifel", erläutert Tino Schulz, Mikrobiologe an der Universität, der an den Testungen beteiligt ist.  Doch müsse herausgefunden werden, welche Dosis schütze. Er geht davon aus, dass flächendeckende Impfungen erst im November möglich sein werden. Weltweit arbeiten sechs Unternehmen an einem H1N1-Impfstoff. In Deutschland gibt es mit Novartis-Behring in Marburg noch einen zweiten Hersteller. Ansonsten sind Sanofi-Pasteur aus Frankreich, Baxter aus den USA, Sinovac aus China und  CSL Limited aus Australien im Rennen.

Wie die Dosen am Ende  verteilt werden, regeln die einzelnen Bundesländer in Absprache mit Apotheken, Krankenkassen, niedergelassenen Ärzten und Kliniken. Bei 25 Millionen Personen sei das vor allem eine logistische Herausforderung, so Experten. Derweil nimmt die Zahl der Infektionen mit dem H1N1-Virus in Deutschland rasant zu. Sie liegt im Augenblick bei mehr als 5000, die Mehrheit der Neuinfektionen ereignen sich bei Urlaubsreisenden. Allerdings ist in Deutschland noch niemand an der durch das Virus ausgelösten Erkrankung gestorben. Ganz im Gegenteil zur üblichen schweren Grippe, der in jeder Saison Tausende von Deutschen zum Opfer fallen. In ganz Europa werden derzeit rund 17.000 Infizierte gemeldet, in einigen Ländern  gab es auch bereits Todesfälle. Neben Großbritannien, Ungarn, Spanien ist jetzt auch ein Fall in Belgien gemeldet worden. Unklar ist noch, wie sich das Zusammentreffen von Schweinegrippe und saisonaler Grippe im Winter auswirken wird. Aus diesem Grund muss die Impfung möglichst im Herbst erfolgen. Im Januar ist es für eine Impfung fast schon zu spät.

 

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