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Epigenetische Unterschiede: Nachtschwärmer sehen anders

Münchner Forscher haben die Lichtbrechung von tag- und nachtaktiven Tieren auf der Netzhaut untersucht. Die Stäbchenzellen der nachtaktiven Tiere (dunkel) bündeln das Licht wie eine Sammellinse. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Münchner Forscher haben die Lichtbrechung von tag- und nachtaktiven Tieren auf der Netzhaut untersucht. Die Stäbchenzellen der nachtaktiven Tiere (dunkel) bündeln das Licht wie eine Sammellinse. Quelle: Joffe/LMU München/Cell

15.05.2009  - 

Nachtschwärmer sehen anders. Und das spiegelt sich auch auf genetischer Ebene wider. Ein internationales Forscherteam um Boris Joffe von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München hat gemeinsam mit Kollegen aus Frankfurt und Cambridge entdeckt, dass das Erbgut in den Sehzellen von Fledermaus und Co. anders angeordnet ist als das aller anderen Lebewesen. Dies berichten die Forscher im Fachmagazin  Cell (2009, Vol 137, Ausgabe 2, Seiten 356-368).

Jeder genetische Code ist einzigartig - und trotzdem gibt es Gemeinsamkeiten. Quasi universell ist bei allen höheren Lebensformen weltweit die Organisation des Erbgutes im Zellkern der Zellen. Damit das etwa zwei Meter lange DNA-Molekül in den nur wenige Mikrometer großen Zellkern passt, sind die Moleküle des Erbmaterials mit Proteinen als so genanntes Chromatin verpackt. Dabei befinden sich die Teile des Genoms, die benötigt werden (Euchromatin) weniger eng verpackt im aktiveren Zentrum des Zellkerns. Die gerade nicht benötigten Informationen (Heterochromatin) sind dichter gepackt und an der Kernperipherie gelagert. So jedenfalls haben sich die Zellkerne bei fast allen höheren Lebensformen in den letzten 500 Millionen Jahren entwickelt.

Hintergrund
Die Architektur des Erbguts im Zellkern hat einen Einfluss auf die Aktivität der Gene und ist Teil von epigenetischen Mechanismen, die nicht nur beim Sehen eine Rolle spielen. Auf der Webseite der LMU München finden Sie nähere Informationen zu diesem Forschungsfeld.

Mehr Informationen: hier klicken 

Bei allen? Nicht ganz. Denn die  Sehzellen nachtaktiver Säugetiere weisen offenbar eine andere Organisation auf. Ein internationales Team aus Forschern um Boris Joffe und Thomas Cremer an der LMU München, Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt und vom Cavendish Laboratory in Cambridge hat herausgefunden, dass sich das Nachtleben dieser Säugetiere evolutionär betrachtet dauerhaft auf die Zellkerne in den Stäbchen-Zellen ausgewirkt hat. Bei ihnen ist die Anordnung aktiver und inaktiver DNA genau umgekehrt: Das dicht gepackte Heterochromatin befindet sich im Kernzentrum, während das Euchromatin an den Kernrändern gelagert ist. Das berichtet das Team in der Fachzeitschrift Cell (2009, Vol 137, Ausgabe 2, Seiten 356-368).

Besonders scharfe Augen

Alle Säugetiere besitzen zwei Grundtypen von Photorezeptoren. Die Zapfen vermitteln das Sehen bei Tageslicht und das Farbensehen, die Stäbchen vermitteln das (unbunte) Sehen bei Dämmerung oder Nacht. Die Stäbchen-Photorezeptoren sind also die Sehzellen, die für das Nachtsehen zuständig sind. Sie befinden sich auf der Netzhaut aller Säugetiere. Dabei weisen nachtaktive Säuger besonders viele Stäbchen auf.  Und offenbar begünstigt die andere Anordnung des Erbmaterials in den Zellkernen die Funktion dieser Sehzellen. "Die Zellkerne der nachtaktiven Säuger fungieren in dieser speziellen Anordnung als Sammellinsen, die das eintreffende Licht bündeln", erklärt Boris Joffe vom Biozentrum der LMU München.

"Computersimulationen zeigen, dass mehrere solcher Zellkerne übereinander das Licht sehr effektiv zu den lichtempfindlichen Außensegmenten der Stäbchen lenken. Die veränderte Organisation der Stäbchen-Zellkerne verbessert also das nächtliche Sehen der Tiere", so der Forscher. Außerdem liefere die Entdeckung neue Erkenntnisse zur Evolution der Netzhaut bei Säugetieren und zum Verständnis der räumlichen Organisation des Zellkerns.

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Sammellinse für trübes Licht

Betrachtet man die Biologie des Sehens, liegt die Erklärung auf der Hand: Das Licht durchdringt erst die Netzhaut, bevor es auf die lichtempfindlichen äußeren Teile der Photorezeptoren stößt. Durch die vielen Stäbchen im Auge nachtaktiver Tiere wird deren Netzhaut aber dicker. Das Licht wird stärker gestreut, und es kommt weniger bei den Photorezeptoren an.

Die Lösung des Problems liegt in der Eigenschaft des Heterochromatins, das wegen seiner höheren Packungsdichte stärker lichtbrechend wirkt als das Euchromatin, das üblicherweise im Zentrum des Zellkerns liegt. Liegt das Heterochromatin an der Peripherie des Kerns, fällt dieser Effekt nicht weiter auf. Wenn es sich jedoch im Inneren des Zellkerns zusammenballt, wirkt es wie eine kleine Sammellinse - ähnlich wie mehrere dicke Glasscheiben, die man übereinander legt (siehe Bild oben). Verstärkend wirkt außerdem, dass die Stäbchenkerne in Säulen angeordnet sind. Am Ende liegen mehrere dieser Mikrolinsen übereinander, bündeln das schwache Licht fast ohne Streuverluste und leiten es auf die Photorezeptoren weiter. Das zeigte den Forschern eine Computersimulation.

Evolutionärer Nachteil?

So raffiniert diese Anordnung auch ist, hat sie doch vermutlich Nachteile. Denn die besondere Anordnung der Stäbchen-DNA tauchte erstmals vor rund 100 Millionen Jahren auf. Damals begünstigte die Evolution nachtaktive Säugetiere, weil sie so den damals dominanten Fleisch fressenden Reptilien entgingen. Einige dieser nachtaktiven Säugetiere kehrten später zu einer tagaktiven Lebensweise zurück - und damit auch zur konventionellen DNA-Organisation. "Das bestätigt uns die Überlegenheit der konventionellen Kernarchitektur", so Joffe. "Eine mögliche Erklärung ist, dass die konventionelle Architektur es für Chromosomen leichter macht, die aktiven Kernbereiche gemeinsam zu nutzen. Aber bei den nachtaktiven Säugetieren scheint der Vorteil verbesserter Nachtsicht überwogen zu haben."

 

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