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Ulrike Gaul: Die pragmatische Abenteurerin

Noch ist Ulrike Gaul in New York und forscht an der Rockefeller-Universität in New York. Im Sommer 2009 bezieht sie ein neues Labor an der Münchener LMU. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Noch ist Ulrike Gaul in New York und forscht an der Rockefeller-Universität in New York. Im Sommer 2009 bezieht sie ein neues Labor an der Münchener LMU. Quelle: Johannes Kroemer

03.12.2008  - 

Gaul ist das, was man eine pragmatische Abenteurerin nennt. Nachdem sie ihr Studium in Tübingen beendet hatte, zögerte sie 1989 nicht, nach Seattle und dann nach Kalifornien zu gehen. Als sie sich 1993 nach Arbeit umsah, gab es aus Deutschland zwar Angebote, aber noch war die Universitätslandschaft zu starr, um der ambitionierten Biochemikerin genug Möglichkeiten zu bieten. Und so blieb sie, ganz pragmatisch, in den USA. Bis ihr eine Humboldt-Professur angetragen wurde. Ein Abenteuer, das Gaul nicht verpassen möchte.



Die 47-Jährige mit dem Kurzhaarschnitt ist viel in Bewegung in letzter Zeit. Vor zwei Tagen ist sie mit einem Flugzeug aus New York in Berlin gelandet, gestern gab es ein erstes Treffen mit den anderen Preisträgern, heute Abend diniert sie mit dem Präsidenten Humboldt-Stiftung, Helmut Schwarz. Morgen ist sie in München, um ihren neuen Arbeitsplatz zu besichtigen. An der Isar, im Genzentrum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), entsteht derzeit die neue wissenschaftliche Heimat von Ulrike Gaul. Wenn das Labor für sie und ihre bis zu fünfundzwanzig Mitarbeiter im Sommer 2009 fertig ist, dann wird die LMU zu einer der ersten Adressen der Systembiologie aufsteigen. Weltweit.

Ulrike Gaul (hinten rechts) wird etwa fünf ihrer Mitarbeiter aus New York an ihren neuen Wirkungsbreich im LMU-Genzentrum mitnehmen. Lightbox-Link
Ulrike Gaul (hinten rechts) wird etwa fünf ihrer Mitarbeiter aus New York an ihren neuen Wirkungsbreich im LMU-Genzentrum mitnehmen. Quelle: Ulrike Gaul

Immer wieder die einzige Frau

Aber bevor das alles passiert, steht an diesem graukalten Novembernachmittag in Berlin erst einmal die feierliche Verkündigung der allerersten Humboldt-Professuren auf dem Programm. Bis zu 5 Millionen Euro bekommt jeder der neun Nominierten, wenn sie ihre Forschung für die nächsten fünf Jahre nach Deutschland verlagern. Ulrike Gaul ist eine von ihnen, und wieder einmal ist sie die einzige Frau. Das ging ihr hierzulande schon öfter so. Wie damals, im Jahr 1993, als sich Gaul nach einer Stelle umsah. Von den USA aus, denn nach dem Studium der Biochemie und der Physik in Tübingen war sie als Postdoc nach Seattle und Berkeley gegangen.

Aus Deutschland gab es drei Angebote, eine Professorenstelle war aber nicht darunter. „Das System war noch sehr starr, es gab wenig unabhängige Gruppenleiterstellen oder ähnliche Angebote für junge Leute“, sagt Gaul. „Außerdem war ich immer die einzige Frau, und das war mir dann zu anstrengend“. So blieb sie weitere 15 Jahre jenseits des Atlantiks, genauer an der Rockefeller Universität von New York, einer der führenden biomedizinischen Forschungsstätten der Welt, wo sie seitdem ihr eigenes Labor leitet.

Die Fruchtfliege als Lieblingstier

Dort entwickelte sich die Wissenschaftlerin, die 1988 am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie bei Herbert Jäckle promovierte, zu einer der weltweit führenden Expertinnen für die Rolle der Gene in der Entwicklung von Lebewesen. In New York arbeitete sie mit anderen akademischen Auswanderern zusammen. Tom Tuschl, der ebenfalls mit einer Humboldt-Professur an die FU Berlin berufen wurde, gehörte ebenso zu ihren Kollegen wie Nikolaus Rajewsky (mehr...), der schon seit 2006 wieder in Deutschland forscht, am Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin. Gauls Lieblingstier ist die Fruchtfliege. An Drosophila melanogaster erforschte die 47-Jährige zum Beispiel, welche Gene den Gliazellen im Gehirn sagen, ob sie die hochempfindlichen Nervenzellen umhätscheln und mit allem Notwendigen versorgen sollen oder doch lieber entsorgen. Sehr unterschiedliche, aber gleichermaßen wichtige Aufgaben in einem funktionierenden Nervensystem.

Humboldt-Professuren...

... gibt es seit 2008. Ulrike Gaul gehört zu den ersten Auserwählten.

Mehr Infos: Millionenschwere Professuren locken Spitzenforscher

In den vergangenen Jahren ging es dann immer mehr ums große Ganze. Gaul interessierte sich für komplizierte Entwicklungsvorgänge, an denen Hunderte von Genen beteiligt sind. Zum Beispiel die sogenannten Imaginalscheiben in der Larve der Fruchtfliege. In diesen winzigen „Taschen“ bilden sich während der Verpuppungsphase die Organe der fertigen Fliege heraus. „Das ist ein unglaublich faszinierender Prozess“, sagt Gaul und gestikuliert so lebhaft, dass die Kaffeetasse vor ihr auf dem Tisch in Gefahr gerät. „In den Imaginalscheiben passiert alles, was mit Zellen während der Entwicklung passieren kann: manche teilen sich, andere differenzieren sich in die verschiedensten Zelltypen aus und wieder andere sterben, werden aufgelöst und für neue Zellen wiederverwendet.“

Seit 1993 kann Ulrike Gaul ihre Forschungsarbeiten über die Genexpression der Fruchtfliege in einem eigenen Labor an der Rockefeller-Universität betreiben.Lightbox-Link
Seit 1993 kann Ulrike Gaul ihre Forschungsarbeiten über die Genexpression der Fruchtfliege in einem eigenen Labor an der Rockefeller-Universität betreiben.Quelle: Johannes Kroemer

Hier lasse sich alles studieren, was auch in menschlichen Embryonen passieren muss, damit aus einem Zellhaufen ein hochkomplexer menschlicher Organismus wird. Die Systembiologie versucht die Lebewesen in ihrer Gesamtheit zu sehen. Fernziel der Systembiologen ist es, ein Bild des Lebens über alle Ebenen hinweg zu gewinnen, von den Genen über die einzelnen Zellen bis hin zu ausgefeilten Verhaltensmustern. Die Disziplin hat in den vergangenen Jahren immens an Bedeutung gewonnen, das Forschungsfeld gehört zu den dynamischsten der Biologie.

Ulrike Gaul verkörpert diese Dynamik, auch wenn sie nicht im Labor steht. Sie spricht sehr schnell. Immer noch erfasst sie eine durchdringende Begeisterung, wenn sie von ihrer Arbeit erzählt. Dabei sei sie heute eher müde, wie sie sagt. Wie schnell spricht sie erst, wenn sie ausgeschlafen ist?

Schnell geht es jetzt auch mit ihrer neuen Arbeitsstelle am Genzentrum und dem Exzellenzcluster für Proteinwissenschaften CIPSM in München. Die Verhandlungen über die Professur sind bereits abgeschlossen, und das schon gut einen Monat, nachdem Ulrike Gaul Mitte Oktober erfuhr, dass sie mit der Alexander von Humboldt-Professur ausgezeichnet wurde. Zum Vergleich: Üblicherweise dauert die Besetzung einer Professorenstelle in Deutschland mehr als ein Jahr. Allerdings war Gaul schon vorher mit Patrick Cramer, dem Direktor des Genzentrums der LMU (mehr...), in Kontakt. Vor einem Jahr hatte die LMU eine Anfrage nach New York geschickt, im Frühjahr hatten die Verhandlungen begonnen. Doch erst jetzt, mit der Humboldt-Professur, „passt wirklich alles.“

Es herrscht wieder Zuversicht

Das Geld ist es dabei nicht allein. Sondern vor allem der Stimmungswandel in der deutschen Forschungslandschaft. „Es weht ein frischer Wind an den Universitäten und Instituten. Es wird mit verschiedenen Modellen experimentiert, es herrscht wieder Zuversicht.“ Gaul glaubt, dass die Exzellenzinitiative für diese Aufbruchsstimmung mitverantwortlich ist. „Der Standort wird wieder kompetitiv.“Rund fünf Kollegen wird sie aus New York mitbringen, um mit ihnen dann ein neues Team aufzubauen, das bald fünfundzwanzig Forscher umfassen wird. Die Forscherin schätzt, dass sie im Juli 2009 mit der Arbeit beginnen kann. Nach München hat sie bisher nur wissenschaftliche Verbindungen, aber als pragmatische Abenteurerin hat sie selbstredend schon recherchiert. „Jeder vierte Münchner kommt aus dem Ausland, in New York ist es jeder dritte. Das ist kein allzu großer Unterschied. Da werde ich mich als amerikanische Schwäbin schon wohl fühlen.“

 

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