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Erfolg von Bioingenieuren: Künstliches Genom im Labor gebaut

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Das Erbgut von Mycoplasma genitalium lieferte die Vorlage zum Bau des ersten künstlichen Bakteriengenoms.

01.02.2008  - 

Das Bakterium Mycoplasma genitalium war bisher dafür bekannt, Harninfektionen auszulösen. Vor zwölf Jahren wurde sein Erbgut - das kleinste im Reich der Bakterien - komplett entschlüsselt. Nun steht es für den Beginn einer neuen Ära in einem noch jungen Wissenschaftsfeld, das als synthetische Biologie bezeichnet wird und die Genomforschung in Richtung Ingenieurskunst rückt. Da werden Erbgutschnipsel im Labor beliebig kombiniert, um am Ende künstliche Lebewesen mit maßgeschneiderten Eigenschaften entstehen zu lassen. So zumindest die Vision. Wie US-Genforscher Craig Venter gemeinsam mit Wissenschaftlern seines J. Craig Venter Institute (JCVI) im Fachmagazin Science (25. Januar 2008) berichtet, ist der erste Schritt auf diesem Weg nun geschafft: Ihnen ist gelungen, das Genom von Mycoplasma genitalium komplett künstlich nachzubauen.

Craig Venter ist kein Mann, der die Öffentlichkeit scheut. Ganz im Gegenteil. Seit 2001 ist der amerikanische Genforscher der Welt durch seine Beteiligung an der Entzifferung des menschlichen Genoms bekannt. Im September 2007 war der umtriebige Unternehmer erneut groß in den Schlagzeilen – als einer der wenigen Menschen, dessen eigenes Genom nun erstmals komplett entschlüsselt vorliegt (mehr...). Im Oktober schließlich rührte er erneut die Werbetrommel in eigener Sache. Schon damals kündigte der Wissenschaftler das erste komplette, synthetisch hergestellte Erbgut an. Nun ist es mit der Veröffentlichung im renommierten Science-Magazin offiziell: Mycoplasma genitalium JVCI-1.0 haben die Wissenschaftler um Venter – darunter auch Medizinnobelpreisträger Hamilton Smith - ihr synthetisch zusammengebautes Erbgut genannt.

Das Erbgut von Mycoplasma genitalium lieferte die Vorlage zum Bau des ersten künstlichen Bakteriengenoms.Lightbox-Link
Das Erbgut von Mycoplasma genitalium lieferte die Vorlage zum Bau des ersten künstlichen Bakteriengenoms.

Es ist zwar nicht das erste künstlich hergestellte Genom, aber das größte jemals auf diese Art geschaffene. Bisher gelang dies nur bei Viren, deren Erbgut um ein Vielfaches kleiner ist. So wurde bereits die DNA des Poliovirus und des Erregers der "Spanischen Grippe" von 1918 nachgebaut. Craig Venter selbst gelang es 2003, das Erbgut des für Menschen ungefährlichen phiX-Virus zu reproduzieren. Das Genom von Mycoplasma genitalium ist mit seinen 500 Bausteinen das kleinste Bakteriengenom. Der künstliche Nachbau erfolgte in mehreren Schritten, die einer Kaskade ähneln. Zunächst bauten die Forscher Einzelstücke des Erbguts im Reagenzglas mithilfe von Enzymen zu immer größeren Abschnitten zusammen, die wiederum in gentechnisch veränderten Bakterien der Art Escherichia Coli zu noch größeren Fragmenten verbunden wurden – so lange, bis die Wissenschaftler schließlich vier verschiedene Abschnitte besaßen, die jeweils ein Viertel des Ursprunggenoms umfassten. Diese Viertel-Genome ließen die Forscher wiederum in Hefezellen zu einem vollständigen Kunst-Genom verknüpfen. In den Bakterien hätte dies nicht erfolgen können, da die Genomfragmente dort mit wachsender Größe instabil werden. Damit die Hefezelle – die über eine ganz andere Zellmaschinerie als Bakterien verfügt – aber auch mit dem fremden Erbgut etwas anfangen kann, mussten die künstlichen Genomstränge erst modifiziert werden. Dies wiederum, so vermuten Experten, ist nun aber offenbar auch der Grund dafür, dass es noch nicht gelungen ist, das künstliche Genom in eine leere Mycoplasma-Hülle zu verpflanzen. Erst damit wäre schließlich bewiesen, dass das künstliche Ergbut auch tatsächlich funktioniert.

Erster Schritt zum künstlichen Lebewesen getan

Die Fachwelt ist jedoch schon jetzt begeistert. „Eine hervorragende technische Leistung“, kommentierte Sven Panke vom Institut für Verfahrenstechnik der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich die Science-Publikation in der Berliner Zeitung.  Panke gehörte im vergangenen Jahr zu den Gastgebern des dritten Weltkongresses der synthetischen Biologie in Zürich (Synthetic Biology 3.0), an dem auch eine Reihe von Venters Kollegen sowie Nobelpreisträger Hamilton Smith teilnahmen. (Tagungsband: PDF-Download) Aus Pankes Sicht wird es nur noch ein paar Monate dauern, bis der Beweis der Funktionstüchtigkeit von Venters Kunstgenom erbracht ist. Auch Hans Lehrach, Direktor des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik, äußerte sich optimistisch. „Entscheidend ist die richtige Reihenfolge der einzelnen Bausteine – nicht der Weg, auf dem es entstanden ist“, wird er in der Presse zitiert. Schon vor einigen Monaten war JCVI-Forschern um Carole Lartigue jedenfalls gelungen, einem Bakterium der Art Mycoplasma capricolum das Erbgut zu entnehmen und es durch das Genom von Mycoplasma mycoides zu ersetzen. Wie die Wissenschaftler damals ebenfalls in Science (2007, 3. August) berichteten, nahm das Bakterium die Eigenschaften der Spender-Mikrobe an. Wie dies im Einzelnen geschieht, ist allerdings noch unklar.

Dritter Weltkongress der synthetischen Biologie 2007 in Zürich: Auch ethische Belange wurden diskutiert.Lightbox-Link
Dritter Weltkongress der synthetischen Biologie 2007 in Zürich: Auch ethische Belange wurden diskutiert.Quelle: ETH Zürich

Ziel: Reduktion des künstlichen Genoms auf die nötigsten Gene

Nicht nur der Transfer des Kunstgenoms in eine Organismenhülle, auch der synthetische Genomnachbau an sich benötigt noch eine Verfeinerung – so soll möglichst auf alle überflüssigen Bausteine verzichtet werden undnur die Erbgutteile künstlich erschaffen werden, die auch tatsächlich nötig sind. Laut Venter konnten bereits 100 Gene von Mycoplasma genitalium als prinzipiell überflüssig identifziert werden, da das Bakterium sich weiter vermehrte, wenn diese einzeln ausgeschaltet wurden. Ob und welche Kombinationen nun aber gleichzeitig verzichtbar sind, ist bisher noch unklar.

Sollten die Hürden genommen werden, haben die Wissenschaftler schon eine ganze Reihe von Anwendungen im Auge. So könnten die künstlich erzeugten Bakterien Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnehmen oder aus Pflanzenresten Biokraftstoff erzeugen. Darüber hinaus könnten bestehende biotechnologische Herstellungsverfahren, etwa in der pharmazeutischen oder chemischen Industrie, vereinfacht umgesetzt  oder ganz neue entwickelt werden.

Bislang versuchen Forscher den umgekehrten Weg: Man sucht etwa nach Mikroorganismen oder tierischen Zellen, die ein bestimmtes Stoffwechselprodukt natürlicherweise herstellen können, um einen solchen Prozess im Anschluss möglichst zu optimieren. Das ist jedoch einfacher gesagt, als getan: Mitunter erweist sich ein natürliches Stoffwechselsystem als derart komplex, dass das sogenannte Metabolic Engineering ein ziemlich schwieriges, auf jeden Fall aber zeitaufwendiges Verfahren ist. Ein andere Möglichkeit besteht darin, die für die Herstellung wichtigen Gene in gut untersuchte Organismen mithilfe von gentechnischen Umprogrammierungen zu transferieren und diese als Produzenten-Vehikel zu nutzen - ein solches 'genetisches' Arbeitstier ist beispielsweise Escherichia Coli. Egal, welcher dieser Wege eingeschlagen wird, bleibt jedoch stets das gleiche Problem: Die Produzentenzellen müssen in einer Umgebung gehalten werden, die deren optimales Wachstum zu immer gleichen Bedingungen ermöglicht. Darüber hinaus muss das gewünschte Endprodukt aufwendig aus allen gleichzeitig anfallenden Stoffwechselprodukten herausgefiltert werden.

Die künstliche Herstellung von Genomen eröffnet jedoch ganz neue Möglichkeiten, vor allem auf dem Weg hin zur Entwicklung von zellfreien biotechnologischen Produktionssystemen. Dies würden vor allem die Problematik der Aufreinigung eines Endprodukts erheblich vereinfachen. 

Netzwerk in Europa

Während sich in den USA Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Disziplinen zu einem funktionierenden Netzwerk zusammengeschlossen haben, geht es in Europa nur langsam voran. Nicht nur die Ländergrenzen erweisen sich als Hürden, auch die Zusammenarbeit von Biologen und Ingenieuren könnte besser sein. Mehrere EU-Initiativen haben sich eine Vernetzung und Stärkung der europäischen Szene der synthetischen Biologie zur Aufgabe gesetzt:

www.tessy-europe.eu

www.synbiosafe.eu

Wissenschaftler setzen sich mit ethischen Problemen auseinander

Parallel zur Entwicklung möglicher Anwendungen der synthetischen Biologie hat sich inzwischen aber auch eine rege ehtische Debatte entsponnen, welchen Reglementierungen das junge Wissenschaftsfeld eigentlich unterworfen werden müsste, um einen Missbrauch zu verhindern – auch angeregt von den Wissenschaftlern selbst. Schließlich sollen die neuen Methoden und Techniken beispielsweise nicht dazu dienen, zum Design neuer unberechenbarer Biowaffen beizutragen. Auch die Frage der Erschaffung völlig neuer künstlicher Lebewesen steht mit der synthetischen Biologie im Raum. Diese Themen wurden denn auch beim Weltkongress in Zürich debattiert. Völlig regelfrei ist das Gebiet aber jetzt auch nicht. So gebe es beispielsweise rechtliche Vorgaben, an wen künstlich gebaute Genschnipsel geschickt und versendet werden, berichtete etwa das Regensburger Biotech-Unternehmen Geneart AG, die die schnelle künstliche Herstellung von Genen als Geschäftsmodell betreiben und 2006 den Sprung aufs Börsenparkett gewagt haben (mehr...).. Neben dem Freiburger Unternehmen ATG:biosynthetics sowie Wissenschaftlern um Vitor Martins dos Santos am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig, dessen Team derzeit das Genom von Pseudomonas putida auf das Wesentliche reduzieren will (mehr...), gehört Geneart in Deutschland zu den bekanntesten und international sichtbarsten Vertretern der synthetischen Biologie. Hierzulande hat es allerdings noch nicht die Prominenz erlangt, die es beispielsweise in den USA genießt. Dort gibt es nicht nur exponierte Persönlichkeiten wie Venter, die der Szene zu großer Aufmerksamkeit verhelfen, sondern auch entsprechende wissenschaftliche Netzwerke und eine rege Gemeinschaft, die sich über aktuelle Problematiken austauscht, etwa über die Webseite http://syntheticbiology.org/

 

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Downloads

Synthetic Biology 3.0

Tagungsband zum 3. Weltkongress der Synthetischen Biologie, 24.-26. Juni 2007, Zürich Download PDF (1,9 MB)