Mehr Hirn durch Turbo-Stammzellen
22.09.2009 -
Dresdner Regenerationsforscher haben einen Weg gefunden, mit dem sich die Vermehrung körpereigener Stammzellen im Gehirn steuern lässt. Offenbar kommt es auf das richtige Timing an: Verkürzt man bei neuralen Stammzellen die Zeitspanne zwischen zwei Zellteilungen, so entstehen in der Folge mehr Stammzellen als ausreifende Nervenzellen. Wie die Forscher im Fachblatt Cell Stem Cell (2009, Vol. 5, S. 320-331) berichten, lässt sich durch den Beschleunigungstrick letztlich die Zellmasse in bestimmten Regionen der Hirnrinde vermehren. Ein attraktiver Ansatz für eine „körpereigene“ Zellersatztherapie.
Seit längerem ist klar: Auch das Gehirn besitzt in einigen Regionen so genannte adulte Stammzellen, die zeitlebens für Nachschub an frischen Nervenzellen sorgen. Die Hoffnung von Regenerationsforschern ist es, das Potenzial dieser Zellen für die Therapie von neurodegenerativen Erkrankungen zu nutzen. Bei Alzheimer oder Parkinson oder nach Schlaganfällen sterben Nervenzellen im Gehirn ab. Eine derzeit getestete Behandlungsstrategie ist die Zellersatztherapie, bei der zusätzlich Stammzellen in das Gehirn injiziert werden, damit sie dort für eine Vermehrung von Nervenzellen sorgen. Ein eleganterer Weg wäre es, die wenigen körpereigenen Stammzellen im Gehirn ohne einen chirurgischen Eingriff zur Vermehrung anzuregen. Forschern um Federico Calegari vom DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) ist ein grundlegender Schritt in diese Richtung gelungen. Wie die Forscher im Fachjournal Cell Stem Cell (2009, Vol. 5, S. 320-331) berichten, haben sie an Stellschrauben der Zellteilungsuhr von neuronalen Stammzellen gedreht und so ihre Vermehrung angekurbelt.
Regenerative Medizin in Deutschland |
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An der Zellteilungs-Uhr gedreht
Wenn sich eine neuronale Stammzelle teilt, entstehen in einer frühen Phase der Entwicklung als Ergebnis zwei Stammzellen. Nach und nach verschiebt sich diese Verteilung. Dann schalten die Stammzellen immer mehr dazu um, statt der zwei Stammzellen mindestens eine Nervenzelle zu bilden. Eine so entstandene Nervenzelle teilte sich dann nicht mehr weiter (Neurogenese).
So entsteht eine Balance zwischen Vermehrung, Selbsterneuerung und Verbrauch des Vorrats an Stammzellen. Schon seit längerem vermuteten Forscher, dass man das Gleichgewicht hin zu mehr Stammzellen verschieben kann, wenn man die Dauer der Zellteilung verändert. Zellbiologen teilen die Zeitspanne zwischen zwei Zellteilungen, den Zellzyklus, in unterschiedliche Phasen ein. Die so genannte G1-Phase ist ein wichtiger früher Abschnitt, in dem die Zelle direkt nach einer Teilung heranwächst. Gerade diese Phase ist offenbar entscheidend dafür, ob sich die Stammzelle zu einer Nervenzelle entwickelt oder aber Stammzelle bleibt.
Verkürzte G1-Phase liefert mehr Stammzellen
Mit einem biotechnologischem Trick ist es den Forschern bei Mäusen nun gelungen, die G1-Phase bei neuronalen Stammzellen abzukürzen. Dazu erhöhten sie in den Zellen die Menge an wichtigen Kontrolleiweißen, die die Ablaufgeschwindigkeit des Zellzyklus regulieren. Tatsächlich bewirkte eine verkürzte G1-Phase in den Stammzellen, dass sie sich weniger zu Nerven, dafür aber vermehrt zu Stammzellen entwickelten. „Dieser Effekt lässt im Experiment nach einigen Tagen nach, so dass die vermehrten Stammzellen dann wieder Nervenzellen bilden und somit die Oberfläche der Hirnrinde vergrößern“, erläutert Forscher Federico Calegari.
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Eine Folge ihres Beschleunigungsexperiments überraschte die Forscher: Die verkürzte G1-Phase bewirkte, dass sich eine besondere Form von Stammzellen bildete, so genannte basale Vorläuferzellen. Solche Zellen können sich zwar vermehren, sind aber nicht ganz so vielseitig wie neurale Stammzellen und entwickeln sich ganz ausschließlich zu Nervenzellen.
Ursache für die Hirngröße der Säuger
Eine weitere Besonderheit: Die Vorläuferzellen gingen im Mäusegehirn auf Wanderschaft in eine zur Hirnrinde benachbarten Region, der subventrikulären Zone. „Dadurch konnten wir eine Vergrößerung der subventrikulären Zone um 40 Prozent beobachten“, sagt Christian Lange vom CRTD.Die Ergebnisse stützen offenbar auch eine Hypothese zur Evolution der Hirngröße bei Säugetieren. Erstmals gebe es einen experimentellen Beweis, dass die Vermehrung der basalen Vorläuferzellen der Grund für die Vergrößerung der Hirnrinde im Laufe der Evolution sind, berichten die Forscher. Bedeutender aber noch sind die Erkenntnisse für die Entwicklung neue Therapieansätze. Erstmals haben die Wissenschaftler die Rolle des Faktors Zeit bei der Vermehrung von neuralen Stammzellen in den Mittelpunkt gerückt. Könnte man künftig mit Medikamenten gezielt die Teilung von Stammzellen ankurbeln, so hätten Biomediziner einen wichtigen Schritt in Richtung einer regenerativen Therapie geschafft.