Forschende Pharmafirmen: Medikamentenpipeline gut gefüllt
01.07.2009 -
Jedes Jahr befragt der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA) seine 48 Mitgliedsunternehmen nach ihren fortgeschrittenen Medikamentenkandidaten. Demnach sind derzeit 442 Wirkstoffe in der Erprobung, die im Jahr 2013 die Zulassung erreichen könnten. Sie umfassen 130 Krankheiten, wobei sich ein Drittel mit Krebs beschäftigt. Die klinische Entwicklung erfolge zudem sehr stark in Zusammenarbeit mit deutschen Kliniken. "Deutschland spielt ganz vorn mit dabei", sagte VfA-Präsident Wolfgang Plischke. Für "nicht fair" hält der VfA indes die Anschuldigungen des Instituts für Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen bezüglich eines möglichen Krebsrisikos des Insulinpräparats Lantus vom französischen Pharmakonzern Sanofi-Aventis.
In seiner jährlichen Pipeline-Umfrage fragt der VfA nach Medikamenten mit neuen Wirkstoffen, nach Medikamenten mit bekanntem Wirkstoff, aber neuer Darreichungsform sowie nach bereits zugelassenen Medikamenten mit neuer Indikation. Dabei sind nur jene Kandidaten von Interesse, die bis Ende 2013 zugelassen werden könnten. "Also jene, die schon zwei Drittel ihrer Entwicklungszeit von rund zwölf Jahren hinter sich haben", erläutert VfA-Vorsitzender Plischke auf einer Pressekonferenz am 30. Juni in Berlin. Demnach sind derzeit 442 Wirkstoffe gegen 130 Krankheiten in der klinischen Erprobung. Die Mehrheit der Unternehmen verfolgt dabei Projekte zur Behandlung von Krebs (31 %), Infektionen (14 %), Herz-Kreislauf- (13 %) und Entzündungskrankheiten (10%), darunter Rheuma und Multiple Sklerose. Dabei gelten insgesamt 43 Projekte seltenen Krankheiten, an denen weniger als 2000 EU-Bürger erkranken. Die Hälfte der Unternehmen arbeitet zudem an Therapien oder Diagnostika zur Behandlung von Alzheimer. „Der deutlich gestiegene Schwerpunkt auf Krebs liegt vor allem daran, dass neue Krebsmedikamente heute oft gleichzeitig gegen fünf oder mehr verschiedene Krebsarten erprobt werden“, erläuterte Plischke.
Hintergrund |
Die neuesten Zahlen des VfA zur Pipeline der Mitgliedsunternehmen sind im Rahmen der Studie "Perspektive 2013" erhoben worden, die beim VfA vollständig nachzulesen ist. Mehr Infos: hier klicken |
Standort Deutschland: Bei klinischer Entwicklung vorn mit dabei
Wenngleich die Mehrheit der VfA-Mitgliedsunternehmen international agiert und keine Forschungsabteilung in Deutschland unterhält, spielt der Standort Deutschland dennoch wieder eine stärkere Rolle. Immerhin haben 24 Unternehmen Labors für neue Medikamente in Deutschland und 42 von 48 besitzen hierzulande Abteilungen für klinische Entwicklung, so der VfA. „Insgesamt 82% aller Entwicklungsprojekte werden mit deutschen Kliniken zusammen durchgeführt“, betonte Plischke. Bei klinischen Prüfungen habe man inzwischen Großbritannien überholt, sagte VfA-Geschäftsführerin Cornelia Yzer. Darüber hinaus würden im vergangenen Jahr fünf von 30 neu zugelassenen Präparaten von deutschen Firmen stammen. „Deutschland spielt ganz vorn mit dabei “, so Plischke.
Damit dies so bleibt, müssten aus der Sicht der Pharmaindustrie jedoch die Rahmenbedingungen weiter verbessert werden. Während Plischke eine steuerliche Förderung von zehn Prozent der F&E-Aufwendungen forderte, mahnte Yzer ein Beibehalten der Praxis „bei Zulassung Erstattung“ an – auch in Bezug auf jüngste Studien, die diese Regelung angesichts der teureren Biotech-Arzneien für überdenkenswert halten (mehr...). Zugleich betonte Yzer ihr grundsätzliches „Ja“ zur Kosten-Nutzen-Bewertung und forderte eine Ausweitung von sogenannten Mehrwertverträgen für innovative Medikamente.
Kritik an "Verlautbarungen" des IQWiG
Zugleich kritisierte die VfA-Geschäftsführerin allerdings jüngste „Verlautbarungen“ aus dem Institut für Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) als „Verunsicherung von Patienten“. Am 26. Juni hatte die Einrichtung in einer Pressemeldung (mehr Infos: hier klicken) von neuen Studien in der Fachzeitschrift „Diabetologia“ berichtet, die beim Insulinprärat Glargin ein erhöhtes Krebsrisiko nicht ausschließen können. "Unsere Auswertung ist zwar kein eindeutiger Beweis, dass Glargin Krebs fördert", sagte IQWiG-Leiter Peter Sawicki, und Mitautor der Studie, "allerdings weckt unsere Studie einen dringenden Verdacht, der Folgen für die Behandlung der Patienten haben sollte." Die Forscher betonen, dass der gefundene Zusammenhang zwischen der Verordnung von Glargin und einem höheren Krebsrisiko eine sogenannte statistische Assoziation ist. Es könnte also sein, dass nicht Glargin, sondern andere, noch unbekannte Faktoren die Ursache des höheren Risikos sind, heißt es in der Pressemeldung. Beunruhigend sei jedoch, dass von drei weiteren zeitgleich veröffentlichten Studien, zwei ebenfalls eine mit Glargin verbundene Erhöhung des Krebsrisikos beschreiben.
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Sanofi weist Vorwürfe zu Lantus zurück
Yzer kritisierte indes, dass epidemiologische Studien herangezogen würden, die von ihrer Studienqualität nicht geeignet seien, Aussagen zum Krebsrisiko zu treffen. „Das ist keine korrekte Vorgehensweise und unverantwortlich“, so Yzer. Die Diskussion um Glargin, das vom Pharmakonzern Sanofi-Aventis unter dem Namen Lantus verkauft wird und im Jahr 2008 einen Umsatz von 2,45 Milliarden Euro erreichte, hat inzwischen zu Kurseinbrüchen der Sanofi-Aktie geführt. Beim feierlichen ersten Spatenstich zum Bau einer neuen Zellkulturanlage am Standort in Frankfurt-Höchst am 30. Juni ging Sanofi-CEO Christopher Viehbacher in seiner kurzen Ansprache auf das IQWiG-Gutachten ein und erläuterte, dass eigene Studien, die über fünf Jahre ausgelegt waren und mit dem methodischen Goldstandard (randomisierte Studien) durchgeführt wurden, diese Zusammenhänge nicht belegt hätten.
Ärzte und Patienten können inzwischen gezielt Informationen zum Thema beim Unternehmen erhalten. (mehr Infos: hier klicken) Auf die unterschiedlichen Studien geht auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein (mehr Infos: hier klicken). Die Behörde prüfe derzeit die Daten in Zusammenarbeit mit der europäischen Zulassungsbehörde EMEA. "Das BfArM hält es beim gegenwärtigen Kenntnisstand nicht für nötig, dass Diabetiker, die Lantus anwenden, die Behandlung mit diesem Arzneimittel beenden", empfielt das BfArM betroffenen Patienten.