Kleines Moos mit großer Zukunft
11.02.2009 -
Als sich Ralf Reski vor zwanzig Jahren zum ersten Mal mit dem Kleinen Blasenmützenmoos (Physcomitrella patens) zu beschäftigen begann, galten seine Arbeiten als Nischenforschung. Inzwischen steht das Moos kurz davor, in der industriellen Arzneimittelproduktion eingesetzt zu werden. Es lässt sich nämlich leicht kultivieren und leicht genetisch verändern. Dies war für Reski und seine Kollegen an der Universität Freiburg der Ausgangspunkt, Physcomitrella patens als Arzneiproduzent in den Blick zu nehmen.
Ende der 90er Jahre erkannte BASF das Potenzial des Ansatzes und investierte einen zweistelligen Millionenbetrag. 1999 gründete Reski gemeinsam mit Kollegen das Unternehmen greenovation Biotech, um mit den Moosen eiweißbasierte Medikamente herzustellen. In jahrelanger Tüftelarbeit ist es den Forschern dabei gelungen, menschliche Genkonstrukte in das Moosgenom zu transferieren und die dadurch hergestellten Eiweiße mit den erforderlichen Zuckerstrukturen auszustatten. Zugleich mussten spezielle lichtdurchlässige Fermenter entwickelt werden, in denen das Moos Photosynthese betreiben und gut wachsen kann.
Glykodesign in Moosen
Da der Zuckercode von Eiweißen für immer mehr therapeutische Ansätze eine wichtige Rolle spielt, ist diese sogenannte Glykosylierung inzwischen in der Medikamentenproduktion ein wichtiges Thema. Antikörper mit humaner Zuckervariante, bei denen die pflanzenspezifischen Zuckerstrukturen vollständig entfernt wurden, weisen zum Beispiel eine überlegene zelluläre Zytotoxizität (ADCC) auf. Dies führt zu einer erhöhten Wirksamkeit der Antikörper etwa in der Krebstherapie.
Themendossier Glykobiotechnologie |
Zuckeroptimierte Biotech-Medikamente in Moosen sind nur ein Aspekt der Glykobiotechnologie. Darüber hinaus gibt es etliches mehr, was die Wissenschaft mit Zuckermolekülen alles anstellen kann. |
Mit dem Glykodesign in Moosen haben die Freiburger Forscher eine Nische besetzt, die inzwischen ihren Weg in die Praxis gefunden hat. Ein gutes Dutzend Kooperationen hat das Unternehmen bereits aufgebaut – sowohl mit anderen Biotechnologie-Unternehmen als auch mit Pharmakonzernen. Im August 2008 konnte greenovation etwa den Abschluss eines Abkommens zur Optimierung und Produktion von Antikörpern mit Merck Serono vermelden. Mittelfristig beabsichtigt das Unternehmen, das Moos schon früh im Entwicklungsstadium einer Arznei als neues Produktionssystem zu etablieren. Bis zu einer klinischen Phase II will greenovation dabei die Produktion selbst übernehmen, die dritte klinische Prüfungsphase ist dann in Kooperation mit anderen Produktionspartnern geplant.
Frühe Unterstützung durch das BMBF
Der Praxistest unter realen Produktionsbedingungen im industriellen Umfeld steht für Moos und Bioreaktor noch aus - die Entwicklung neuer Wirkstoffe, ihre Einbettung ins Moosgenom und die stabile Produktion im Bioreaktor benötigen mehrere Jahre - doch die Forschung geht weiter. Im Dezember 2007 hat Reski gemeinsam mit amerikanischen und japanischen Wissenschaftlern die vollständige Genomsequenz des Kleinen Blasenmützenmooses vorgestellt (mehr...). Die daraus resultierenden Erkenntnisse sollen nun unter anderem zur weiteren Optimierung des Photobioreaktiors genutzt werden - das sind Bioreaktoren aus durchsichtigen Materialien wie etwa Plexiglas, in denen Photosynthese möglich ist. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat die Entwicklung schon früh unterstützt. Von 2001 bis 2004 erhielt greenovation im Rahmen des Verbundprojekts Nachhaltige BioProduktion mehr als eine halbe Million Euro, um das Kleine Blasenmützenmoos für die Herstellung von Arzneimitteln fit zu machen und die Produktion in Photobioreaktoren zu etablieren. Um geeignete Biopharmazeutika zu identifizieren und im Pilotmaßstab dann tatsächlich im Moos produzieren zu lassen, wrude greenovation von 2006 bis 2008 zudem im Rahmen der BMBF-Initiative BioChancePLUS mit mehr als 700.000 Euro unterstützt.
Europäische und amerikanische Patente
Das Engagement hat sich gelohnt. Im Jahr 2007 konnte greenovation das erste US-Patent aus dem Glyco-Engineering in Pflanzen für sich reklamieren. Kurz darauf erteilte auch das Europäische Patentamt den Schutz für die Produktion von wirkungsoptimierten Glykoproteinen in Moos. Das Patent bezieht sich insbesondere auf die Technik, einzelne Gene für die Glykolisierung im Moos gezielt auszuschalten und parallel dazu ein menschliches Gen für die Glykolisierung in das Moosgenom zu integrieren.
Dieses Glyco-Engineering soll die Wirkung der hergstellten Biopharmazeutika erhöhen. Ein wesentlicher Aspekt des erteilten Patentes beschreibt die gezielte Entfernung von pflanzenspezifischen Zuckern der hergestellten Proteine, wodurch das Risiko von Abstoßungsreaktionen beim Patienten minimiert werden kann.
Aber auch die Wirtschaft hat das Kleine Blasenmützemoos schon längst im Visier. Mit Sartorius Stedium Biotech aus Göttingen beteiligt sich ein industriell angesehener Anbieter von Prozess- und Labortechnologien in der biopharmazeutischen Produktion am Aufbau des ersten Photobioreaktors im Industriemaßstab in Heilbronn. Die Anlage soll 2010 betriebsbereit sein.