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Christoph Cremer: Pionier der modernen Mikroskopie

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Christoph Cremer ist Professor für Angewandte Optik & Informationsverarbeitung am Kirchhoff-Institut der Universität Heidelberg sowie Direktor für Biophysik der Genomstruktur am Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie. Quelle: Friederike Hentschel.

12.12.2008  - 

Christoph Cremer ist ein bunter Vogel der Wissenschaft: Mit einem Diplom in Physik, einer Promotion in Biophysik und Genetik sowie einer Habilitation in Allgemeiner Humangenetik und Experimenteller Cytogenetik ist dem Forscher wenig fremd. Nicht einmal die Geisteswissenschaften. Doch bei aller Vielseitigkeit hat Cremer seit 1970 eines immer getan: Mikroskope entwickelt. Schritt um Schritt verbesserte der Professor an der Universität Heidelberg dabei die Auflösung, um immer noch kleiner Strukturen zu veranschaulichen.





Beinahe 100 Jahre lang akzeptierte die Physik das 1873 aufgestellte Dogma von Ernst Abbe. Für Licht im sichtbaren Spektralbereich galt aufgrund seiner Wellennatur eine Auflösung unter 200 Nanometer für unmöglich. Doch dieser Glaubenssatz hielt den damals frisch diplomierten Christoph Cremer nicht ab, über neue Wege der optischen Abbildung nachzudenken. „Zusammen mit meinem Bruder überlegte ich, die Grenzen der lichtoptischen Auflösung mit Hilfe eines Lasers zu verschieben,“ erinnert sich Cremer.

Die Abbe-Grenze unterschreiten

Die Idee bestand darin, Licht von allen Seiten auf einen Punkt zu konzentrieren, und mit diesem „Lichtpunkt“ das Objekt abzutasten. Realisiert werden sollte  dies durch ein „4Pi Hologramm“. 1971 meldeten Cremer und Cremer diese Konzeption zum Patent an – mit dem sogenannten 4Pi-Mikroskop wollten die Brüder die Abbe-Grenze erstmals unterschreiten. 4Pi steht dabei für das Vierfache des Faktors Pi und ist der Formel zur Bestimmung der Oberfläche einer Kugel entnommen. Denn das von allen Seiten einfallende Licht entspricht dem Bild einer Kugel.

Mit GFP zum Leuchten gebrachte Zellen, wie sie von einem 4Pi Mikroskop dargestellt werden. Lightbox-Link
Mit GFP zum Leuchten gebrachte Zellen, wie sie von einem 4Pi Mikroskop dargestellt werden. Quelle: C. Carl, Chr. Karle

Der Goldstandard der Mikroskopie

Weil eine solche Idee damals zu abwegig erschien, widmete sich Cremer jedoch zunächst anderen Ideen – zum Beispiel dem Bau eines sogenannten konfokalen Laser-Scanning-Fluoreszenz-Mikroskops. Auch Bruder Thomas Cremer – Mediziner und in der Zwischenzeit Professor für Anthropologie und Humangenetik an der Ludwigs-Maximilian-Universität München – half wieder unterstützend mit, 1978 erschien schließlich die entscheidende Veröffentlichung. Das neue Prinzip war bestechend einfach und wird noch bis heute als ‚Goldstandard’ der Mikroskopie genutzt: Bei der konfokalen Laser-Scanning-Fluoreszenz-Mikroskopie rastert ein scharf fokussierter Laserstrahl dreidimensionale Objekte punktweise ab.

Das ausgesandte Fluoreszenzlicht wird Punkt für Punkt mit einem empfindlichen Nachweissystem registriert - ein Computer setzt die abgerasterten Informationen dann wieder zu einer dreidimensionalen Rekonstruktion zusammen. „Leider haben wir das Verfahren nicht zum Patent angemeldet, zur großen Freude der Herren von Carl Zeiss“, erinnert sich Cremer. „Diese Firma produziert auf diesem Prinzip beruhende Mikroskope noch bis heute erfolgreich“.

Annähernd kugelförmige Lichtquelle

Etliche Jahre später lernt Cremer einen jungen Postdoc kennen, mit dem er seine frühere 4pi-Idee wieder aufleben lassen kann. „Dieser Nachwuchswissenschaftler hatte ziemlich verrückte, aber physikalisch gut begründete  Ideen“, so Cremer über Stefan Hell, der im November 2006 mit dem Deutschen Zukunftspreis geehrt wurde (mehr...). Zuerst wollte Cremer nicht so recht daran glauben, dass es Hell tatsächlich gelingen würde, die lichtoptische Auflösung entscheidende zu verbessern. „Doch Stefan berechnete, experimentierte und kam zu einer Lösung“, erzählt Cremer anerkennend und ist sehr stolz darauf, bei ersten experimentellen Arbeiten von Hell zu dessen 4Pi- und STED Mikroskopieverfahren mit dabei gewesen zu sein.

Die Technik konzentriert Licht durch zwei hochauflösende, gegenüberliegende Objektive auf einen Punkt. Die Lichtwellen beider Objektive werden dabei so überlagert, dass sie im Fokuspunkt ihr Feld verstärken. Auf diese Weise wird eine beinahe kugelförmige Lichtwelle simuliert, die fast aus allen Richtungen auf den Fokuspunkt zuläuft. Der Raumwinkel von 4Pi wird damit zwar nicht voll abgedeckt, doch "der Begriff 4Pi macht eben klar, das ist etwas ganz Neues", so Cremer.

Schneller, scharfer Blick auf lebende Zellen

Trotz der Erfolge lehnt sich Cremer nicht zurück. Schon wieder hat er neue Ideen in petto. Eine davon ist ein Nanolichtmikroskop namens Vertiko-SMI. Damit soll es gelingen, Weitfeldaufnahmen ganzer, lebender Zellen zu realisieren. Eine solche Entwicklung ist genau gegensätzlich zu Hells Methode. „Das STED-Mikroskop kann dynamische Vorgänge in der Zelle aufnehmen - in  einem Ausschnitt bis einige Mikrometer Durchmesser, sehr schnell und mit wenigen 10 Nanometer Auflösung,“ erklärt Cremer. „Das Vertiko-SMI hingegen ist in der Lage, in kurzer Zeit Abbildungen ganzer Zellen zu machen“.

Die optische Auflösung des Vertiko-SMI liegt gegenwärtig bei 10 Nanometern für zweidimensionale und bei 40 Nanometern für dreidimensionale Aufnahmen. „Für die Aufnahme einer lebenden Zelle braucht das Gerät nur zwei Minuten“, so Cremer. Aus seiner Sicht wird die Methode die zellbiologische Forschung in Bewegung bringen, da erstmals Nanostrukturen von ganzen lebenden Zellen und Zellaggregaten aufgenommen werden können. „Wir wollen den Pharmaka-Transport durch die Blut-Hirn-Schranke untersuchen.“  Aber auch der Einsatz zur Erforschung von Membraninteraktionen, Zellorganellen, der Genomstruktur oder in der Materialforschung sei mit diesem Mikroskopverfahren möglich.

Privat widmet sich der renommierte Wissenschaftler und Buchautor nicht nur der Kunst, sondern auch den Geisteswissenschaften. So erschien Anfang 2008 das Buch „Vom Menschen zum Kristall“, das aus einem Symposium der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und der Goethe-Gesellschaft Heidelberg entstand und von Cremer herausgegeben wurde. Mehrere Autoren beleuchten hier auf philosophische Weise gesellschaftlich relevante Themen aus Biologie, Medizin und Ethik – eingebettet in Konzepte der Lebenswissenschaften von 1800 bis 2000. Im Darwin-Jahr 2009 will Cremer den Schöpfer der Evolutionstheorie mit dem Schöpfer des „Faust“ zusammenbringen – auf einer Darwin-Goethe-Tagung.

Autorin des Textes: Andrea van Bergen