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Synthetische Biologie: Wissenschaftler schreiben Wunschzettel

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Quelle: Geneart

19.09.2008  - 

Künstlich zusammengesetzte Zellen, die als winzige Fabriken Biotreibstoff oder Medikamente herstellen: Noch ist das Zukunftsmusik, aber so manch einer setzt große Hoffnungen auf die synthetische Biologie. Was in Europa getan werden muss, damit die junge Disziplin die Erwartungen auch erfüllen kann, das hat das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe die Wissenschaftler selbst gefragt. Die Antworten sind in einer „Roadmap“ zusammengefasst. Darin gibt sich die junge Disziplin selbstbewusst. Falls die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen stimmen, erwartet Sibylle Gaisser, Koordinatorin des EU-Projekts TESSY, in den nächsten Jahren die „flächenmäßige Durchdringung“ der Biotechnologie durch Ansätze und Verfahren der synthetischen Biologie.

Für die "Roadmap“ wurden im Januar 2007 per Online-Befragung 600 Experten um ihre Meinung gebeten. 240 Biologen nahmen teil und bewerteten Gegenwart und Zukunft der synthetischen Biologie in Europa. „Ebenso wichtig wie Fortschritte in der Forschung sind geeignete Rahmenbedingungen“, fasst Gaisser die Ergebnisse zusammen. Rechtliche und ethische Standards stehen ganz oben auf dem Wunschzettel der Forscher, ebenso wie eine öffentliche Diskussion von Nutzen und Risiken sowie eine gezielte Nachwuchsförderung an den Hochschulen.

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Das Bakterium Mycoplasma genitalium ist seit Januar 2008 eine Berühmtheit. Da verkündete nämlich Craig Venter, dass es ihm gelungen sei, das Genom von Mycoplasma genitalium komplett künstlich nachzubauen. Zuvor war das nur bei den wesentlich keineren Virengenomen gelungen.

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Baukasten aus Genen

In der synthetischen Biologie werden zunächst einmal verschiedene Gene für verschiedene Aufgaben künstlich hergestellt. Nach und nach füllt sich der Baukasten mit Genstücken an, die die Forscher dann im nächsten Schritt miteinander kombinieren, um bestimmte Teilvorgänge in der Zelle zu simulieren. Ziel der Bastelei ist eine funktionale Zelle, die komplett aus derlei künstlich hergestellten Bauteilen besteht.

Gelingt die Neukombination, dann beginnen die Designer-Zellen die gewünschte Substanz herzustellen. Das können Kunststoffe sein, Medikamente oder Biokraftstoffe. Bislang versuchen Forscher den umgekehrten Weg: Man sucht etwa nach Mikroorganismen oder tierischen Zellen, die ein bestimmtes Stoffwechselprodukt natürlicherweise herstellen können, um einen solchen Prozess im Anschluss möglichst zu optimieren. Nun will die Wissenschaft von Anfang an mitwirken.

Umfassende Information der Bevölkerung

Wenn die Rede auf künstlich hergestellte Zellen kommt, dann ist die Skepsis in einigen Teilen der Bevölkerung groß. Diesen verständlichen Vorbehalten würden die synthetischen Biologen gerne frühzeitig begegnen, wie aus der TESSY-Umfrage hervorgeht. Viele halten die Aufklärung der Bevölkerung über Chancen und Risiken der Wissenschaft für unbedingt notwendig. „Die meisten Wissenschaftler sind sich dessen sehr bewusst“, sagt Gaisser. Man wolle aus den Fehlern der grünen Biotechnologie lernen und die Gesellschaft umfassend einbinden. „Wir müssen zeigen, was wir können und wo die Grenzen liegen“. Nach den Vorstellungen der Wissenschaftler, die in die „Roadmap“ eingeflossen sind, sollen bis zu zehn Prozent der Fördergelder für die ethisch-soziale Diskussion und die Kommunikation mit der Öffentlichkeit reserviert werden. “Das könnte bis hin zu europaweiten Diskussionsrunden nach dem Vorbild des schweizerischen PubliForums gehen“, sagt Gaisser. In der Schweiz gibt es zu kontroversen Themen landesweite Informations- und Diskussionveranstaltungen, 1999 etwa zu „Gentechnik und Ernährung“.

TESSY
Das zweijährige EU-Projekt "Towards a European Strategy for Synthetic Biology“ wird vom Fraunhofer ISI in Karlsruhe betreut. Mittels einer "Roadmap" soll die Disziplin in den nächsten Jahren europaweit gefördert werden.

Zusammenfassung der Roadmap: pdf
TESSY-Homepage: hier klicken

Gaisser ist beim Fraunhofer ISI zuständig für Leitung und Koordination des EU-Projekts TESSY. „Towards a European Strategy for Synthetic Biology“ startete im Januar 2007 und wird Ende dieses Jahres auslaufen. Ziel von Tessy ist es, das bisher in nationale Kompetenzzentren zersplitterte Feld der synthetischen Biologie auf europäischer Ebene zu konsolidieren. EU-weit aufeinander abgestimmte Forschungsanstrengungen sollen den Abstand zu den auf diesem Gebiet unangefochten führenden USA mittelfristig verringern helfen.

Marktvolumen von 2,5 Milliarden Euro

In einem ersten Schritt einigten sich die europäischen Wissenschaftler 2007 erst einmal darauf, was die synthetische Biologie eigentlich ausmacht. Demnach verwendet sie „Nukleotid-Bausteine oder komplexere Systeme, die im Labor in modularer Bauart definiert und chemisch hergestellt werden“. Die zweite Phase läutete die Online-Befragung ein. Daraus entstand das europäische Strategiepapier, die „Roadmap“, die im Juli 2008 in Brüssel vorgestellt wurde. In der dritten und letzten Phase geht es bei TESSY und dem Fraunhofer ISI derzeit darum, die nationalen Regierungen zu beraten, was sie tun können, um die synthetische Biologie möglichst effizient zu fördern.

Derzeit füllen die synthetischen Biologen ihren Baukasen mit künstlich hergestellten Genen auf. Am Ende soll eine komplett künstliche Zelle entstehen.Lightbox-Link
Derzeit füllen die synthetischen Biologen ihren Baukasen mit künstlich hergestellten Genen auf. Am Ende soll eine komplett künstliche Zelle entstehen.Quelle: Geneart
Gaisser erwartet nun eine europaweite Steigerung diesbezüglicher Anstrengungen. Die Mitgliedsländer seien sich bewusst, dass „sehr viel mehr“ getan werden müsste, um den Abstand zu den USA zu verringern. Bei der Aufholjagd geht es um einen zukunftsträchtigen Markt, der laut ISI von heute 450 Millionen Euro in zehn Jahren auf 2,5 Milliarden Euro wachsen wird.

Biokraftstoffe aus Pflanzenabfällen

Laut Befragung rechnen die Experten in fünf Jahren mit ersten Produkten aus der synthetischen Biologie. Das hält Gaisser für recht optimistisch. „Wir sind im Augenblick noch in der Grundlagenforschung.“ In den nächsten Jahren werde es vor allem darum gehen, die Funktion von einzelnen Zellelementen zu erforschen und nach und nach den Baukasten zu füllen, mit dem in Zukunft einmal Design-Zellen zusammengesetzt werden können. Die Zellen sollen dabei nur genau mit den Erbgut-Abschnitten ausgestattet werden, die für die jeweilige Produktion unabdingbar sind. Deshalb sind sie allein auch nicht lebensfähig und müssen ständig von außen mit Nährstoffen versorgt werden. Damit gebe es keine Gefahr, dass künstliche Zellen in die Umwelt gelangen und sich dort fortpflanzen, so Gaisser.

Studentenwettbewerb iGEM
Seit 2004 sind Studenten aufgerufen, innerhalb des iGEM-Wettbwerbs ("International Genetically Engineered Machine“), standardisierte DNS-Bauteile für unterschiedliche Anwendungen in der Synthetischen Biologie zu entwickeln. Der deutsche Spezialist für Gensynthese Geneart unterstützt das internationale Ereignis, das im November mit der Preisverleihung im amerikanischen Massachusetts Institute of Technology zu Ende geht.

Zum iGEM-Wettbewerb: hier klicken
Zu Geneart: hier klicken

Das aussichtsreichste Feld der synthetischen Biologie ist derzeit die Herstellung von Biokraftstoffen aus Pflanzenabfällen. „Daran wird mit Hochdruck gearbeitet“, sagt Gaisser. Die Einsatzmöglichkeiten synthetischer Zellen sind aber breit gestreut. So spielen einige Forscher mit dem Gedanken, Bakterien zu „überreden“, gezielt Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufzunehmen. Grundsätzlich könnten künstliche Zellen viele biotechnologische Herstellungsverfahren in der pharmazeutischen oder chemischen Industrie vereinfachen oder ganz neue Produktionsprozesse ermöglichen.

Hefe produziert Malaria-Medikament

Noch besteht die Welt der synthetischen Biologie aus gewaltigen Luftschlössern. Eines von ihnen steht schon auf festerem Grund. Früher musste der Wirkstoff für das Malaria-Medikament Artemisinin in kleinsten Mengen mühsam aus der Pflanze Artemisia extrahiert werden. Mittlerweile sind spezialisierte Hefen mit der Herstellung von Artemisinin betraut. Forscher der Berkeley-Universität in Kalifornien um den Biotechnologen Jay Keasling haben Hefezellen mit den Werkzeugen der Gentechnik so umprogrammiert), dass sie Artemisininsäure erzeugen, aus der Chemiker recht leicht das Medikament herstellen können.

Dazu hatten die Gen-Ingenieure schon 2006 einen natürlichen Stoffwechselweg der Hefe durch Aktivitätssteigerung mehrerer Gene so verstärkt, dass sie das Zwischenprodukt Farnesylpyrophosphat in hohen Konzentrationen herstellt. In diese modifizierten Zellen brachten die Forscher dann zwei Gene aus Artemisia Annua ein, die Baupläne für pflanzliche Enzyme enthalten. Diese beiden biochemischen Katalysatoren verwandeln das Farnesylpyrophosphat in einem vierstufigen Prozess in Artemisininsäure. Damit wurde den Hefezellen ein Stoffwechselweg implantiert, der in ihnen gar nicht angelegt war. Synthetische Biologen bewerten diesen Coup als erste vorzeigbare Anwendung ihrer Disziplin und einen großen Schritt zur komplett synthetischen Zelle.

 

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