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Zuckerbrot und Peitsche: Wie der Tabak Gäste anlockt und wieder hinauswirft

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Der Kolibri Selasphorus rufus saugt an einer Blüte des Wilden Tabaks (Nicotiana attenuata). Quelle: Danny Kessler/MPI für Chemische Ökologie

04.09.2008  - 

Pflanzen können sich zur Fortpflanzung nicht verabreden. Sie brauchen Vögel oder Insekten, die die Befruchtung für sie übernehmen. Durch aufsehenerregende Farben und vielversprechende Gerüche werden die Pollenkuriere an die Blüten gelockt. Sind sie dort erst einmal angelangt und haben Pollen aufgenommen oder abgeladen, dann werden aus den willkommenen Gästen lästige Herumlungerer, die kostbaren Nektar schlürfen und den Landeplatz für weitere Bestäuber blockieren. Wie Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena im Magazin Science berichten (2008 Vol 321, S. 1200-1202), verwenden Pflanzen deshalb einen ausgeklügelten Mechanismus, um Insekten und Vögel genau so lange an den Blüten zu halten, wie es für sie am besten ist.

Dass Pflanzen die Aufenthaltsdauer ihrer Besucher aktiv steuern können, haben die Forscher mit Hilfe von biotechnologischen Methoden herausgefunden. Seit einigen Jahren ist es möglich, mittels der sogenannten RNA-Interferenz gezielt Gene aus- und einzuschalten und damit zu bestimmen, welche Aufgaben sie erfüllen. Die Jenaer Biologen Danny Kessler, Klaus Gase und Ian T. Baldwin haben diese Technik nun auf den wilden Tabak angewandt, der in der amerikanischen Mojave-Wüste vorkommt. Der Nektar des wilden Tabaks enthält neben dem Lockstoff Benzylaceton nämlich auch das bittere Nervengift Nikotin. Bereits vor längerer Zeit hatten die Jenaer Forscher herausgefunden, dass das Nikotin je nach Konzentration die Bestäubung der Pflanzen durch den Tabakschwärmer Manduca sexta und durch zwei Kolibriarten zu beeinflussen scheint. 

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In den Blüten des Tabaks befindet sich auch bitteres Nikotin. Quelle: Pixelio.de

Limonade der Natur

Jetzt fanden die Forscher heraus, wozu das Nikotin dient: Die Tabakpflanze sorgt mit der genauen Einstellung des Nikotingehalts dafür, dass die anfliegenden Motten und Kolibris durch den bitteren Geschmack einerseits nicht endgültig abgeschreckt werden, sich aber auch nicht unnötig lange an den Blüten aufhalten. So gelingt es, die Besucherfrequenz und damit die Fortpflanzungsrate optimal hoch zu halten. Bitterstoffe im Nektar werden von Pflanzen auch eingesetzt, um blütenfressende Insekten fernzuhalten. Mit den gleichen Methoden behandeln sie offenbar auch ihre Gäste, wie jetzt klar wird. 

Der Leiter der Studie, Ian Baldwin, folgert aus den Experimenten, dass Pflanzen Aroma und den Verbrauch ihres Nektars deswegen genau steuern, um letzlich möglichst viele Samen produzieren zu können: „Der Nektar, den wir immer für die Limonade der Natur hielten, ist vielleicht doch nicht so süß.“ Die Experimente mit blühenden genveränderten Tabakpflanzen wurden auf der Feldstation des Instituts im amerikanischen Utah durchgeführt und von der dort zuständigen Behörde (USDA-APHIS) überwacht.

Mehr Informationen
Zur Arbeit von Ian T. Baldwin am MPI für Chemische Ökologie in Jena: hier klicken

Um genauen Einblick in die "Blütenbiochemie" und ihre ökologischen Wechselwirkungen mit den mobilen Besuchern zu erhalten, erzeugten die Max-Planck-Forscher vier gentechnisch modifizierte Varianten der Tabakpflanze: Neben Kontrollpflanzen, die den ursprünglichen Genabschnitt der wilden Tabakpflanze eingesetzt bekamen, wurden Pflanzen kultiviert, die mittels RNA-Interferenz entweder kein Nikotin herstellen konnten oder kein Benzylaceton (ein aus der Kakaobohne bekannter Duftstoff, der dem des Jasmins und der Erdbeere ähnelt). Die vierte Pflanzenlinie konnte weder Nikotin noch Benzylaceton herstellen. 

Zunächst schlossen die Forscher in einer Reihe von Kontrollexperimenten aus, dass die gentechnischen Veränderungen keine anderen Faktoren wie Blütenbildung, Wachstum oder Auskreuzungsfrequenzen beeinflussen. Dann starteten sie ihre Versuchsreihen: Schnell zeigte sich, dass die Pflanzen, die kein Nikotin mehr bilden konnten, nur noch halb so viel Nektar übrig hatten wie die Kontrollpflanzen und jene Pflanzen, die kein Benzylaceton als Lockstoff mehr bilden konnten. Für die Wissenschaftler bedeutet das zweierlei: „Blumenbesucher müssen grundsätzlich durch den Duftstoff angelockt werden und trinken offenbar umso mehr Nektar, wenn dieser nicht mehr durch Nikotin verbittert ist", erklärt Danny Kessler, einer der beteiligten Forscher vom MPI für Chemische Ökologie in Jena.

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Kolibris und Motten per Videokamera überwacht

Aufzeichnungen mit Videokameras bestätigten die Vermutung: Tatsächlich bekamen die Pflanzen aus den beiden Linien, die keinen Lockstoff mehr produzieren konnten, nur wenig Besuch von Kolibris (z.B. Archilochus alexandri) und Linienschwärmermotten (Hyles lineata). Und wenn die Tiere an Blüten saugten, deren Nektar die natürliche Menge des abstoßenden Nikotins enthielten, verweilten sie nur kurze Zeit dort, während sie gern und lange den nikotinfreien Nektar der entsprechenden gentechnisch veränderten Variante genossen. Dies betraf vor allem die Kolibris. "Allerdings sagen solche Beobachtungen nichts darüber aus, ob sich derlei unterschiedliches Besuchsverhalten auf den Auskreuzungs- und damit Fortpflanzungserfolg der Pflanzen, das heißt ihre Fitness im Darwin'schen Sinne, auswirkt", so Kessler.

Deshalb untersuchten die Forscher weibliche Pflanzen auf die Produktionsrate der Samen im Fruchtknoten und männliche Pflanzen auf den Befruchtungserfolg benachbarter Pflanzen. Zur Bestimmung der weiblichen Fitness wurden Blüten an den vier verschiedenen Varianten durch Abtrennen der Staubfäden "entmannt" - ein gängiges Verfahren aus der Pflanzenzüchtung. Auf diese Weise wird die Eigenbefruchtung verhindert und die Forscher können nachfolgend den nur durch Blumenbesucher vermittelten Befruchtungserfolg bestimmen. Es zeigte sich, dass nur die Kontrollpflanzen durch Pollen von sie umgebenden wild wachsenden Tabakpflanzen normal fremdbefruchtet wurden, während die gentechnisch veränderten Pflanzenlinien, die kein Nikotin- und Benzylaceton herstellen konnten, nur weniger als die Hälfte an Samen aufbrachten.

Tabak als Lieblingspflanze der Forscher
Tabak wird gerne zu Forschungszwecken verwendet, weil er in der Landwirtschaft etabliert ist, aber nicht als Futter- oder Nahrungsmittel verwendet wird. Gleichzeitig ist Tabak genetisch gut erforscht und lässt sich leicht verändern. An der Optimierung des Tabaks zur Herstellung von Medikamenten arbeiten in Deutschland unter anderem das Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie in Aachen sowie das Biotech-Unternehmen Icon Genetics.

Mehr zum Fraunhofer-Institut: hier klicken

Mehr zu Icon Genetics: hier klicken

DNA-Vaterschaftstest enthüllt potenteste Bestäuber

Umgekehrt erfolgte die Bestimmung der männlichen Fitness der vier Varianten, indem die Blüten wild wachsender Pflanzen "entmannt" und nachfolgend der Ursprung des befruchtenden Pollens ihrer Samen mithilfe von DNA-Sonden ermittelt wurde. Dieser Vaterschaftstest lieferte die Information, welche der vier Tabakvarianten ihren Pollen am erfolgreichsten an umgebende wilde Pflanzen via Insekt oder Kolibri weitergegeben hatte. Auch hier zeigte sich, dass die Kontrollpflanzen, welche natürliche Mengen an Nikotin und Benzylaceton-Lockstoff produzierten, die potentesten, zeugungsfähigsten Bestäuber gewesen waren; die großen Verlierer (fast fünfmal weniger Samen) waren Pflanzen, die weder Nikotin noch Benzylaceton bilden konnten.

"Interessanterweise aber verschob sich innerhalb der Vegetationsperiode der anfängliche männliche "Befruchtungserfolg" von den Pflanzen, die keinen Lockstoff produzieren konnten, hin zu jenen, die kein Nikotin herstellen konnten", sagt Kessler. Mit anderen Worten: Das Nikotin im Nektar beeinflusste mit der Zeit immer weniger die durch Bestäuber vermittelte "erfolgreiche Paarung" von Tabakpflanzen, immer wichtiger aber wurde der Lockstoff. Videoaufnahmen bestätigten: Zuerst im Jahr kommen die Kolibris, bei denen das Nikotin im Nektar bewirkt, dass sie zwar weniger von dem bitteren Saft trinken, es aber immer wieder an verschiedenen Blüten versuchen und so unfreiwillig die Pollenübertragung steigern. Später kommen die Motten, die dem Lockstoff "verfallen" und immer wieder die Blüten besuchen, der bittere Nektar stört sie anscheinend weniger.

 

Pflanzenforschung

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Biosicherheit

Mehr Informationen zu Umweltauswirkungen von gentechnisch veränderte Organismen

Sie wollen wissen, welche Umweltauswirkungen gentechnisch veränderte Organismen haben können? Mehr Informationen finden sie auf: www.biosicherheit.de