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Deutsche Forscher melden vorsichtig Erfolg bei Gentherapie

Eine Fresszelle (Makrophage) streckt sich nach Bakterien aus, die im Vordergrund zu sehen sind. Bei den mit Gentherapie behandelten Patienten funktioniert dieser natürliche Abwehrmechanismus des Körpers nicht. Sie können sich nicht gegen eindringende Pilze oder Bakterien wehren. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Eine Fresszelle (Makrophage) streckt sich nach Bakterien aus, die im Vordergrund zu sehen sind. Bei den mit Gentherapie behandelten Patienten funktioniert dieser natürliche Abwehrmechanismus des Körpers nicht. Sie können sich nicht gegen eindringende Pilze oder Bakterien wehren. Quelle: Boehringer Ingelheim International GmbH

07.04.2006  - 

Deutsche Forscher aus Frankfurt am Main haben im Fachmagazin „Nature Medicine“ (Online-Ausgabe, 2. April 2006) vermeldet, dass eine Gentherapie erstmals bei Erwachsenen angeschlagen hat. Zwei Patienten, die an der angeborenen Immunkrankheit Septische Granulomatose (CGD) leiden, wurden mit gentechnisch veränderten Blutstammzellen behandelt. Seit 16 Monaten sind beide nicht mehr auf besondere Immunschutzmaßnahmen angewiesen und einige Bakterieninfektionen, die sie vorher jahrelang mit sich herumschleppten, sind seit der Therapie verschwunden. Von Heilung kann derzeit aber noch nicht gesprochen werden. Dazu sind langfristigere Beobachtungen notwendig. 

Hinter der Gentherapie steckt eine Methode zur Behandlung von Krankheiten, die auf den ersten Blick vielversprechend klingt: Ein defektes Gen wird durch ein intaktes ersetzt und mittels sogenannter Genfähren dauerhaft in kranke Zellen integriert. Auf diese Weise – so jedenfalls die verlockende Perspektive – kann mithilfe gentechnischer Verfahren direkt die Ursache attackiert werden. Die Gentherapie eignet sich daher vor allem für jene Krankheiten, die auf den Defekt eines einzelnen Genes zurückzuführen sind. Anfangs schien diese Theorie auch in der Praxis zu funktionieren: Im Jahr 1990 wurde ein gentherapeutisches Verfahren erstmals an einer vierjährigen Patientin mit einer angeborenen Immunerkrankung (ADA-SCID) in den USA erfolgreich erprobt, sie lebt heute fast normal. Doch schon damals konnten die Effekte der Gentherapie nicht deutlich von der Wirkung anderer Medikamente unterschieden werden. Im Jahr 1999 ereignete sich schließlich der erste Todesfall: Eine 18-jähriger Patient mit einem Leberleiden starb an einer Gentherapie, weil die Genfähren mehrere Organe infiziert hatten.

Restrisiko bei Gentherapie bleibt

Seither ist klar: Die Gentherapie ist kein Allheilmittel, sondern ein möglicher, aber riskanter Weg zur Behandlung von Krankheiten. Seit dem ersten Todesdall erfolgen klinische Studien nur noch unter starken Sicherheitsauflagen. Am ehesten scheinen Erfolge bei schweren Immunerkrankungen (SCID) möglich, doch immer wieder haben Behandlungen im Nachhinein Krebs ausgelöst. So erkrankten beispielsweise drei von elf in Frankreich mit Gentherapie behandelten Kindern mit SCID-X-Syndrom später an Leukämie, eines starb daran. In anderen Studien mit Kindern der gleichen Immunkrankheit, die in London und Mailand durchgeführt wurden, konnten hingegen Erfolge vermeldet werden.

Erstmals Erwachsene mit Gentherapie behandelt

Das Frankfurter Forscherteam um Manuel Grez (Georg-Speyer-Haus), Dieter Hoelzer (Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt am Main) und Christof von Kalle (DKFz Heidelberg) behandelte nun erwachsene Patienten, die an der Septischen Granulomatose (CGD) leiden. Diese Immunkrankheit ist sehr selten, von ihr sind in Deutschland nur etwa hundert Menschen betroffen. Die Patienten leiden unter schweren, häufig nicht heilbaren Pilz- und Bakterieninfektionen, die zu Organschäden und schließlich zum Tode führen können. Die Ursache der Krankheit liegt in einem angeborenen genetischen Defekt des Enyzmkomplexes NADPH-Oxidase. Er sorgt normalerweise dafür, dass die Fresszellen (Phagozyten) toxische Sauerstoffverbindungen produzieren und damit Pilze und Bakterien abtöten, die in den Körper eindringen. Bei CGD-Patienten funktioniert dieses Abwehrsystem jedoch nicht: Die Kranken sind Infektionen daher schutzlos ausgeliefert. Insgesamt vier Gene sind für die Bildung des wichtigen Enzymkomplexes notwendig. Die Wissenschaftler haben jedoch festgestellt, dass der Funktionsverlust in den Fresszellen am häufigsten auftritt, wenn das gp91phox-Gen auf dem X-Chromosom mutiert ist.

Intaktes Gen in blutbildende Stammzellen eingeschleust

Mithilfe der somatischen Gentherapie schleusten die Frankfurter Forscher nun eine intakte Variante dieses Gens in blutbildende Stammzellen der Patienten ein. Als Genfähre dienten dabei Retroviren, die gentechnisch so verändert wurden, dass sie das intakte Gen an zufälligen Stellen im Genom der Blutstammzellen einbauen können. Die so behandelten Zellen tragen anschließend sowohl das kranke als auch das gesunde Gen in sich. Fünf Stunden später wurden den Patienten die "reparierten" Zellen wieder zurück in die Blutbahn gegeben. Um für die genetisch veränderten Blutstammzellen günstigere Bedingungen zu schaffen, hatten die Forscher die Zahl der defekten Zellen der Patienten zuvor mit einer milden Chemotherapie verringert.

Gentherapie schlug nach 50 Tagen an

Rund 50 Tage nach der Behandlung schlug die Gentherapie an, obwohl nur rund ein Drittel der Abwehrzellen die gewünschten keimtötenden Verbindungen produzieren konnte: Infektionen an Leber und Lunge, die mit normalen Medikamenten nicht mehr behandelt werden konnten, gingen teilweise oder vollständig zurück. Inzwischen liegt die Behandlung 16 Monate zurück und keiner der Patienten musste seitdem stationär aufgenommen worden. Die Wissenschaftler werten das als Erfolg, wenngleich sie vorsichtig bleiben. Schließlich zeigte sich auch, dass drei bis vier Monate nach der Gentherapie die Zahlen der gentechnisch veränderten Zellen nochmals deutlich anstieg – offenbar hatten die Genfähren außer dem gewünschten Gen noch drei andere aktiviert, die zu einem erhöhten Zellwachstum beitrugen. Bis heute ist dieser Effekt ohne negative Folgen geblieben, aber unter besonderen Umständen könnte dies zu Blutkrebs führen, betonen die Forscher. Aus diesem Grund wurden in Frankfurt vorerst keine weiteren Erkrankten behandelt. „Jede Gentherapie an Knochenmarkstammzellen birgt eine Leukämiegefahr – sie ist begrenzt, aber vorhanden“, kommentiert der Heidelberger Gentherapie-Experte Christof von Kalle gegenüber der Wochenzeitung DIE ZEIT. Dennoch ist das Ergebnis der Deutschen beachtlich, schließlich können sie den ersten, vorläufigen Erfolg einer Gentherapie bei Erwachsenen vermelden.

Vorsichtiger Optimismus bei Gentherapie-Experten

Klaus Cichutek, Vizepräsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), das in Deutschland über die Durchführung von Gentherapie-Studien entscheidet, zeigt sich angesichts der Ergebnisse vorsichtig optimistisch: „Das ist schon ein außerordentlicher Erfolg, auch wenn wir nun die folgenden Jahre abwarten müssen, um die Behandlung langfristig einzuschätzen.“ Aus seiner Sicht gibt es bei der Gentherapie kein Schwarz oder Weiß mehr, ein vorläufiger Erfolg birgt immer noch ein Restrisiko. Dennoch ist bei der Frankfurter Studie vieles anders als etwa in Paris. „Anders als bei den SCID-Patienten in Paris handelt es sich hier um eine Erbkrankheit, deren Gen bisher nicht im Zusammenhang mit Krebs aufgefallen ist“, betont Cichutek. Dennoch wurde die Studie in Frankfurt ebenso wie andere zunächst unterbrochen, nachdem die Pariser Todesfälle im Jahr 2002 und 2003 vermeldet wurden. Die damals zuständige Kommission Somatische Gentherapie der Bundesärztekammer, deren Vorsitzender Cichutek war, erlaubte zwar die Weiterführung, aber unter strengeren Auflagen. Es durften nur jene Patienten behandelt werden, die keine andere Therapiealternative mehr hatten. Zudem mussten sie über das mögliche Krebsrisiko informiert werden.

Zukunft der Gentherapie: Behandlung Schwerstkranker

So soll es auch in Zukunft weiter gehen. Weitere acht bis zehn schwer kranke CGD-Patienten, für die keine andere Option mehr ins Auge gefasst werden kann, sollen von den Frankfurter Forscher nun gentherapeutisch behandelt werden. „Dabei muss die Risiko-Nutzen-Kalkulation stets im Einzelfall abgewogen werden“, betont Cichutek. Insgesamt laufen derzeit fünf klinische Studien mit gentherapeutischen Verfahren in Deutschland, einige weitere befinden sich im Antragsstatus. Mit dem neuen Arzneimittelgesetz im Jahr 2004 wurde das PEI mit der Prüfung solcher Studien betraut, die Anträge werden nun noch intensiver geprüft werden. „Deutschland ist in der Gentherapie-Forschung gut aufgestellt und vor allem bei Immunerkrankungen und Krebs gibt es vielversprechende Ansätze“, sagt Cichutek. Vorerst stünde dabei die Behandlung Schwerstkranker im Vordergrund, gentherapeutische Verfahren für Gesunde seien noch in weiter Ferne.

Im Oktober 2005 konnte in Europa immerhin ein kleiner Erfolg vermeldet werden: der Zulassungsantrag der britischen Firma Ark Therapeutics für ein gentherapeutisches Verfahren zur Behandlung einer Gehirntumorart wurde bei der europäischen Arzneimittelzulassungsbehörde EMEA angenommen. Noch in diesem Jahr wird mit einer Entscheidung gerechnet. Es wäre die erste offiziell zugelassene Gentherapie in Europa.



Hintergrund Retroviren:

Retroviren besitzen das Enzym Reverse Transkriptase. Anders als andere Virentypen sind Retroviren dadurch in der Lage, ihr RNA-codiertes Erbgut in eine doppelsträngige DNA umzuwandeln und anschließend in ein Zellgenom zu integrieren. Dieses so genannte Provirus verhält sich wie ein normales zelluläres Gen und wird bei der Vermehrung an die Tochterzellen weitergegeben.

Diesen Mechanismus benutzen Molekularbiologen bei der Gentherapie als Taxi: Verändertes Genmaterial kann mithilfe dieser retroviralen Transgenese gezielt ins Genom von Zellen geschleust werden. Wo sich die zusätzlichen Gene im Zellgenom einnisten ist allerdings bisher nicht steuerbar. Analysen vergangener gentherapeutischer Verfahren haben lediglich gezeigt, dass sich die Einnistung  vor allem in der Nähe aktiver Gene vollzieht. Sind dabei Onkogene darunter, kann es gefährlich werden: Werden sie ebenso aktiviert, löst dies beim Patienten Krebs aus.

 
Weiterführende Informationen

Georg-Speyer-Haus

Artikel in Nature Medicine

Prüfung klinischer Studien beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI)

Europäische Gesellschaft zur Gentherapie (ESGT)

Der Wiley-Verlag führt eine Datenbank über klinische Studien von gentherapeutischen Verfahren. Die Angaben sind jedoch nicht vollständig und beruhen auf freiwilligen Angaben. Der Wiley-Verlag gibt die Zeitschrift The Journal of Gene Medicine heraus.

Datenbank über Gentherapie-Studien