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Das Gift der Kegelschnecke - tödlich und heilsam

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Sie untersuchen das Gift mariner Kegelschnecken: Dr. Alesia A. Tietze (links) und Prof. Dr. Diana Imhof mit den Häusern der Meereslebewesen. Quelle: Volker Lannert/Universität Bonn

04.04.2012  - 

In den warmen Ozeanen der Welt treiben diese Räuber ihr Unwesen: Kegelschnecken. Mit einer giftbeladenen Harpune ausgestattet gehen sie auf die Jagd nach Würmern und kleinen Fischen. Wissenschaftler aus dem Rheinland und aus Thüringen haben einen Bestandteil des Giftcocktails näher unter die Lupe beziehungsweise den Kernspintomographen genommen. Sie fanden heraus, dass unterschiedlich gefaltete Variationen des Peptidtoxins mit dem Namen µ-PIIIA sich zwar in ihrer Wirkung ähneln, aber dennoch voneinander unterscheidbar sind. Diese Erkenntnis ist für die Entwicklung neuartiger Schmerzmittel von Bedeutung. Die Gifte dieser Schnecken gelten als vielversprechende Kandidaten für die Schmerztherapie von Krebspatienten. Die Studie der Strukturchemiker ist bereits auf der Webseite der Fachzeitschrift Angewandte Chemie verfügbar (2012, Online-Vorabveröffentlichung).

Kegelschnecken sind effektive und unnachgiebige Räuber am Meeresgrund. Sie machen Jagd auf Würmer und andere Weichtiere, aber auch kleine Fische sind vor ihnen nicht sicher. Ihre Waffe: Eine giftgetränkte Harpune. Die Struktur hat sich aus einem Zahn der Raspelzunge der Schnecken entwickelt. Bei manchen Arten ähnelt sie in der Tat einer Harpune, bei anderen sieht sie aus wie ein Dartpfeil. Beiden gemein sind Widerhaken, die ein Losreißen des Opfers nahezu unmöglich machen. Durch ein übertragenes Gift wird die Beute gelähmt und kann so später von der Schecke verspeist werden. Das Gift besteht aus einem Cocktail aus hunderten verschiedener Peptidtoxine. 

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Der tödliche Angriff der „Zigarettenschnecke“

Wie Enzyme oder Strukturproteine bestehen die Schneckentoxine aus den Grundbausteinen aller Eiweiße, den Aminosäuren. Sie sind so einzigartig, dass sie nach ihren „Erfindern“ benannt wurden. Die räuberischen Kegelschnecken stammen aus der Gattung Conus, die Toxine heißen daher Conotoxine. Bis dato sind mehr als 600 verschiedene Kegelschneckenarten bekannt. Ihr Lebensraum erstreckt sich von warmen, tropischen Gewässern bis hin zu kühleren Meeren in den gemäßigten Breiten (vor zum Beispiel den Küsten Südkaliforniens oder Südafrikas). Bei etwa 100 analysierten Arten wurden bisher schon insgesamt 4500 verschiedene Conotoxine beschrieben. Ein riesiges Reservoir für Forscher wie Diana Imhof vom Pharmazeutischen Institut der Universität Bonn: „Die Conotoxine sind Nervengifte. Schon in kleinsten Mengen unterbrechen sie sehr selektiv die Signalübertragung in den Nervenbahnen.“ Der Angriff der größeren Schneckenarten kann auch für Menschen tödlich enden. Es heißt, dass bei einem Biss einer der gefährlichsten Kegelschnecken, Conus geographus, einem nur noch Zeit für eine Zigarette bleibt. Ihr Spitzname: „Zigarettenschnecke“. Auch wenn das wohl übertrieben ist, bisher konnten etwa 30 Todesfälle auf Conus-Angriffe zurückgeführt werden.

Mittel gegen chronische Schmerzen

Auf der anderen Seite könnten die Gifte der Kegelschnecken aber auch einmal nützlich für die Behandlung von Schmerzen werden. Erste Studien in Ratten zeigten, dass Conotoxine auch bei Säugetieren wirksam Schmerz lindern können. Imhof denkt vorrangig an Schmerzmittel für moribunde Krebskranke oder für Patienten mit chronischen Schmerzen, bei denen andere Mittel nicht mehr wirksam sind: „Der Vorteil der Conotoxine ist, dass sie nicht abhängig machen.“ Dass die Peptide im Körper schnell verstoffwechselt werden, hat aber laut Imhof auch einen Nachteil: „Um als Medikament sinnvoll eingesetzt werden zu können, müssen die Conotoxine in stabilen Formen verabreicht werden.“

Die spezifische Faltung eines Peptids hängt von der Aminosäuresequenz und sogenannten Disulfidbrücken innerhalb der Aminosäurekette ab. Für die Faltung eines Conus-villepinii-Toxins wurden die 20 wahrscheinlichsten 3D-Strukturen berechnet und für dieses Bild übereinandergelegt.Lightbox-Link
Die spezifische Faltung eines Peptids hängt von der Aminosäuresequenz und sogenannten Disulfidbrücken innerhalb der Aminosäurekette ab. Für die Faltung eines Conus-villepinii-Toxins wurden die 20 wahrscheinlichsten 3D-Strukturen berechnet und für dieses Bild übereinandergelegt.Quelle: AG Imhof/Universität Bonn

Genau daran haben die Bonner Forscher gemeinsam mit Stefan H. Heinemann von der Universität Jena und Wissenschaftlern von der TU Darmstadt sowie vom Leibniz-Institut für Altersforschung Jena gearbeitet. Gegenstand der Untersuchungen zur Stabilität von Conotoxinen war µ-PIIIA, ein Toxin der Schnecke Conus purpurascens. Doch zunächst galt es, ausreichend Toxin herzustellen. In den Schnecken kommt es nämlich nur in geringen Mengen vor. Da die Peptide viele ungewöhnliche, nicht zum Standardrepertoire gehörende Aminosäuren aufweisen, ist dies kein triviales Unterfangen. Der frisch gebackenen Doktorin Alesia Tietze gelang es jedoch, PIIIA auf chemischen Wege herzustellen. Ein Erfolg, denn die Forscher konnten zeigen, dass das chemisch synthetisierte und in Form gebrachte Conotoxin genau wie das von den Schnecken hergestellte PIIIA den spannungsgesteuerten Natriumkanal Nav1.4 in seiner Wirkung hemmt.

Viele Faltungen eines Peptids möglich – und wirksam

Mit einer ausreichend großen Menge an PIIIA-Toxin zur Hand, nahmen sich die Chemiker dann die Strukturaufklärung vor. „Jetzt konnten wir die 3D-Struktur der verschiedenen Varianten dieses Conotoxins mit Hilfe der Kernresonanzspektroskopie aufklären.“ Die Ergebnisse waren überraschend. Imhof erläutert, dass man bisher glaubte, dass nur eine mögliche Faltungsvariante korrekt und somit wirksam ist: „Genau dieses Dogma konnten wir aber widerlegen. Wir haben drei aktive Faltungen des Peptids mit ähnlicher Wirkung identifiziert. Wahrscheinlich gibt es sogar noch mehr.“ Die drei Varianten unterschieden sich in ihrer Wirkung aber auch ein wenig voneinander. Alle drei könnten wertvolle Startstrukturen für eine Weiterentwicklung hin zu wirksamen Schmerzmitteln sein. Momentan untersuchen die Forscher, welche Struktur am stabilsten ist. Immerhin wollen sie ihre Conotoxine einmal als Schmerzmittel im Einsatz sehen. Doch wie es in der Grundlagenforschung ist, wird es wohl noch Jahre dauern, bis möglicherweise Patienten von der Arbeit der Pharmakologen profitieren.

© biotechnologie.de/ml
 

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