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Schmallenberg-Virus: Die Jagd nach dem Impfstoff

Das Schmallenberg-Virus ist ein exotisches Orthobunya-Virus. Forscher des FLI in Riems haben den Tierseuchen-Erreger aufgespürt und erstmals auch im Elektronenmikroskop sichtbar gemacht. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Das Schmallenberg-Virus ist ein exotisches Orthobunya-Virus. Forscher des FLI auf Riems haben den Tierseuchen-Erreger aufgespürt und erstmals auch im Elektronenmikroskop sichtbar gemacht. Quelle: Foto: Dr. habil. H. Granzow / Friedrich-Loeffler-Institut, Insel Riems

09.03.2012  - 

Es kam 2011 wie aus dem Nichts – jetzt ist es nahezu überall: In rund 900 Rinder- und Schafbetrieben ist das Schmallenberg-Virus bisher in Deutschland aufgetaucht – mit grausigen Nachwirkungen: Gehäuft kommen Lämmer und Kälber mit schweren Missbildungen auf die Welt, weil sich die Mütter während der Tragezeit mit dem exotischen Orthobunya-Virus infiziert haben. Tierseuchen-Experten vom Friedrich-Loeffler-Institut auf Riems haben den neuen Erreger zwar in Rekordzeit aufgespürt. Da die Viren durch Stechmücken übertragen werden, lässt sich die Seuche bisher aber nicht stoppen. Bei einer Abendveranstaltung an der FU Berlin informierten Seuchen-Experten und Tiermediziner am 8. März über den neuesten Stand. Mit Hochdruck wird an der Entwicklung eines Massentests und eines Impfstoffs gearbeitet.

Neulich bekamen die Tierseuchen-Fahnder vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) in Riems Post aus Schmallenberg. In dem Schreiben formulieren die Schmallenberger die inständige Bitte, dem Erreger der neuen Tierseuche doch einen anderen Namen als den des ersten Fundortes zu geben – ansonsten werde das Image der Stadt im Sauerland diskreditiert. Daraus wird wohl nichts, wie bei der abendlichen Schmallenberg-Virus-Informationsveranstaltung am 8. März in Berlin klar wurde. Der Hörsaal der Klinik für kleine Haustiere der FU platzte aus allen Nähten. Und in den Vorträgen der Seuchenexperten wurde deutlich, dass der Terminus Schmallenberg-Virus oder das entsprechende Kürzel SBV inzwischen wie selbstverständlich im Sprachgebrauch der Forscher verankert ist.

Virus-Ticker

Aktuelle Entwicklungen zum Thema Schmallenberg-Virus auf der Website des Friedrich-Loeffler-Instituts: hier klicken

Der erste Nachweis

Bernd Hoffmann, der am FLI für die Virusdiagnostik zuständig ist, berichtete aus jenen Tagen im Herbst 2011, als ihm und seinem Team der erste Erreger-Nachweis gelang. Aufgespürt haben die Forscher das Virus mit neuester Sequenzier-Technik und einer sogenannten Metagenomanalyse. Dazu hatten die FLI-Forscher das gesamte Erbmaterial aus Blutproben von drei erkrankten Kühen auf einmal dekodiert. Die Tiere hatten Fieber, wirkten schlapp und produzierten auffällig wenig Milch. War die Blauzungenkrankheit zurück, die 2007 Deutschland in Atem gehalten hatte? „Wir hatten das große Glück, dass aus einem Betrieb in Schmallenberg sehr gute Proben kamen“, so Hoffmann. Ein Abgleich mit genetischen Datenbanken lenkte die Aufmerksamkeit der Forscher auf molekulare Spuren eines Exoten: Eines sogenannten Orthobunya-Virus. Diese Erreger sind eigentlich in Asien, Afrika und Asien verbreitet. Ein genauer Blick auf den Stammbaum der Viren zeigte den Forschern: Der neu isolierte Virusstamm zeigt große Ähnlichkeit mit einem Erreger, der vor Jahrzehnten im japanischen Akabane aufgetreten war. Und das verhieß nichts Gutes. Schon damals war in Japan aufgefallen, dass infizierte Kühe zwar nur milde Symptome zeigten – ihre Kälber jedoch mit schweren Missbildungen auf die Welt gekommen waren.

Kein mit dem Schmallenberg-Virus infiziertes Lamm gleicht dem anderen. Versteifte Gelenke und fehlgebildete Gliedmaßen sind jedoch typisch.Lightbox-Link
Kein mit dem Schmallenberg-Virus infiziertes Lamm gleicht dem anderen. Versteifte Gelenke und fehlgebildete Gliedmaßen sind jedoch typisch.Quelle: LAVES-LVI Oldenburg, Pathologie, Dr. Michael Brügmann

Gipfel bei Schafen wohl überschritten

Tatsächlich wurden seit Dezember 2011 in Deutschland gehäuft Missbildungen gemeldet, insbesondere aus Schaf- und Ziegenhaltungen, weniger aus Rinderbetrieben. Seitdem sind die Zahlen nach oben geschossen. „Inzwischen wurde SBV in nahezu 900 Fällen nachgewiesen“, sagte FLI-Epidemiologe Franz Conraths.

In manchen Betrieben haben die Schafhalter Ausfälle von bis zu 30 Prozent zu beklagen. Die Tiermediziner gehen davon aus, dass die Muttertiere sich im Spätsommer infiziert haben. Schafe haben eine kürzere Tragezeit als Rinder, deshalb bestimmte die Geburt missgebildeter Lämmer bisher das Bild der Seuche. „Es sieht so aus, als ob wir Anfang Februar den Gipfel bei den Schafen überschritten haben“, sagte Conraths in Berlin. Der Seuchenexperte rechnet nun damit, dass demnächst bei kalbenden Rindern die Auswirkungen der Erkrankung verstärkt sichtbar werden.

Winzige Gnitzen als Überträger im Verdacht

Sowohl das Ausbreitungsmuster (West-Ost, Nord-Südgefälle), die wahrscheinliche Ansteckungsperiode im Sommer und der Erreger-Typ liefern den Fachleuten ein Bündel an Indizien dafür, dass das Schmallenberg-Virus von Stechmücken übertragen wird.

Die Verbreitung des Schmallenberg-Virus in Deutschland zeigt ein starkes Gefälle. Von Nord-West nach Süd-Ost sinkt die Zahl der registrierten Fälle deutlich.Lightbox-Link
Die Verbreitung des Schmallenberg-Virus in Deutschland zeigt ein starkes Gefälle. Von Nord-West nach Süd-Ost sinkt die Zahl der registrierten Fälle deutlich.Quelle: Friedrich-Leoffler-Institut, Insel Riems
Ins Visier sind vor allem die sogenannten Gnitzen geraten, winzige Blutsauger, die vor Jahren bereits als Überträger der Blauzungenkrankheit überführt wurden. „Wir haben allerdings keine Erklärung dafür, wie sich die Viren in den Mücken und in den Tierbeständen so rasant ausbreiten konnten“, so Conraths.

Wo kommt das Schmallenberg-Virus her, wo ist es bereits verbreitet, welche Viehbestände sind verschont geblieben? Um diese Fragen zu klären, sind vor allem zuverlässige biotechnologische Nachweisverfahren gefragt. Das FLI hat bereits Tests auf Basis der PCR-Technik und erste Prototypen für Antikörper-Tests entwickelt. „Mehrere Biotech-Unternehmen und Pharmafirmen sind parallel zu uns mit Nachdruck dabei, einen ELISA-Test zu entwickeln, der sich als Massentest eignet“, berichtete Bernd Hoffmann. Ein solcher Routinetest wird auch deswegen dringend gebraucht, weil Ende März die Meldepflicht für SBV im Tierseuchenrecht verankert werden soll.  

Wann kommt der Impfstoff?

Da gegen die Gnitzen als Viren-Überträger im Stall nicht viel auszurichten ist, bleibt den betroffenen Viehhaltern und den Tiermedizinern einzig die Hoffnung auf einen Impfstoff. 

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„Wenn wir die Seuche in den Griff bekommen wollen, brauchen wir schnell einen Impfstoff, sonst kommt uns die natürliche Immunisierung - sprich die Erkrankung - zuvor“, sagte der Virologe Nikolaus Osterrieder von der FU Berlin. Er beschäftigt sich mit sogenannten rekombinanten Vakzinen, bei denen er das SBV auf gentechnischem Wege mit Herpesviren kombinieren möchte. Nach Ansicht von Osterrieder ergeben solche Vektorvakzine einen besonders potenten Impfstoff. Da er jedoch auf Gentechnik basiere, stoße dieser Ansatz bisher mit Blick auf eine Anwendung in der Tiermedizin noch auf Zurückhaltung.

Der Impfstoff der Wahl gegen das Schmallenberg-Virus wird stattdessen ein Tot-Impfstoff sein. „Daran wird mit Hochdruck gearbeitet – auch hier haben wir Virusisolate an interessierte Pharma-Unternehmen verschickt“, sagte Bernd Hoffmann. Bis mit der Tot-Vakzine aber tatsächlich geimpft werden könne, seien zunächst noch Sicherheitsstudien nötig. Vorbild sei die Vakzine für die Blauzungenkrankheit, die in einer Rekordzeit von 18 Monaten entstanden war. Und auch wenn er sich nicht festlegen wollte, gab Hoffmann in Sachen Schmallenberg-Virus die Marschrichtung vor: „Diesmal können wir es vielleicht noch ein bisschen schneller schaffen“, sagte Hoffmann,„für die Mückensaison 2013 muss der Impfstoff da sein.“

© biotechnologie.de/pg
 

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