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Cordian Beyer: Hormoncocktail nach dem Schlaganfall

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Cordian Beyer leitet das Institut für Neuroanatomie am Universitätsklinikum der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen. Quelle: Peter Winandy

19.10.2011  - 

„Time is brain“ - so lautet die Handlungsmaxime beim Schlaganfall. Je rascher der Blutfluss und dadurch die Sauerstoffversorgung im Gehirn wieder normalisiert wird, desto weniger Zellen sterben ab. Doch bis zur Behandlung vergeht Zeit. Mit einem Cocktail aus weiblichen Hormonen ist es Cordian Beyer vom Universitätsklinikum der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen gelungen, die Schäden an Nervenzellen nach einem Anfall um bis zu 70 Prozent zu reduzieren. Die Experimente wurden an Mäusen durchgeführt. Inwieweit diese Beobachtungen auch beim Menschen zutreffen, sollen klinische Studien an Schlaganfallpatienten zeigen, die in den nächsten Jahren starten könnten.


 

Schon während seines Biologiestudiums in Ulm haben die Hormone bei Cordian Beyer ihre Wirkung hinterlassen. „Es ist doch faszinierend: Ein Hormon bewirkt, dass aus einer Larve ein Schmetterling wird.“ Aber nicht nur das. „Hormone drehen überall was rum.“ Die Stellschrauben des Stoffwechsels haben den Zellforscher auch bei seiner weiteren Karriere nicht mehr losgelassen. Als Doktorand in der Arbeitsgruppe von Christof Pilgrim war es dann um Beyer geschehen. In Ulm wurde die therapeutische Wirkung von Geschlechtshormonen bei Säuglingen erforscht. In den letzten drei Monaten einer Schwangerschaft sind Geschlechtshormone notwendig, damit bestimmte Organe des Embryos heranreifen können. Extreme Frühgeborene, die aufgrund der vorzeitigen Geburt keine ausreichenden Hormonmengen aus dem Mutterkuchen erhielten, erleiden häufig Entwicklungsstörungen und Krankheiten. Vor allem die Entwicklung von Atemwegen und Gehirn sind hierbei betroffen. Beyer erforschte in Ulm, ob eine gezielte Hormonbehandlung diese Störungen verringern könnte.

Cordian Beyer leitet das Institut für Neuroanatomie am Universitätsklinikum der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen.Lightbox-Link
Die Arbeitsgruppe rund um Beyer untersucht, ob Geschlechtshormone wie Östrogen Nervenzellen schützen können, zum Beispiel nach einem Schlaganfall.Quelle: Peter Winandy/RWTH

Tiermodell für Schlaganfall entwickeln

Seit 2005 ist Beyer der Leiter des Instituts für Neuroanatomie am Klinikum der RWTH Aachen. Er kam mit einer Fragestellung im Gepäck. „Wie können Hormone das Hirngewebe schützen und beschädigte Teile eventuell zur Regeneration stimulieren?“ Zunächst baute Beyer sein Team auf, nebenbei leitete er kommissarisch die Anatomie am Universitätsklinikum. „Ich war zeitweise der einzige Anatom hier an der Universitätsklinik.“ Gleichzeitig ging es darum, Tiermodelle zu entwickeln, für Schlaganfall, Multiple Sklerose  und andere Krankheiten.

„Eine wichtige Rolle spielen offenbar die Abwehrzellen des Gehirns, die so genannte Mikroglia“, sagt der 51-Jährige. In Zusammenarbeit mit Immunzellen aus den Gefäßen steuern sie entzündliche Prozesse im Hirngewebe. Als Beyer nun Ratten, die einen Schlaganfall erlitten hatten, hochdosierte Hormone verabreichte, konnte er zwei Dinge beobachten. „Zum einen hemmen die Hormone die Abwehrzellen, andererseits sorgen sie dafür, dass geschädigte Nervenzellen besser überleben können.“ Beobachtet wurde das zum ersten Mal bei MS-Patienten. „Die Experten sind sich heute ziemlich sicher, dass Frauen mit Multipler Sklerose während einer Schwangerschaft weniger Schübe bekommen“, so Beyer. Verantwortlich ist offenbar der erhöhte Hormonspiegel. „Hormone besitzen also eine wichtige Schutzfunktion bei diesen neurologischen Erkrankungen“, lautet die Schlussfolgerung des Zellforschers.

Nervenzellen schon irreparabel beschädigt

Der Schlaganfall ist die dritthäufigste Todesursache neben Krebs- und Herzerkrankungen und immer noch die häufigste Ursache für Invalidität. Neben einseitigen Lähmungen leiden Betroffene an dauerhaften Gefühls-, Gleichgewichts- und Wahrnehmungsstörungen sowie Seh- und/oder Sprachstörungen. Wie schwere Folgen ein Schlaganfall hat, hängt entscheidend davon ab, wie schnell die Betroffenen behandelt werden. Doch es gibt ein Problem: Es gibt zwei Arten von Schlaganfall, die jeweils eine unterschiedliche Behandlung erfordern. Entweder ist ein Blutgefäß verstopft und das Gehirn wird deshalb mit zu wenig Sauerstoff versorgt, oder das Blut tritt aus den Gefäßen in das Hirngewebe. Die Verstopfung der Gefäße bezeichnen Mediziner als Hirninfarkt, das Aufbrechen als Hirnblutung. Um nicht falsch zu behandeln, muss erst eine Diagnose durchgeführt werden. In diesem Zeitraum werden Nervenzellen aber schon irreparabel beschädigt.

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Hier setzt Beyers neuroprotektiver Hormoncocktail an. Den maximalen Effekt erzielt man offenbar mit einer speziellen Kombination von Progesteron und Östrogen, wie Beyer ermittelt hat. Progesteron und Östrogen sind weibliche Geschlechtshormone, die während der Menstruation regelmäßig in bestimmten Phasen und während einer Schwangerschaft in besonders erhöhten Mengen vorhanden sind. Der Hormonspiegel steigt dann um ein Vielfaches an. „Der weibliche Körper, aber auch der im Mutterleib befindliche Embryo, wird regelrecht mit Hormonen überschwemmt“, so Beyer, „die Einnistung der befruchteten Eizelle und deren Reifung wird dadurch ermöglicht und die spätere Milchproduktion vorbereitet.“

Klinische Studien sollen demnächst starten

Inwieweit sich die Hormone allerdings als Therapie bewähren und welche Nebenwirkungen die hochdosierten Hormonbehandlungen mit sich bringen, das werden erst ausführlichere Untersuchungen in den nächsten Jahren zeigen. Ein Unternehmen, das bereits ein Verfahren patentiert hat, um die Hormonmischung in einer Lösung Patienten intravenös verabreichen zu können, plant demnächst eine entsprechende klinische Studie zu starten.

Cordian Beyer wird dem Projekt weiterhin beratend zur Seite stehen. Doch ein Großteil der Arbeit ist für ihn abgeschlossen. „Ich sehe mich als Grundlagenforscher“, sagt er. Schon seit Beginn des Studiums geht es ihm ja darum, möglichst gut zu verstehen, was Hormone im Körper anrichten. „Das ist zum Beispiel wichtig, um Nebenwirkungen bei entsprechenden Medikamenten zu verstehen.“ Interessante Forschungsgebiete gibt es dabei genug. Eine noch offene Frage ist zum Beispiel, welche Rolle Hormone bei der Entstehung neuer Gefäße genau spielen. „Ich könnte noch bis zu meiner Rente weiterforschen, ohne dass es mir je langweilig wird“, meint Beyer und lacht. Mit einer Familie, drei Kindern und einer Begeisterung fürs regelmäßige Fußballspielen mit Freunden wird sich das auch so schnell nicht ändern.

© biotechnologie.de/cm

 

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