Genomforschung für Medizin immer wichtiger

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Mehrere hundert Schüler kamen zum Tag der Genomforschung, um mehr über die Arbeit der Wissenschaftler zu erfahren. Quelle: biotechnologie.de

29.09.2011  - 

Das Erbgut eines Menschen beeinflusst wesentlich, ob Krankheiten entstehen und welchen Verlauf sie nehmen. Nicht nur bei den großen Volkskrankheiten, auch  bei vielen anderen Leiden spielen die Gene eine wichtige Rolle. Vor zehn Jahren begann das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Vernetzung der deutschen Genomforschung gezielt zu unterstützen. Das Nationale Genomforschungsnetz (NGFN) entstand. Mit kurzen allgemeinverständlichen Vorträgen und Mitmach-Experimenten hat das Netzwerk nun sein zehnjähriges Jubiläum gefeiert. Mehrere hundert Schüler und viele erwachsene Interessierte kamen am 26. September zum Tag der Genomforschung nach Berlin.

 

A, C, T und G – in den vergangenen Jahren ist immer deutlicher geworden, wie sehr diese vier Buchstaben das Leben eines jeden Einzelnen bestimmen. Sie stehen für die Grundbausteine des genetischen Codes, der universellen Sprache des Lebens. Herausgefunden hatten das vor fünfzig Jahren die Biochemiker Heinrich Matthaei und Marshall Nirenberg von der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde NIH. Sie hatten den Code geknackt, und entdeckt, dass Gruppen aus jeweils drei Basen in der DNA für einen bestimmten Proteinbaustein codieren. Seit zehn Jahren ist die gesamte Basenabfolge im menschlichen Erbgut bekannt, das Genom gilt als entschlüsselt. Und doch sind noch immer viele Fragen offen geblieben. Sei es zum Einfluss der Gene auf Volksleiden oder ihre Beteiligung am Entstehen von Suchtkrankheiten. Seit 2001 unterstützte das BMBF die Vernetzung der deutschen Genomforscher im NGFN.

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Anlässlich seines zehnjährigen Jubiläums hat das NGFN nun zu einer Geburtstagsfeier der etwas anderen Art eingeladen. Beim Tag der Genomforschung stellten führende Köpfe im Forschungsverbund vor, wie ihre Arbeit den Menschen zugute kommen kann.Hunderte Schüler, aber auch viele Erwachsene, die sich für die Arbeit der Forscher interessierten konnten, sich am 26. September in der Urania in Berlin informieren.

Am Vormittag wurden ausgewählte Projekte aus dem NFGN in kurzen Vorträgen vorgestellt. „Keiner hätte sich vor zehn Jahren diese rasante Entwicklung vorstellen können“, sagte Markus Nöthen vom Institut für Humangenetik in Bonn zur Eröffnung. Und doch könne man auf das Erreichte stolz sein, betonte Helge Braun, Parlamentarischer Staatssekretär im BMBF. Mehr als 630 Mio. Euro Förderung hat das Ministerium im vergangenen Jahrzehnt zur Verfügung gestellt. „Die Investition hat sich gelohnt. Das Buch mit den vielen Buchstaben, die vermeintlich wahllos aneinangereiht waren, ist für uns lesbarer geworden“, so Braun. 

In kleinen Experimenten, wie der Isolierung der eigenen DNA, konnten die Jugendlichen selst zu Forschern werden.Lightbox-Link
In kleinen Experimenten, wie der Isolierung der eigenen DNA, konnten die Jugendlichen selst zu Forschern werden.Quelle: biotechnologie.de

In den 26 derzeit vom NGFN geförderten Verbünden werden aber nicht nur die großen Volksleiden erforscht. Martin Hrabé de Angelis vom Helmholtz-Zentrum München erklärte in Berlin, wie auch seltene genetische Erkrankungen aufgeklärt werden können (zum Profil…). In der von ihm geleiteten Deutschen Mausklinik (DMK) werden mutierte Mäuse gezüchtet und daraufhin untersucht, ob die genetische Veränderung in ihrem Erbgut zu physiologischen Veränderungen oder Verhaltensauffälligkeiten führt. Bei ihrer Gründung, im Januar 2002, war das Konzept weltweit einzigartig: 14 Fachgruppen untersuchen heute insgesamt 550 verschiedene Parameter, von einfachen Blutwerten bis hin zu komplexen Verhaltenstests. Die genaue Charakterisierung der Tiere kann auch zu einem besseren Verständnis menschlicher Erbkrankheiten beitragen, zeigte Hrabé de Angelis am Beispiel der Beethoven-Maus, die wie ihr berühmter Namensgeber taub ist. Als die Wissenschaftler nachforschten, weshalb diese Mäuse nicht hören können, stellten sie fest, dass die Haarzellen des Innenohrs nicht mehr vorhanden waren. Solche Haarzellen sind nötig, um Schallwellen aufzunehmen. Um der Krankheitsursache auf die Spur zu kommen, suchten die Forscher nach einer Veränderung im Maus-Erbgut – und waren schließlich beim Gen Tmc1 erfolgreich.

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Das Humangenom gilt seit zehn Jahren als entschlüsselt. Anlässlich dieses Jubiläums hat biotechnologie.de die wichtigsten Hintergrundinformationen zum Thema Humangenom in einem Dossier zusammengefasst.

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 „Tmc1 enthält die Bauanleitung für ein Eiweiß, das in der Hülle der Haarzellen vorkommt“, sagte der Forscher „Wird das Protein durch die Änderungen im Bauplan nicht richtig gebildet, so degenerieren die Haarsinneszellen nach einiger Zeit.“ Beim Menschen war dieser Mechanismus bisher unbekannt. Tatsächlich konnten die Forscher aber dank der Ergebnisse aus der Mausklinik zeigen, dass eine Erbkrankheit namens DFNA36 auf den gleichen Mechanismen beruht. Aufbauend auf den Ergebnissen der Mausklinik, versuchen britische Forscher nun eine Gentherapie für dieses Leiden zu entwickeln. Die Erfolge der Münchener finden auch international Beachtung. In den USA, mehreren europäischen Staate und Japan entstanden inzwischen ähnliche Einrichtungen. Anfang Oktober fällt der Startschuss für eine weltweite Kooperation: Die wichtigsten Mauskliniken der Welt wollen jedes der mehr als 20.000 Mausgene einzeln ausschalten und untersuchen anhand von jeweils 220 Parametern erfassen, welche Veränderungen sich ergeben.

Die 41. Folge von biotechnologie.tv ist eine Sondersendung zur Humangenomforschung.Quelle: biotechnologie.tv

Dass die Gene auch beim Suchtverhalten eine wichtige Rolle spielen, berichtete Rainer Spanagel vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. „Als Faustregel kann gelten, dass die Gene etwa 50 Prozent zur Alkoholabhängigkeit beisteuern“, erklärte der Suchtforscher den Schülern in Berlin. In der Forschung hat sich in den vergangenen Jahren die sogenannte glutamaterge Theorie der Alkoholsucht durchgesetzt. Glutamat ist der wichtigste erregende Botenstoff im Hirn. Beim Alkoholkonsum sinkt der Glutamatspiegel dort zunächst ab. Um dem entgegenzuwirken wird der Botenstoff schließlich vermehrt gebildet, bis wieder ein stabiles Niveau erreicht ist. „Im Entzug steigt der Glutamatspiegel durch die höhere Produktion weit über das normale Maß hinaus an“, so der Mannheimer Forscher. Auf diese Weise entstünden zum Beispiel auch die zittrigen Hände, die bei vielen Abhängigen zu beobachten seien. Spanagels Arbeitsgruppe sucht nun nach den Genen, die das Risiko für eine Abhängigkeit beeinflussen – oder auch den Erfolg eines Medikamenten-begleiteten Entzuges vorhersagen können. Die Forscher hoffen, dass sich damit künftig zielgerichtete Therapien entwickeln lassen. Sie sollen es den Betroffenen leichter machen, den Teufelskreis Alkoholsucht zu durchbrechen, berichtete Spanagel vor den Schülern in Berlin.

Hintergrund

Das NGFN baut auf dem Deutschen Humangenomprojekt (DHGP) auf, in dessen zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms beigetragen wurde. Seit 2001 fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das NGFN.

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Einige Projekte, die im NGFN entstanden, stehen mittlerweile an der Schwelle zum wirtschaftlichen Erfolg. Der Kieler Mediziner Stefan Schreiber berichtete über das von ihm geleitete Projekt zu entzündlichen Darmerkrankungen. Sein Team hat einen Weg gefunden, die chronische Entzündungsantwort auszuschalten, ohne wie bisher üblich, das ganze Immunsystem zu beeinträchtigen. Gemeinsam mit der Schweizer Pharmafirma Ferring soll die Kieler Universitätsausgründung Conaris Research Institute AG nun ein entsprechendes Medikament entwickeln. Die klinischen Versuche könnten schon 2012 starten, berichtete Schreiber in Berlin.

Die Besucher in der Urania konnten jedoch nicht nur zuhören, sondern auch selbst aktiv werden. Das Gläserne Labor aus Berlin hatte drei Mitmach-Experimente im Angebot, mit dem die Schüler selbst zu Genomforschern wurden. So konnten sie ihre eigene Blutgruppe bestimmen, ihre DNA aus der eigenen Mundschleimhaut isolieren, oder einen der klassischen Modellorganismen der Biologie, den Zebrafisch unter dem Mikroskop beobachten. Offenbar hatten die Organisatoren damit bei den Jugendlichen genau ins Schwarze getroffen, an den drei Ständen bildeten sich lange Schlangen.

© biotechnologie.de/bk 



 

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