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Vorfahre der Brauhefe lebt in Südamerika

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Neun von zehn auf der Welt getrunkenen Bieren ist mit untergärigen Hefen hergestellt. Der Urvater des Pilzes könnte aus dem Urwald Südamerikas stammen. Quelle: tirot/pixelio.de

24.08.2011  - 

Bierbrauen zählt zu den Ur-Tätigkeiten in der Geschichte der Biotechnologie. Doch erst zum Ende des Mittelalters gelang es in Süddeutschland, mit der Hilfe von „untergärigen“ Hefen bei kühlen Temperaturen Bier zu brauen. Pils, Bockbier und Lager haben seither die Märkte erobert. Bis heute war jedoch rätselhaft, von welchen genetischen Eltern die untergärige Bierhefe Saccharomyces pastorianus abstammt. Ein internationales Forscherteam wurde nun überraschend in südamerikanischen Wäldern fündig. Hier lebt ein Hefepilz, der mit hoher Wahrscheinlichkeit sein genetisches Material mit dem der klassischen Bierhefe vermischt hat. Wie die Forscher im Fachblatt PNAS (2011, Online-Vorabveröffentlichung) mutmaßen, sind die südamerikanischen Hefen wohl mit den Seefahrern über den Atlantik in die europäischen Bierkeller eingeschleppt worden. Die Erkenntnisse könnten bei der Entwicklung neuer Braustämme nützen.

Die nun aufgespürten Hefen müssen im 15. Jahrhundert, so vermuten die Autoren, mit den nach Europa heimkehrenden Schiffen in die kühlen Keller klösterlicher Bierbrauereien gelangt sein. Dort vermischte sich das Erbgut der einzelligen Pilze mit dem der damals gängigen obergärigen Bierhefen. Der entstandene Hybrid wurde zur Ausgangsbasis für ein Gebräu, dass unter dem Namen „Lager“ ein Exportschlager in alle Welt wurde. Für das Bierbrauen wird Hefe benötigt. Vor dem 15. Jahrhundert existierte nur Bier, das bei Temperaturen von 15 bis 20 Grad Celsius gebraut wurde. Zu solchen obergärigen Sorten gehören heute noch Kölsch, Weißbier oder Ale. Um dagegen ein Pils zu brauen, benötigt man Hefen, die schon bei niedrigen Temperaturen zwischen vier bis neun Grad Celsius gären. Dieses Verfahren entstand jedoch erst, als die seit Jahrhunderten in Europa zum Brotbacken und Bierbrauen genutzte Hefe Saccharomyces cerevisiae mit einer fremden Hefeart verschmolz. Entstanden ist eine Art, die Mikrobiologen unter dem Namen Saccharomyces pastorianus kennen. Die Herkunft jenes Erbgutanteils, der dafür sorgte, dass die Brauhefen mit kühlen Temperaturen klarkommen, blieb bislang rätselhaft. „Die untergärige Hefe ist ein Hybrid, dessen Genetik wir noch nicht gut verstehen“, sagt Martin Zarnkow, Brauingenieur vom Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie an der TU München. Nur zu gern wüssten Brauexperten genauer über die Abstammungsverhältnisse ihrer Mikroben Bescheid – schließlich machen die untergärigen Gebräue mittlerweile 90 Prozent des Bierangebots weltweit aus, mit einem Jahresumsatz von 250 Milliarden US-Dollar.

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Ein internationales Forscherteam aus Argentinien, Portugal und den USA hat nun nach jahrelanger Suche den Stammbaum der untergärigen Hefe aufgeklärt. In den Wäldern im südamerikanischen Patagonien stießen die Wissenschaftler auf Pflanzenteile, die eine auch bei kühlen Temperaturen extrem aktive Hefe-Art enthielten. Genetische Tests enthüllten erstaunliche Gemeinsamkeiten zwischen dem neu entdeckten Pilz und dem Erbgut von S. pastorianus. "Die Sequenz erwies sich als völlig verschieden von allen bekannten wilden Hefearten", sagt Chris Todd Hittinger von der University of Wisconsin-Madison. Sie sei aber zu 99,5 Prozent identisch mit den nicht von der herkömmlichen Bierhefe stammenden Erbgutanteilen der untergärigen Hefe. Damit sei die neue Entdeckung eindeutig die Art, die einst mit Saccharomyces cerevisiae verschmolzen sei, berichten die Forscher.

Die neu entdeckte Hefeart, getauft Saccharomyces eubayanus, lebt in ihrem Ursprungsgebiet in Patagonien offenbar in enger Gemeinschaft mit der Südbuche, einem nur auf der Südhalbkugel vorkommenden Verwandten unserer heimischen Buchen. Werden diese Bäume von einem bestimmten Pilz befallen, bilden sie rundliche Auswüchse, sogenannte Gallen. Diese enthalten besonders viel Zucker - und auch die neu entdeckten Hefen, berichten die Forscher. "Die Hefe ist in diesen Gallen so aktiv, dass sie spontan fermentiert", sagt Hittinger. Wenn die Gallen überreif sind, fallen sie zum Waldboden hinab. Dort bilden sie einen dicken Teppich, der intensiv nach Alkohol riecht. "Dies geschieht wahrscheinlich aufgrund der Arbeit unserer neuen Saccharomyces eubayanus", vermutet Hittinger.

Bier in zwei Klassen

Obergäriges Bier: Dazu zählen Kölsch, Altbier, die Berliner Weiße, Weizenbier sowie Ale.  

Untergäriges Bier: Pils, Helles, Bockbier oder Export, wurde im 16. Jahrhundert erstmals gebraut. Macht heute den Löwenanteil aller Biersorten aus.

Wie gelang der Sprung nach Europa ?

Doch wie gelangte die patagonische Hefe auf den europäischen Kontinent ? Vielleicht wurde die Mikrobe per Schiff nach Europa eingeschleppt  - möglicherweise in Holzstücken oder sogar im Bauch von Fruchtfliegen - vermuten die Forscher. Im europäischen Freiland habe sich diese Art offenbar nicht halten können, wohl aber in den kühlen Kellern der damaligen Klosterbrauereien. Dort kreuzte sie sich mit der herkömmlichen Bierhefe. Der Münchner Brauingenieur Zarnkow begegnet der Interpretation der Forscher jedoch mit einiger Skepsis. „Es ist schwer vorstellbar, dass es gerade diese Art aus der gewaltigen Vielfalt der Hefen war, die plötzlich den Sprung in die europäischen Braufässer gemacht haben soll“, sagt Zarnkow im Gespräch mit biotechnologie.de. Zudem gebe es Hinweise, nach denen das Phänomen der Untergärung bereits in der Römerzeit aufgetaucht sei. Gleichzeitig sei die Entdeckung aus wissenschaftlicher Sicht sehr spannend, so Zarnkow. Auch die argentinischen Forscher betonen, die Entdeckung des möglichen Stammvaters der untergärigen Bierhefe eröffne nun möglicherweise Wege, die industriell genutzten Hefestämme weiter zu verbessern.

© biotechnologie.de/pg

 

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