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Epigenetische Medikamente: Präzisionsgewehr statt Schrotflinte

Die Cellzome-Forscher haben 16 Substanzen dahingehend geprüft, wie weit sie in den epigenetischen Prozess bei Krebszellen eingreifen. Wechselwirkungen sind als weiße Streifen zu erkennen. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Die Cellzome-Forscher haben 16 Substanzen dahingehend geprüft, wie weit sie in den epigenetischen Prozess bei Krebszellen eingreifen. Wechselwirkungen sind als weiße Streifen zu erkennen. Quelle: Cellzome

26.01.2011  - 

Bei Krankheiten wie Krebs häufen sich nicht nur im Erbgut massenhaft Fehler an. Auch die epigenetische „Software“, die die Aktivität von Genen steuert, läuft aus dem Ruder. Pharmaforscher nehmen deswegen immer stärker die Proteine ins Visier, die das genetische An- und Abschaltprogramm in der Zelle steuern. Sie gelten als möglicher Angriffspunkt für neuartige Medikamente. Nun hat das Heidelberger Biotechnologie-Unternehmen Cellzome erstmals umfassend untersucht, wie 16 verschiedene Wirkstoffe mit bestimmten Enzymen, den sogenannten Histon-Deacetylasen, wechselwirken. Wie die Forscher im Fachjournal Nature Biotechnology (2011, Online-Vorabveröffentlichung) berichten, lassen sich mit diesem Wissen weitaus präzisere epigenetisch wirksame Arzneien entwickeln.

 

Eigentlich tragen alle Zellen eines Organismus die gleiche Version des Erbinformationstextes DNA in ihrem Kern. Trotzdem gibt es zum Beispiel beim Menschen mehrere hundert unterschiedliche Zellarten. Die entstehen, weil der DNA-Text in den einzelnen Zellen an unterschiedlichen Stellen abgelesen wird. Kontrolliert wird der Ablesevorgang durch sogenannte epigenetische Schalter. Diese Erbgut-„Software“ basiert auf chemischen Markierungen. Sie sitzen entweder auf der DNA (Methylgruppen) oder aber auf den stützenden Histon-Proteinen, um die das Erbmolekül im Zellkern gewickelt ist.

Mit umfangreichen Reihenuntersuchungen wie der chemoproteomischen Analyse bestimmten die Forscher von Cellzome jene Substanzen, die mit den epigenetisch wirksamen HDAC-Enzymen am besten wechselwirken. Lightbox-Link
Mit umfangreichen Reihenuntersuchungen wie der chemoproteomischen Analyse bestimmten die Forscher von Cellzome jene Substanzen, die mit den epigenetisch wirksamen HDAC-Enzymen am besten wechselwirken. Quelle: Cellzome

Von den chemischen Markierungen hängt ab, wie oft die einzelnen Gene in der Zelle abgelesen werden und wie viele Proteine damit aus ihnen entstehen. Damit nehmen sie eine zentrale Rolle im Zellgeschehen ein, deren Bedeutung den Forschern erst in den vergangenen Jahren so richtig klar geworden ist. Dank neuer Verfahren verstehen Molekularbiologen mittlerweile immer besser, wie die komplexe Vielfalt der epigenetischen Veränderungen in einer Zelle aufeinander abgestimmt ist. Große internationale Projekte bringen Licht ins epigenetische Dunkel. So will ein humanes Epigenom-Konsortium das epigenetische Profil einer Vielzahl von menschlichen Zelltypen ermitteln (mehr...).

Enyme rasieren die Acetylgruppen ab

Aber auch bei der Erforschung von Krankheiten rückt die Epigenetik immer stärker in den Fokus. Erste Ergebnisse gibt es schon: In den USA sind bereits vier Epigenetik-Arzneien  der Pharmaunternehmen Celgene, Merck und Johnson & Johnson zugelassen worden. Und viele Pharmafirmen haben ähnliche Wirkstoffe in ihrer Entwicklungspipeline. Allerdings eint epigenetisch wirksame Medikamente ein großer Nachteil: Sie wirken in vielen Fällen nicht spezifisch genug und verursachen starke Nebenwirkungen. Pharmaforscher versuchen deshalb, eine neue Generation von Wirkstoffen zu entwerfen, die präziser auf ihr Zielmolekül und nur auf dieses passen.

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Bei vielen Krebszellen könnten dieses Ziel bestimmte Enzyme sein, die für die sogenannte Deacetylierung verantwortlich sind. In Tumorzellen gerät das epigenetische Programm völlig außer Kontrolle. Zum einen nimmt in der DNA entarteter Zellen zum Beispiel die Zahl der Methylgruppen deutlich ab, dadurch werden wesentlich mehr Gene als nötig abgelesen und das Erbmolekül wird insgesamt fehleranfälliger. Eine weitere typische Änderung betrifft die sogenannten Acetyl-Gruppen an den Histon-Molekülen. In Krebszellen ist deren Zahl deutlich heruntergesetzt. Die Forscher sprechen deshalb von Deacetylierung. Durchgeführt wird die gefährliche Deacetylierung von eben jenen Enzymen, die jetzt im Visier der Pharmaforschung stehen. Die Idee: Könnte man die Enzyme blockieren, würde die Deacetylierung vermindert.

Das Heidelberger Biotechnologie-Unternehmen Cellzome hat nun erstmals untersucht, wie eine derartige Blockade aussehen könnte. Die Molekularbiologen rund um Mitgründerin und Forschungsverantwortliche Gitte Neubauer (mehr...)  haben eine sogenannte chemoproteomische Analyse durchgeführt. So ließ sich ermitteln, wie genau 16 Inhibitor-Moleküle die Enzymkomplexe HDAC1 und HDAC2 erkennen und mit ihnen wechselwirken. HDAC ist die Abkürzung für Histondeacetylase. Diese Enzymkomplexe -mehrere Versionen sind bekannt- setzen sich aus mehreren Eiweißen zusammen. Wie winzige molekulare Rasiermesser schneiden sie Acetylreste von der Oberfläche von Histon-Proteinen.

Proteinkomplexe als Ziel

Wie die Heidelberger Biochemiker in Nature Biotechnology (2011, Online-Vorabveröffentlichung) schreiben, offenbarte ihre Analyse, wie unterschiedlich die getesteten Substanzen wirken. Für Gerard Drewes, den Leiter der Cellzome-Studie, folgt daraus: „Wir müssen das Konzept des Drug Targets als einzelnes Zielprotein erweitern auf die Betrachtung des gesamten Proteinkomplexes, damit wir das subtile Zusammenspiel von Wirkstoff und Zielprotein verstehen.“ Aus der Sicht der Forscher genügt es deshalb nicht, sich nur auf ein Angriffsziel einzuschießen. Mit einem eigens entwickelten Verfahren fahndet Cellzome nun nach weiteren Angriffspunkten für epigenetische Wirkstoffe. Neben Therapeutika für die Krebsbehandlung haben die Heidelberger auch immunologisch-entzündliche Erkrankungen im Blick. Seit 2010 kooperiert Cellzome mit dem britischen Pharmakonzern GlaxoSmithKline (GSK). Das Projekt der vorgelegten Studie wurde unter anderem mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt: Cellzome ist Partner des Spitzenclusters „Zellbasierte & Molekulare Medizin in der Metropolregion Rhein-Neckar (BioRN)“ in Heidelberg. Der Cluster war 2008 bei der ersten Runde des BMBF-Spitzencluster-Wettbewerbs erfolgreich, die den Akteuren aus Akademie und Wirtschaft in der Region rund 40 Millionen Euro bescherte (mehr...).

 

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