Honigbienen: Epigenetik als Königinnen-Macher
05.11.2010 -
Der Bienenstaat ist ein extremes Beispiel dafür, wie unterschiedlich sich Organismen einer Art trotz identischer Erbinformationen entwickeln können. Ob aus einer Larve eine Königin oder eine Arbeiterin wird, hängt dabei auch von der Epigenetik ab. Wie Forscher aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg gemeinsam mit australischen Kollegen im Fachmagazin PLoS Biology (2. November 2010, Online-Veröffentlichung) berichten, bestimmen chemische Markierungen im Erbgut - beeinflusst durch die Nahrung - darüber, ob bestimmte Gene abgelesen werden oder nicht. Bienenköniginnen und Arbeiterinnen unterscheiden sich dabei in der chemischen Markierung von etwa 550 Genen. Die Krebsforscher wählten die Biene als Modell für ihre Forschung an menschlichen Zellen. Denn auch gesunde und Krebszellen teilen das gleiche Genom, entwickeln aber abweichende Eigenschaften.
Der Bienenstaat ist ein faszinierendes Beispiel für strikte Arbeitsteilung und Hierarchie in der Natur. Obwohl alle Staatsangehörige nahezu identisches Erbgut besitzen, sind die Bienenkönigin und ihre Arbeiterinnen äußerlich sehr unterschiedlich: Die große, langlebige Bienenkönigin ist wie eine Eierlegemaschine zeitlebens damit beschäftigt, Nachwuchs in die Welt zu setzen. Die wesentlich kleineren Arbeiterinnen dagegen sammeln Nahrung, halten den Stock in Ordnung, pflegen und füttern die Brut – sind aber selbst unfruchtbar. Bienenforschern und -züchtern ist schon länger klar, dass allein die Qualität des Futters für die Larven darüber entscheidet, ob aus ihnen einmal eine Königin oder eine Arbeiterin wird. Werden Larven lange Zeit mit einem exquisiten Saft namens Geleé Royale gefüttert, werden sie zu Königinnen. Stehen hingegen nur Pollen auf dem Speiseplan, entwickeln sich Arbeiterinnen.
Paradebeispiel für die Macht der Epigenetik
Die schicksalhafte Ernährung im Bienenstaat ist ein Paradebeispiel dafür, wie wechselnde Umweltbedingungen die Aktivität von Genen beeinflussen können. Im Genom der Bienen sorgen chemische Markierungen dafür - sogenannte Methylgruppen - dass bestimmte Erbanlagen an- oder abgeschaltet werden. Diese epigenetischen Mechanismen stellen wichtige Weichen für die weitere Entwicklung. Bislang war jedoch unklar, welche epigenetischen Prozesse im Bienengenom genau ablaufen, wenn die Tiere mit besonders viel Geleé Royale gefüttert werden. Australische Forscher hatten kürzlich die Effekte des Kraftfutters imitiert, indem sie in Bienenlarven das Enzym abschalteten, das die DNA mit Methylgruppen markiert. Aus diesen Larven entwickelten sich ausschließlich Königinnen – ganz ohne Gelee Royale. Das war ein eindeutiger Hinweis darauf, dass es Methylmarkierungen sind, die über das Schicksal der Larven entscheiden, indem sie die Aktivität bestimmter Gene beeinflussen.
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Bienengenome nach Methylgruppen abgesucht
Nun haben Krebsforscher vom DKFZ in Heidelberg zusammen mit Kollegen von der Australian National University in Canberra erstmals die kompletten Genome von Bienenarbeiterinnen und Bienenköniginnen nach Methylgruppen abgesucht und dabei eine Karte der epigenetischen Markierungen erstellt. Im Gegensatz zum reich methylierten menschlichen Erbgut enthält das Bienengenom deutlich weniger Methyl-Markierungen. Bei über 550 Genen entdeckten die Forscher eindeutige Unterschiede zwischen Arbeiterinnen und Königinnen. Diese Gene sind häufig in der Evolution hoch konserviert – für die Forscher ein Hinweis, dass sie wichtige Aufgaben der Zelle erfüllen. Sie beeinflussen wichtige Zellfunktionen und das Verhalten der Insekten.
Erkenntnisse für die Krebsforschung
Die Krebsforscher aus Heidelberg sind allerdings nur vorübergehend ins Insektenfach gewechselt. “Die Biene mit ihrem kleinen Genom diente uns als Modell zum Erproben der Technik, auch beim großen Erbgut des Menschen können wir solche Untersuchungen nun durchführen“, erläutert DKFZ-Forscher und Epigenetik-Experte Frank Lyko. In der Analyse epigenetischer Markierungen sieht der Molekularbiologe einen Schlüssel, um zu verstehen, wie Zellen entarten und zu Krebs führen. „Krebszellen und gesunde Zellen haben ein identisches Genom, verhalten sich aber völlig unterschiedlich. Das liegt zu einem guten Teil an unterschiedlich methylierten Genen. Auch Bienenkönigin und Arbeiterin teilen das gleich Erbgut, trotz aller äußerlichen Unterschiede. Auch hier könnten Methylmarkierungen für die abweichende Entwicklung verantwortlich sein“, so Lyko. Die epigenetische Genregulation hat für die Krebsforscher auch ganz praktische Bedeutung: Die chemischen Markierungen lassen sich durch Medikamente beeinflussen und gelten daher als aussichtsreicher Angriffspunkt für neue Krebstherapien. So ist Lyko auch Teil einer strategischen Allianz zwischen dem DKFZ und dem Pharmakonzern Bayer Schering, die 2008 geschlossen wurde, um unter anderem mithilfe epigenetischer Erkenntnisse neue Medikamente zu entwickeln (mehr...).