Mit Mikroben Treibhausgas in Rohstoffe umwandeln
06.05.2010 -
Industrienationen wie Deutschland stehen vor einem Dilemma. Einerseits wird täglich jede Menge Energie und Strom gebraucht: für den Kühlschrank, das Licht, den Computer, das Auto. Andererseits muss dringend verhindert werden, dass immer mehr klimaschädliches Treibhausgas in die Atmosphäre entweicht. Neue Technologien sollen Energieversorger wie RWE nun helfen, den Ausstoß zu reduzieren. Kohlendioxid als Rohstoff zu nutzen, wäre eine interessante Option. Schon seit längerem forscht RWE an Algen, die CO2 in Biomasse umwandeln. Seit Anfang des Jahres kooperiert RWE nun auch mit Biotechnologen der Firma Brain. Statt Algen wollen sie Mikroorganismen nutzen.
Wer in Niederaußem den Weg zum Energieriesen RWE und seinem Braunkohlekraftwerk sucht, der sieht sein Ziel schon von weitem. Wie eine frühmittelalterliche Trutzburg beherrschen die 200 Meter hohen Kühltürme mitsamt einer imposanten Dampfwolke das Dorf rund 20 Kilometer westlich von Köln. Hier wird bei Vollast Strom für 16 Millionen Menschen produziert. Das Selbstbewusstsein sitzt daher tief. „Wir haben für etwa 40 Jahre die Genehmigung, Kohle abzubauen. Die Vorräte im rheinischen Braunkohlerevier reichen sogar noch für mehrere hundert Jahre“, sagt Dr. Johannes Ewers. Der studierte Ingenieur ist bei RWE für neue Technologien zuständig. Er weiß, dass der Wandel bei einem Unternehmen wie RWE nicht kurzfristig zu haben ist. Und doch suchen die Energiekonzerne immer intensiver nach Alternativen. Für RWE ist Niederaußem Forschungsstandort. „Wir verfolgen viele Ansätze, Kohlendioxid-Emmissionen zu vermeiden“, erläutert Ewers mit Blick auf das 100 Millionen Euro umfassende Programm „Clean Coal Power“, das er verantwortet.
400 Millionen Euro für CO2-Zertifikate
Die Zeit drängt. Auch für ihn. Pro Jahr muss RWE Emissionszertifikate für 25 Mio. Tonnen CO2 kaufen – allein für die Anlage in Niederaußem. Die dafür fälligen Beträge schmerzen selbst einen Riesenkonzern, der knapp 50 Mrd. Euro Umsatz erwirtschaftet. Die Zertifikate des Kraftwerks in Niederaußem schlagen mit mehr als 350 Mio. Euro im Jahr zu Buche. Diese Summen treiben Männer wie Ewers an, den CO2-Ausstoß zu senken. Ihr Blick ist dabei von Realismus geprägt. „Eine komplette Vermeidung wird es nie geben, wir müssen deshalb vor allem effizienter werden“, lautet Ewers Devise. Das heißt: Der Wirkungsgrad der Kraftwerke – er liegt bei modernen Braunkohleblöcken derzeit bei rund 43% – muss weiter erhöht werden. Die Abscheidung von Kohlendioxid aus dem Rauchgas ist ebenfalls erprobt und großtechnisch machbar. „Das wäre eine gute Möglichkeit, große Mengen CO2 aus dem Kreislauf zu nehmen – für uns der Königsweg“, betont Ewers. Doch das sogenannte Carbon Capture and Storage (CCS)-Verfahren ist politisch ein schwieriges Unterfangen.
Algen im Gewächshaus
Derweil laufen die CO2-Abscheidungsversuche in Niederaußem weiter auf Hochtouren. In einer Testanlage wurde ein Prozess entwickelt, mit dem sich Kohlendioxid aus dem Rauchgas mit einer wässrigen Aminlösung holen lässt. Dieser nachgeschaltete Prozess kostet allerdings Effizienz. „Der Wirkungsgrad sinkt um mindestens 10%“, sagt Ewers. Hier kommt nun die Biotechnologie ins Spiel – in Form von biologischen Helfern, die den CO2-Anteil von 15 Prozent im Rauchgas weiterverwerten können.
Vom Klimakiller zum Rohstoff – nicht nur RWE, auch einige andere Energieversorger setzen dabei vor allem auf Algen. Ob EON in Hamburg oder Vattenfall am Kraftwerk Senftenberg, seit Jahren wird daran gearbeitet, die Algen als Biomasseproduzenten zu nutzen. Die größte Algenversuchsanlage steht derzeit allerdings nur einen Steinwurf vom RWE-Kohlekraftwerk Niederaußem entfernt, in einem unauffälligen Gewächshaus. Eingerahmt von Tausenden Fuchsien, die für Blumenläden bestimmt sind, blubbert hier Rauchgas durch kilometerlange Plastikschläuche, die mit algengrüner Flüssigkeit gefüllt sind. Eine Umweltwissenschaftlerin kümmert sich darum, dass es ihren Schützlingen an nichts fehlt. Seit gut 18 Monaten ist die Anlage in Betrieb, inzwischen entstehen rund sechs Tonnen Algenmasse im Jahr, die rund zwölf Tonnen CO2 aus dem Kraftwerksrauchgas gespeichert haben. Für die Entwicklung der Algenanlage hat sich RWE Experten von deutschen Hochschulen geholt. Mit dabei sind Wissenschaftler um Laurenz Thomsen von der Jacobs University Bremen sowie Kollegen vom Forschungszentrum Jülich und dem Bremer Spin-off Phytosolutions, die den Betrieb der Pilotanlage übernommen hat. „In der ersten Projektphase haben wir gezeigt, dass die Algen das Rauchgas tatsächlich in Biomasse umwandeln können“, bilanziert Thomsen. Die Forscher sind darauf spezialisiert, natürliche, an den Standort und seine Lichtverhältnisse angepasste Algen zu finden. Darüber hinaus fokussieren die Algenforscher auf Algen, die auch Salzwasser tolerieren. "Wir wollen die knappe Ressource Trinkwasser nicht für solche Zwecke nutzen müssen", so Thomsen. Bei RWE ist vor allem eine möglichst einfache Handhabung wichtig. „Damit sich die CO2-Einbindung in Algen lohnt, sollte der apparative und energetische Aufwand möglichst gering gehalten werden. Der nächste Schritt soll daher weg vom Gewächshaus hin zum Freiland führen“, erläutert Ewers. Diese Anlagen müssen dann auch jedem Wetter trotzen können, daran wird derzeit gearbeitet.
Molekulare Bionik
Algen jedoch haben ein prinzipielles Problem: Wird die Algenbiomasse lediglich verheizt, ist die Energieausbeute pro Tonne CO2 zwar höher, der Klimaschädling gelangt letztlich aber trotzdem in die Atmosphäre. Deshalb wird bei RWE auch an der hydrothermalen Karbonisierung geforscht, bei der die Biomasse unter Zugabe von Wasser unter Sauerstoffabschluss bei hohem Druck erhitzt wird. Aus den biologischen Verbindungen entsteht eine dunkle Masse, die verschiedene Kohlenwasserstoffprodukte enthält – quasi eine Erdölproduktion im Zeitraffer. Noch befindet sich das Verfahren im Forschungsstadium. Der große Nachteil der Algen ist jedoch ihr hoher Lichtbedarf. Deshalb verschlingen die Algenanlagen vergleichsweise viel Platz. Wesentlich genügsamer sind Mikroorganismen.
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"Es gibt tatsächlich Mikroorganismen, die ausschließlich von CO2 leben, also eine anderen Kohlenstoffquelle gar nicht nutzen können. Und das sind natürlich hoch interessante Prototypen für uns", erläutert Holger Zinke, Chef der Biotech-Firma Brain und ein Pionier der industriellen Biotechnologie in Deutschland (mehr...). Die Mikroorganismen sind den Algen dabei schon von ihrer Geschichte her einen Schritt voraus. „Evolutionär betrachtet hatten sie mehr als zwei Milliarden Jahre Zeit, um zu lernen, mit CO2 als Kohlenstoffquelle auszukommen. Statt Licht reicht ihnen Wasserstoff oder Schwefel als Energieträger“, sagt Jürgen Eck, Wissenschaftsvorstand bei Brain. Nicht zuletzt aus diesen Gründen sind die Mikroorganismen für die Biotechnologen optimale CO2 -Verwerter.
Kohlendioxid als Rohstoff verwerten
Seit Anfang des Jahres gibt es deshalb ein gemeinsames Forschungsprojekt zwischen RWE und Brain. Dabei sollen Mikroorganismen identifziert werden, die CO2 fixieren können und in einem nächsten Schritt sogar in einen Rohstoff umwandeln.Mit RWE sollen zunächst erste Schritte in diese Richtung gegangen werden. „Wir spielen zusammen mit Brain den Pfadfinder“, sagt Forschungsleiter Ewers und schränkt gleichzeitig ein: „Wir können nicht alles mit CO2-Nutzung erschlagen.“ Das schreckt die Biotechnologen bei Brain allerdings nicht ab, die bei ihrem Weg von „molekularer Bionik“ sprechen. „Das, was unsere kohlenstoffbasierte Welt nicht hinbekommen hat, können die Mikroorganismen: den CO2-Kreislauf schließen“, betont Eck. Die Vision der Biotechnologen: CO2 nicht nur als finales Produkt zu erzeugen, sondern als Rohstoff wieder in den Stoffkreislauf zurückzuführen. So ließen sich womöglich irgendwann Biopolymere aus Kraftwerksabwerksabgasen gewinnen.
Einen mikrobiellen Prototypen hat Brain bereits im Wiesbadener Kochbrunnen aufgespürt: Azedianus ambivalens kann mit CO2 als einziger Kohlenstoffquelle wachsen und gedeihen. Um den Prozess so effizient wie möglich zu gestalten, suchen die Brain-Wissenschaftler aber auch Co-Kulturen, also Bakterien-Gesellschaften, die sich symbiotisch Stoffwechselprodukte zuschieben, etwa Wasserstoffproduzenten und CO2-Fixierer. Dafür sind die Zwingenberger schon in das sechs Meter hohe Rauchgas-Abluftrohr geklettert, um sich dort die mikrobielle Besiedlung anzusehen. „Wir müssen lernen, solche Co-Kulturen stabil zu kultivieren und als Chassis für unsere Zwecke zu nutzen“, beschreibt Eck die Herausforderung, die bislang für industrielle Zwecke noch niemand gewagt hat. Helfen soll den Biotechnologen auch ihre Metagenom-Verfahren, mit denen sie Mikroorganismen aufspüren können, die sich nicht so leicht kultivieren lassen. Am Ende müssen die biologischen Helfer das Co2 nämlich in großen Mengen und sehr effizient fixieren können. Hier steht man noch am Anfang.
So ist Niederaußem auch ein Standort für biotechnologische Pionierarbeit. Demnächst sollen sechs Fermenter mit Mikroorganismen in luftiger Höhe direkt am Kraftwerk kleben und mit Rauchgas gefüttert werden. Schon in fünf Jahren soll Baubeginn für eine größere Pilotanlage sein. „Einen Platz dafür haben wir schon ausgesucht, direkt neben der CO2-Wäscheanlage“, sagt Eck und zeigt auf eine leere Fläche gegenüber dem riesigen Kühlturm. Von dort haben die Biotechnologen auch ihr Vorbild klar vor Augen: die Knauf AG. Seit den 80er Jahren wird nur wenige Meter hinter dem RWE-Werk das aus dem Rauchgas gefällte Gipspulver weiterverarbeitet. Ein lukrative Co-Kultur, wie sie sich auch die Biotechnologen bei Brain gut vorstellen könnte: RWE ist heute der größte Gipsproduzent der Republik, Knauf macht mit Baumaterialien mehr als 5 Mrd. Euro Umsatz pro Jahr.
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