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Neuartiger Biotech-Wirkstoff für todkrankes Kind

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Mit einem experimentellen Wirkstoff, der bisher nur an Labormäusen getestet wurde, ist ein Säugling in Australien geheilt worden. Quelle: Universität Köln

10.11.2009  - 

Deutsche Wissenschaftler aus Köln und Göttingen haben einen Säugling in Australien mit einem experimentellen, biotechnologisch hergestellten Wirkstoff gerettet. Wie die behandelnden Mediziner in Melbourne mitteilten, litt das heute 18 Monate alte Mädchen, das unter dem Namen "Baby Z" bekannt wurde, unter einem sehr seltenen, angeborenen Stoffwechselleiden, der sogenannten Molybdän-Cofaktor-Defizienz. Giftige Sulfit-Ablagerungen im Gehirn führen dabei zu Krämpfen, Hirnschädigungen und meist schon im Kindesalter zum Tode. Die in modifizierten E.coli-Bakterien hergestellte Substanz reduziert die Sulfit-Belastung. Entwickelt wurde das Produktionsverfahren im Rahmen der BioProfile-Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).




Das Leiden des neugeborenen "Baby Z" war im Mai 2008 beobachtet worden. "Kinder, die an dieser Krankheit leiden, werden auffällig, in dem sie einen, zwei Tage nach der Geburt schwer therapierbare Krämpfe haben, die Nahrungsaufnahme verweigern, stark schreien", sagt Günter Schwarz. Der Biochemiker leitet eine Arbeitsgruppe am Institut für Biochemie an der Universität Köln. Er hat den experimentellen Wirkstoff zur Verfügung gestellt, mit dem "Baby Z" behandelt wurde. Die äußerst seltene Krankheit gilt als unheilbar. Weltweit sind nur 130 Fälle seit der Erstbeschreibung 1977 bekannt. Bei den kleinen Patienten fehlt der sogenannte Molybdän-Cofaktor. Der sorgt dafür, das Sulfit in der Leber entgiftet wird. Bei den Neugeborenen wird das Gehirn vom Sulfit angegriffen und stirbt in wenigen Wochen ab.

Günter Schwarz an seinem Arbeitsplatz im Institut für Biochemie der Universität Köln.Lightbox-Link
Günter Schwarz an seinem Arbeitsplatz im Institut für Biochemie der Universität Köln.Quelle: Universität Köln

Die Substanz cPMP ist bei Menschen und Mäusen gleich

Cofaktoren sind chemische Verbindungen, die für die Funktion von Enzymen im Körper nötig sind. Für die Bildung des Molybdän-Cofaktors unabdingbar ist die organische Verbindung "cyclic pyranopterin monophosphate". Dieses cPMP können die Betroffenen aufgrund eines Gendefekts nicht bilden. Günter Schwarz, der vor seinem Wechsel nach Köln noch an der TU Braunschweig forschte, klärte zusammen mit seinem Kollegen José Santamaria Araujo und Jochen Reiss von der Universität Göttingen in jahrelanger Arbeit auf, welche Gene an der Bildung des Cofaktors beteiligt sind. Es gelang ihnen schließlich, cPMP in genetisch modifizierten E.coli-Bakterien herstellen zu lassen. Mit einer Unterstützung in Höhe von 830.000 Euro im Rahmen der BioProfile-Förderung ermöglichte das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Weiterentwicklung des Fermentations- und Reinigungsverfahrens, damit cPMP auch in nennenswerten Mengen gewonnen werden kann. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler im Jahr 2004 im Fachblatt Human Molecular Genetics (Vol. 13, No. 12, 1249-1255).

BioProfile

Die BioProfile Förderung durch das BMBF beschränkte sich auf drei Regionen. Von 1999 bis 2007 wurden biotechnologische Projekte in Clustern um Hannover, Berlin und Stuttgart mit insgesamt 51 Millionen Euro unterstützt.

mehr Informationen zu BioProfile: hier klicken

Die Wirksamkeit des selbst hergestellten cPMPs testete Schwarz an Mäusen, die von den Forschern der Arbeitsgruppe um Reiss in Göttingen genetisch verändert worden waren. Sie konnten deshalb den Molybdän-Cofaktor nicht selbst bilden und zeigten die gleichen Symptome wie die menschlichen Patienten. Die Nager starben innerhalb der ersten zwölf Lebenstage. Nachdem die Wissenschaftler den Mäusen zweimal in der Woche cPMP in die Leber injizierten, überlebten die Tiere nicht nur, sie zeigten auch keinerlei  Beeinträchtigungen mehr. Nebenwirkungen beobachteten die Forscher nicht. Das hängt wohl damit zusammen, dass cPMP bei Pflanzen, Tieren und Menschen die gleiche Struktur aufweist. "Die Kausalität war ganz klar", sagt Schwarz. "Wir hatten wissenschaftlich fundierte und gut dokumentierte Daten aus einem Tierexperiment, die bewiesen, dass eine cPMP-Therapie auch im Menschen funktionieren kann. Und wir hatten den Wirkstoff im Kühlschrank."

"Baby Z" entwickelt sich normal

Nachdem er von den behandelnden Ärzten in Melbourne kontaktiert worden war, schickte Schwarz seine gesamten Vorräte per Express auf die andere Seite der Welt. Dort dauerte es allerdings noch einmal zwei Wochen, bis alle notwendigen Genehmigungen erteilt worden waren. Immer noch verhältnismäßig zügig, da der Fall bis vor den Obersten Gerichtshof ging. Als „Baby Z“ dann schließlich behandelt werden konnte, zeigte sich die Wirkung unmittelbar. Innerhalb von 24 Stunden seien die Sulfitwerte bei dem Kind durch die Behandlung um 30 Prozent gesunken, berichteten die Mediziner. "In einer Woche haben sich die Werte fast normalisiert", ergänzt Schwarz. Nach drei Wochen seien auch die Krämpfe beinahe ganz verschwunden gewesen.
"Jetzt schauen wir sie an und sie ist ein absolutes Wunder", sagte die Mutter auf der Pressekonferenz. Zwar wird das mittlerweile 18 Monate alte "Baby Z" das Medikament sein Leben lang einnehmen müssen, und wegen der frühen Hirnschädigungen entwickelt sich das Mädchen langsamer als andere Kinder. Mittlerweile habe ihre Tochter aber angefangen zu sprechen und sei auch körperlich aktiv, berichtete die Mutter. "Es wird jeden Tag besser und besser." Experimentelle Wirkstoffe bergen ein großes Risiko, ihr Einsatz ist daher äußerst selten. Erst kürzlich gab es in Deutschland allerdings einen ähnlichen Fall. Eine Forscherin, die sich vielleicht mit dem Ebola-Virus infiziert hatte, bekam einen Impfstoff, der bisher nur in Tierversuchen erprobt worden ist. Die Wissenschaftlerin erkrankte nicht. Inzwischen wird in Deutschland bereits ein zweites Kind, "Baby P", mit cPMP behandelt. Schwarz und seine Kollegen bereiten nunmehr eine klinische Studie vor, der erste Schritt auf dem Weg zu einem Medikament. Ob dieses allerdings einmal tatsächlich produziert wird, ist noch unklar. Denn aufgrund der wenigen weltweiten Fälle der Molybdän-Cofaktor-Defizienz ist der Markt für die Medizin ziemlich klein. Und die Behandlung ist teuer. Nach Auskunft des Göttinger Wissenschaftlers Reiss kostet die Behandlung eines Patienten mehrere hunderttausend Euro jährlich.


Mehr Informationen zu Günter Schwarz und seiner Arbeitsgruppe an der Universität Köln: hier klicken

 

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