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Aus einzelnen Bakterien eine Mannschaft formen

Üblicherweise stellen die in der Industrie eingesetzten Kulturen aus Hochleistungsbakterien hohe Ansprüche an ihre Umgebung. Ein Gemisch aus mehreren Bakterien soll robuster sein, hoffen Forscher. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Üblicherweise stellen die in der Industrie eingesetzten Kulturen aus Hochleistungsbakterien hohe Ansprüche an ihre Umgebung. Ein Gemisch aus mehreren Bakterien soll robuster sein, hoffen Forscher. Quelle: Boehringer Ingelheim

20.08.2009  - 

Das Problem: Bei der Herstellung von Biodiesel etwa aus Raps fällt Glycerin an, alleine in Deutschland an die 300.000 Tonnen. Bisher war das zum großen Teil Abfall. Ein Forschungsverbund unter der Leitung von An-Ping Zeng an der Technischen Universität Hamburg-Harburg glaubt, eine Lösung gefunden zu haben: ein Bakteriengemisch, das Glycerin zu Bioenergie und 1,3-Propandiol umwandelt, einem gesuchten Rohstoff bei der Plastikherstellung. Bis 2010 wollen die Wissenschaftler den Prototyp einer Bioraffinerie vorstellen. Sie soll auf einen Lastwagen passen. Die Idee wird von der Europäischen Kommission im Rahmen des 7. Forschungsrahmenprogramms mit knapp zwei Millionen Euro unterstützt.




 

1,3-Propandiol ist ein wertvoller Rohstoff der modernen Industrie. Der zweiwertige Alkohol wird bei der Herstellung von Plastik benötigt, ist aber auch für Autolacke, synthetische Badeanzüge oder Teppiche wichtig. Der Markt für Propandiol wächst Jahr für Jahr, doch die herkömmliche Herstellung auf chemischem Wege ist teuer und aufwendig.

Dupont veränderte 36 Gene im E.coli-Bakterium

Deshalb tat sich das amerikanische Chemieunternehmen Dupont 1995 mit dem Enzym-Spezialisten Genencor zusammen, um eine biotechnologische Alternative zu entwickeln. Nach sieben Jahren Forschungsarbeit konnten die Wissenschaftler einen spektakulären Erfolg verbuchen: ein Bakterium der Art Escherichia coli, bei dem insgesamt 36 Gene modifiziert wurden. Durch die Veränderung seines Erbguts war das E.coli-Bakterium zur winzigen Propandiolfabrik geworden. Dupont rollte den Markt für Propandiol auf. Seit 2007 läuft die Herstellung in Duponts Fabrik in Tennessee im industriellen Maßstab. Es ist ein einträgliches Geschäft. 2.000 Euro bringt eine Tonne Propandiol ein. Denn gefüttert werden müssen die Kolibakterien nur mit Maisstärke, die für ein paar Euro pro Tonne zu haben ist.

An-Ping Zeng ist Direktor des Instituts für Bioprozesstechnik an der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Er leitet die Entwicklung der Glyzerin-Bioraffinerie. Lightbox-Link
An-Ping Zeng ist Direktor des Instituts für Bioprozesstechnik an der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Er leitet die Entwicklung der Glyzerin-Bioraffinerie. Quelle: Technische Universität Hamburg-Harburg

Nun hat ein Wissenschaftler aus Deutschland vielleicht einen noch besseren und vor allem billigeren Weg gefunden, Propandiol herzustellen. Dabei war das eigentlich gar nicht sein erstrangiges Ziel. „Wir wollen durch ein integriertes Herstellungsverfahren potenzielle Reststoffe höherwertigen Zwecken zuführen", sagt An-Ping Zeng. Er ist Leiter des Instituts für Bioprozess- und Biosystemtechnik der Technischen Universität Hamburg-Harbug und forscht seit mehr als 15 Jahren auf dem Gebiet der biologischen Umwandlung von Abfallprodukten in Wertstoffe und Energie.

Glycerin wird in manchen Regionen zum Problem 

Der Abfall, der am Anfang von Zengs Überlegungen stand, ist Glycerin. Es entsteht bei der Herstellung von Biokraftstoffen. Allein in Deutschland werden aus Rapsöl pro Jahr etwa drei Millionen Tonnen Biodiesel gewonnen. Dabei fallen 300.000 Tonnen Glycerin an. Glycerin wiederum ist für die Industrie nicht ganz wertlos. Es dient als Ausgangssubstanz für einige Stoffe, unter anderem auch 1,3 Propandiol. Allerdings verbraucht die herkömmliche Umwandlung von Glycerin in Propandiol Unmengen von Wasser und Energie. Zudem fallen wieder Abfallprodukte an. Mit der Steigerung der Biokraftstoffproduktion war deshalb in den vergangenen  Jahren mehr und mehr Glycerin auf dem weltweiten Markt. So viel, dass Glycerin-Verwerter schon Geld bekamen, falls sie etwas von dem Stoff abnahmen. Besonders in entlegenen Gebieten ist die Entsorgung des Glycerins zunehmend zum Problem geworden.

Um die Malaise zu beseitigen, haben sich Wissenschaftler und Unternehmen aus Deutschland, Österreich, Luxemburg und Griechenland zu einem europäischen Projekt zusammengefunden.  Daran beteiligt sind außer der Technischen Universität Hamburg-Harburg die Landwirtschaftliche Hochschule Athen, die Landwirtschaftliche Fachschule im österreichischen Tulln sowie die Unternehmen Agraferm technologies in Luxemburg, die Frings Biotec GmbH aus Berlin und die Biokraftwerke Fürstenwalde GmbH. Geleitet wird der Forschungsverbund von An-Ping Zeng. Aus dem 7. EU-Forschungrahmenprogramm stehen dazu bis 2010 zwei Millionen Euro Fördergelder bereit.

Das 7. Forschungsrahmenprogramm
Das 7. FRP der Europäischen Union ist das weltweit größte Programm zur Forschungsförderung. Von 2007 bis 2013 fließen knapp 55 Milliarden Euro in Hunderte von Projekten. Das Budget ist damit im Vergleich zur vorherigen Runde um 60 Prozent angestiegen.
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Propandiol produzieren und dabei Energie gewinnen
Die Idee der Wissenschaftler ist so einfach wie bestechend. Das Konsortium hat sich zum Ziel gesetzt, eine Raffinerie zu entwerfen, die alles kann: erstens Glycerin ohne Abfallstoffe zum Wertstoff 1,3-Propandiol umwandeln, zweitens Energie produzieren und nicht verbrauchen - in Form von Biogas - und drittens auch noch Klärschlamm als hochwertigen Dünger bereitstellen.

Um diese biotechnologische Version der eierlegenden Wollmilchsau zu kreieren, müssen die Wissenschaftler einige Hürden überwinden. Zwar gibt es in der Natur Bakterien, die Propandiol bilden. Allerdings produzieren die Vertreter der Klasse Clostridia dabei auch giftige Säuren, die im Laufe der Zeit dazu führen, dass die Bakterien sich nicht mehr vermehren.

Die Natur bietet also von sich aus keinen gangbaren Weg der Propandiolherstellung. Jetzt kommen die Biotechnologen ins Spiel. Sie haben zwei Möglichkeiten. Die erste könnte man als den klassischen biotechnologischen Weg bezeichnen. Ein Organismus, hier ein Bakterium, wird durch den Einbau weiterer Gene oder das Deaktivieren vorhandener Gene so modifiziert, dass er erwünschte Stoffwechselprodukte herstellt, unerwünschte aber nicht mehr. Das haben die Wissenschaftler von Genencor und Dupont beim Bakterium Escherichia coli getan. Es war jedoch sehr aufwendig, bis E.coli ihnen den Gefallen tat und zur Propandiolfabrik wurde.

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Aus einzelgängerischen Bakterienarten wird ein Konsortium

Zeng und seine Kollegen gehen einen anderen Weg und beackern damit zugleich ein neues Feld der Biotechnologie. In den stählernen Fermentern an der Technischen Universität Hamburg-Harburg schwappt nicht eine biotechnologisch veränderte Bakterienart hin und her, sondern ein Gemisch aus mehreren Mikroorganismen, die auch in der Natur vorkommen. Keine der Bakterien alleine kann das leisten, was die Wissenschaftler wollen. Als Mannschaft aber könnten sie Erstaunliches erreichen. Die Herausforderung besteht nun darin, die einzelnen Fähigkeiten und Eigenarten so zu kombinieren, dass ganz neue Leistungen erbracht werden. Dabei müssen die Bakterien gar nicht gentechnisch verändert werden. Simpel ist das neue Verfahren deshalb aber nicht. Denn die verschiedenen Bakterienarten müssen von den Biotechnologen erst einmal dazu gebracht werden, sich nicht gegenseitig umzubringen. "Wir nutzen im Bioreaktor eine mikrobielle Gemeinschaft, in der sich zwei oder mehrere von Natur aus eher distanzierende Bakterien nähern und zusammen leben”, sagt Zeng. Wie genau er den Frieden in der bakteriellen Wohngemeinschaft herstellt, verrät Zeng nicht. Der Gegenspieler der Clostridien sind hier Bakterien der Gattung Methanosarcina. Wie ihr Name schon andeutet, stellen sie Methan her, also Biogas, und zwar genau aus den Giften, die die Clostridien bei der Propandiolherstellung abgeben.

Bakterienteams sind robuster als Monokulturen 

Mikrobielle Konsortien sind ein neuer Trend in der Biotechologie. Im Vergleich zu Monokulturen mit nur einem Hochleistungsbakterium sind sie relativ robust. Deshalb muss bei der Herstellung nicht steril gearbeitet werden. Außerdem können mehrere Bakterien auch komplizierte, mehrstufige Herstellungsprozesse meistern, was einem einzigen Organismus oft nicht gelingt. Schließlich ist die Produktion weniger aufwendig und kontrovers, da bei Gemischen mit natürlichen Bakterien gearbeitet wird. Gentechnisch veränderte Organismen dürfen nur unter strengen Sicherheitsauflagen eingesetzt werden.

Aufgrund dieser Vorteile könnte die neue Bioraffinerie, die Zeng mit den Kooperationspartnern plant, auch in Gebieten ohne aufwendige Infrastruktur eingesetzt werden. Zengs Vision ist eine mobile Raffinerie auf einem Lastwagen, die geparkt vor einer Biokraftstoffanlage das anfallende Glyzerin in Propandiol für den Weltmarkt und Dünger für die lokalen Bauern umwandelt - und nebenbei noch das benachbarte Blockheizkraftwerk mit Biogas füttert. Gerade Schwellen- und Entwicklungsländer sind nach Angaben von Zeng sehr an dieser möglichen Nutzung interessiert. Sie haben in den vergangenen Jahren große Kapazitäten in der Biokraftherstellung aufgebaut. Mit der fahrbaren Bioraffinierie könnten die Hersteller dann nicht nur Geld sparen, sondern auch nachhaltiger wirtschaften als bisher. 2010 will Zeng den Prototypen vorstellen.

 

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