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Grippeimpfstoff aus Entenzellen

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Die Warzenente ist die Haustierform der Moschusente. Sie stammt ursprünglich aus Südamerika. Quelle: Gerard Hogervorst

06.08.2009  - 

Die meisten Impfstoffe gegen Grippe werden nach wie vor aus bebrüteten Hühnereiern gewonnen. Zellen als alternative Impfstofffabriken sind schon auf dem Vormarsch. Allerdings gibt es erst wenige, die zur Produktion geeignet sind. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für die Dynamik komplexer Systeme in Magdeburg haben jetzt aus Enten gewonnene Zellen auf ihre Eignung untersucht. Die Ergebnisse sind vielversprechend. Offenbar sind die beiden Zelllinien, die  von der Firma ProBioGen AG (Berlin) in Kooperation mit der IDT Biologika GMBH (Dessau-Tornau) entwickelt wurden, für die Produktion von Vakzinen gegen eine Reihe von Erregern geeignet. Das berichten die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift Vaccine (Vol. 27, Ausg. 36, S. 4975-4982).



 

Die Ausbreitung der als Schweinegrippe bekannt gewordenen H1N1-Influenzavariante hat die Herstellung von Impfstoffen in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Noch werden die meisten Impfstoffe gegen Influenza in bebrüteten Hühnereiern hergestellt. Auch der Impfstoff, den die deutschen Bundesländer beim Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline in Dresden geordert haben, stammt aus Hühnereiern (mehr...).

Diese Methode hat eine lange Tradition. 1931 wurde das befruchtete Hühnerei als Vermehrungsmaschine für Viren entdeckt und seitdem für die Impfstoffherstellung im Großmaßstab genutzt. Ein durch biotechnologische Verfahren abgeschwächtes Virus wird in die Hühnereier eingespritzt. Dort vermehrt es sich bei 36 Grad, nach einigen Tagen werden die Mlllionen von entstandenen Viren dann geerntet. Meist werden sie abgetötet, ihre Hüllen dienen dem menschlichen Immunsystem dann als Blaupause, mit der es gefahrlos das Erkennen der "echten" Erreger trainieren kann.

Zellen als Virenvervielfältiger: einfach aber kompliziert

Schon früh sind die Wissenschaftler auf den Gedanken gekommen, Zellen als abgeschlossene Brutkästen für Viren zu verwenden. Das hätte mehrere Vorteile. Impfstoffe könnten in größeren Mengen und in kürzerer Zeit hergestellt werden. Zudem entfällt das Risiko allergischer Reaktionen auf Hühnereiweiß.

Die Virenvermehrung in Zellen hört sich zunächst als eine einfache, weil naturnahe Lösung an. Schließlich tun Viren ja genau dies: sie befallen Zellen und nutzen sie zur Vermehrung. Doch die industrielle Praxis ist kompliziert. Es genügt nämlich nicht, eine geeignete Zellkultur zu finden, in der die Viren gut wachsen. Zusätzlich muss auch sichergestellt werden, dass mit dieser Zelllinie auch eine großtechnische Produktion möglich ist. Dazu gehört zum Beispiel, dass die Zellen nicht nur wachsen, wenn sie Kontakt zu einer Oberfläche (z.B. zu einem Gefäßboden) haben, sondern sich auch in Suspension vermehren. Nur dann können sie in Fermentern mit mehreren Tausend Litern herangezogen werden.

ProBioGen AG
Die ProBioGen AG aus Berlin wurde 2007 von der Unternehmensberatung Deloitte zu den 50 am schnellsten wachsenden Technologieunternehmen in Deutschland gezählt. ProBioGen ist auf die Etablierung von Säugetierzelllinien spezialisiert.

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Enten-Zellen als neue Kandidaten

Als erstes Unternehmen hat der Pharmakonzern Novartis einen Grippeimpfstoff in Zellkultur in Deutschland produziert (mehr...) und im Juni 2007 die Zulassung für Europa erhalten. Aber auch andere Pharmariesen wie Solvay, Baxter, GlaxoSmithKline und Sanofi Pasteur sind mit der Entwicklung von Impfstoffen auf der Basis von Zellkulturen beschäftigt. Noch wird die Mehrzahl aller zugelassenen Impfstoffe gegen Influenza allerdings in Hühnereiern hergestellt. Als Alternative gibt es bislang nur drei Zelllinien für die Grippeimpfstoffproduktion: sogenannte MDCK-Zellen aus Hunden (Madin Darby Canine Kidney Cells), Verozellen aus der Meerkatze und PER.C6-Zellen aus humanen Zellen. Die Fachgruppe Bioprozesstechnik um Udo Reichl am Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg hat nun anhand zweier Virentypen überprüft, ob sich neue Enten-Zelllinien ebenfalls als Wirtszellen für die Grippeimpfstoffherstellung eignen.

Lichtmikroskopische Aufnahmen der unmodifizierten AGE1.CR Zellen im Alter von 24 Stunden. Der Balken gibt eine Länge von 100µm an.Lightbox-Link
Lichtmikroskopische Aufnahmen der unmodifizierten AGE1.CR Zellen im Alter von 24 Stunden. Der Balken gibt eine Länge von 100µm an.Quelle: Verena Lohr / MPI

Entenzellen haben nur wenige virale Elemente

Die Zellen einer neu entwickelten Linie (AGE1.CR) wurden aus Vorläuferzellen der Netzhaut (Retinoblasten) von Embryonen der Moschusente gewonnen. Diese bieten für die biopharmazeutische Anwendung den Vorteil, dass sie im Gegensatz zu Hühnerzellen nur wenige virale Elemente im Erbgut tragen. Damit wird das Risiko von unvorhergesehenen Veränderungen in der Zelle während der Produktion minimiert. Darüber hinaus ist die Herkunft der Zellen lückenlos dokumentiert. Das macht sie sicherer. Die Entenzellen sprechen außerdem auf mehrere Viren an, wie z. B. Influenza-Viren, stark abgeschwächte, modifizierte Pockenviren (MVA-Viren) sowie Tollwut- oder Herpesviren.

Lichtmikroskopische Aufnahmen von AGE1.CRpIX Zellen im Alter von 24 Stunden. Die Zellen haben ein zusätzliches Gen zur Virusvermehrung, das offenbar ihr Wachstum verlangsamt.Lightbox-Link
Lichtmikroskopische Aufnahmen von AGE1.CRpIX Zellen im Alter von 24 Stunden. Die Zellen haben ein zusätzliches Gen zur Virusvermehrung, das offenbar ihr Wachstum verlangsamt.Quelle: Verena Lor / MPI

Zusätzliches Gen soll Viursuausbeute steigern

Die neuen Zellen wachsen darüber hinaus in Suspension. Wie die anderen Zelllinien, die für die Impfstoffproduktion verwendet werden, benötigen sie kein Serum, das teuer ist und zudem zu unerwünschten Kontaminationen mit Fremderregern führen kann. Die meist unterschiedliche Qualität einzelner Chargen lässt die Prozessausbeuten deshalb oft erheblich schwanken. Im Gegensatz dazu sind Verfahren, die in definiertem serum-freiem Medium stattfinden, besser reproduzierbar. Da die genaue Zusammensetzung solcher Medien gezielt verändert werden kann, eignen sich diese besonders gut zu Studien, die Einflussgrößen auf Zellwachstum und Virusvermehrung untersuchen und die Prozesse durch mathematische Modelle beschreiben.

Der Zelllinie AGE1.CR wurde von den Forschern der Berliner Probiogen AG in Zusammenarbeit mit der IDT Biologika GMBH aus Dessau-Tornau entwickelt und mit einem zusätzlichen Gen ausgestattet, das die Virusausbeute steigern soll. "Wir konnten also zwei Zelllinien vergleichen - die ursprüngliche und die modifizierte (AGE1.CR.pIX). Wir haben untersucht, unter welchen Bedingungen sich Zellen und Viren optimal vermehren und welche Prozessparameter für die Impfstoffherstellung entscheidend sind", sagt Max-Planck-Forscher Udo Reichl. Tatsächlich trugen die modifizierten Zellen mehr Viren in sich. Allerdings testeten die Forscher das nur für Pockenviren. Für die Herstellung eines Pockenimpfstoffs waren die Entenzelllinien ursprünglich einmal entwickelt worden. Wie  die Untersuchungen aber zeigen, lassen sie sich offenbar für Impfstoffe gegen mehrere Viren einsetzen.

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Fünf bis acht Millionen Zellen pro Quadratmillimeter

Die neuen Zelllinien wurden von der Magdeburger Forschergruppe zunächst unter verschiedenen Bedingungen kultiviert, um das Wachstum und den Stoffwechsel der Zellen zu untersuchen. Ziel war es, die Bedingungen herauszufinden, unter denen die Zellen am besten wachsen. Denn mehr Zellen bedeuten auch mehr Viren für den Impfstoff.

Mit beiden Zelllinien konnten schließlich relativ hohe Zelldichten von bis zu fünf bis acht Millionen Zellen pro Milliliter erreicht werden. Die Forscher haben im Vergleich beider Zelllinien beobachtet, dass die AGE1.CR.pIX Zellen aber langsamer wachsen als ihre Doppelgänger ohne Gen. Anscheinend sind der Stoffwechsel und damit das Zellwachstum durch dieses Gen verändert.

Anwendung in der Produktion denkbar

Insgesamt zeigten die Untersuchungen, dass die Enten-Designerzellen für Influenzaviren eine ebenso gute Produktivität wie MDCK- und Vero-Zellen aufweisen, den bisher gängigen Produktionszelllinien für Humanimpfstoffe. Die Virenausbeuten machen zudem eine Großproduktion von Grippeimpfstoffen in serum-freien Medien möglich. Die AGE1.CR Zellen könnten sich aufgrund dieser Eigenschaften in naher Zukunft als weitere industriefreundliche Zelllinie etablieren, glaubt Reichl.

 

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