Gene und Verbrechen
Am Tatort nach Spuren von Erbgut zu suchen, ist für die Polizei mittlerweile zum Standard geworden. Knapp 800.000 Datensätze hat das Bundeskriminalamt schon gesammelt. Schon jetzt können aus ihnen Merkmale über die Personen herausgelesen werden, der genetische Fingerabdruck könnte zum genetischen Phantombild werden. In England helfen die Gene nicht nur bei der Aufklärung, sondern auch bei der Verhinderung von Straftaten. Wie das Ermittlungsdebakel um das "Phantom von Heilbronn" allerdings zeigt, können DNA-Spuren auch in die Irre führen. In diesem Dossier lesen Sie, welche Rolle die Gene in der Polizeiarbeit spielen, was in Zukunft möglich ist und was nicht.
Der genetische Fingerabdruck - eine Einführung
Jahrelang hielt das Phantom von Heilbronn die Polizei auf Trab. An mehr als 40 Tatorten in Deutschland, Österreich und der Schweiz war offenbar eine Person zugange, die an Einbrüchen, Diebstählen und mehreren Morden unter anderem an einer Polizistin in Heilbronn beteiligt war - an all diesen Orten stießen die Ermittler auf die gleiche DNA-Spur. Das Erbgut blieb aber über die Jahre hinweg die einzig verwertbare Spur. Aus ihr lasen die Polizisten heraus, dass es eine Frau war, nach der sie suchten. Mehr aber nicht: Alter, Aussehen oder Herkunft - unbekannt.
Spuren aus Schuppen oder Sperma
Die Polizei im Kreis Ludwigsburg, wo eine Genspur des Phantoms aufgetaucht war, fing an, bei Verkehrskontrollen routinemäßig Speichelabstriche zu nehmen. Man hoffte auf einen Zufallstreffer. Die DNA blieb der einzige Hinweis und die Grundlage aller Ermittlungen. Nicht erst der Speicheltest in Ludwigsburg, auch andere spektakuläre Massentests ganzer Landstriche zeigen, welchen Stellenwert das Erbgut und insbesondere der "genetische Fingerabdruck" mittlerweile in der polizeilichen Ermittlungsarbeit erhalten hat.
Aktivität | Erzeugte Partikel pro Minute |
Sitzen oder still Stehen | 100.000 |
Sitzen, leichte Bewegung von Armen und Kopf | 500.00 |
Sitzen, Bewegung Beinen, Armen und Kopf | 1.000.000 |
Aufstehen | 2.500.000 |
Langsames Gehen | 5.000.000 |
Normales Gehen | 7.500.000 |
Schnelles Gehen | 10.000.00 |
Quelle: Österreichische Reinraumgesellschaft |
Ein Vorteil dieser Art des Fingerabdrucks ist, dass der mutmaßliche Täter gar nichts angefasst haben muss. Für ein DNA-Abdruck ist nur eine einzige der bis zu 100 Billionen Zellen notwendig, die einen menschlichen Körper bilden. Da jeder Mensch am Tag unwillkürlich Tausende von Zellen verliert und in seiner Umgebung zurücklässt (siehe Kasten), sind die Gene eines mutmaßlichen Täters viel häufiger am Tatort zu finden als seine Fingerabdrücke. Für den genetischen Fingerabdruck ist jedwede biologische Spur verwendbar, ob es nun Haare, Schuppen oder abgestorbene Hautzellen sind, oder seltener Blut, Sperma, Speichel oder Urin.
Hundertfache DNA-Wiederholungen
Wie der Abdruck der tatsächlichen Finger ist auch die Kombination der Gene einer Person in hohem Maße individuell. Da die Erbsubstanz eines Individuums in allen kernhaltigen Zellen identisch ist, ergibt deren Typisierung stets das gleiche charakteristische Muster. Das hat zuerst der britische Genetiker Alec Jeffreys 1984 erkannt.
Jeffreys interessierte sich für die Veränderungen des Gens für den Blutfarbstoff Myoglobin im Laufe der Evolution und untersuchte dafür Erbgutproben von verschiedenen Familienmitgliedern eines seiner Labormitarbeiter. Jeffreys konzentrierte sich dabei auf bestimmte Bereiche des DNA-Strangs. Nur zwei Prozent des Erbmaterials tragen Informationen, die relevant für die Eigenschaften des Individuums sind. Zumindest nach dem heutigen Wissensstand. Der große Rest ist Material, auf denen keine Informationen für den Bau von Eiweißen liegen. Ob sie trotzdem eine Rolle für den Körper spielen, wird bisher noch erforscht. Unter diesen "uncodierten" Arealen befinden sich auch Abschnitte, in denen eine bestimmte Abfolge von DNA-Buchstaben wieder und wieder aneinandergereiht ist, an die hundert Mal und mehr.
Da diese Abschnitte nach einem bestimmten Muster vererbt werden und deshalb auch einiges über die Entwicklung des Blutfarbstoffs über die Generation verraten könnten, schnitt Jeffreys einige von ihnen mit Hilfe von bestimmten Eiweißen aus, die als molekular Scheren arbeiten: sogenannte Restriktions-Enzyme. Die so ausgeschnittenen Stücke ordnete Jeffreys schließlich in einem Gel an, in dem er eine elektrische Spannung anlegte - die Gel-Elektrophorese - und fotografierte das Ergebnis. Bei der Betrachtung der einzelnen Aufnahmen sah er es dann: Jedes Familienmitglied lieferte ein anderes Bild ab, die einzelnen Abschnitte waren bei jedem unterschiedlich. Das kommt daher, weil bei der Entstehung eines neuen Menschen auch die Zahl der Wiederholungen in jedem Abschnitt individuell bestimmt wird.
Strichcode aus unterschiedlich langen DNA-Streifen
Die Anzahl der Wiederholungen bestimmt die Länge der Abschnitte. Kombiniert man mehrere dieser sogenannten Restriktionsfragmentlängen-Polymorphismen (RFLPs), dann entsteht eine Art Muster, das einem Strichcode auf der Müslipackung im Supermarkt nicht unähnlich ist. Das Muster wird zudem durch Vererbung beeinflusst, weshalb sich Verwandtschaftsverhältnisse nachweisen lassen. Nur wenige Stunden nach dieser Erkenntnis gaben Jeffreys und seine Kollegen der Zufallsentdeckung den Namen "genetischer Fingerabdruck".
Schon ein Jahr später wurde die neue Erfindung in der Praxis eingesetzt, um einen Einwanderungsfall nach Großbritannien zu prüfen (Verwandtschaftstest). In Deutschland wurde es erstmals 1988 als Beweis in einem Strafprozess vor Gericht anerkannt. Allerdings war für den Test in seiner ersten Version eine ausreichende Menge Blut notwendig, da für eine exakte Längenbestimmung DNA-Fragmente mit der Länge von rund 20.000 Basen vorhanden sein mussten.
Im Jahr 1992 gelang es Forschern, wesentlich kürzere Abschnitte mit Sequenzwiederholungen von 200-500 Basenpaaren zu finden, die ebenso wie die RFLPs individuell unterschiedlich sind. Bei den STRs (short tandem repeats) genügen wesentlich geringere Mengen an Ausgangsmaterial. Außerdem lässt sich auch fragmentierte DNA noch verwenden, wie sie etwa in Haaren aufgrund der Sonneneinstrahlung vorkommt. Die STR-Methode ist heute zum Standard geworden. Das FBI legte 15 ganz bestimmte STRs fest, die standardmäßig für eine eindeutige Identifizierung ausreichen sollen. Dieses Testmuster wird mittlerweile auch von anderen Organisationen (INTERPOL, European Network of Forensic Science Institutes) anerkannt und verwendet. In Deutschland hat das Bundeskriminalamt schon 800.000 genetische Datensätze angesammelt.