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Wenn die Luft wegbleibt

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Die Nordflanke des Mount-Everest, vom Rongbuk-Kloster aus gesehen. Auf seinem Gipfel ist die Luft für untrainierte Menschen zu dünn zum Atmen. Quelle: Willem

09.01.2009  - 

Was sich britische Mediziner freiwillig antaten, müssen Patienten, die an Mukoviszidose oder einem angeborenen Herzfehler erkrankt sind, permanent erleiden: Sauerstoffmangel im Blut. Bei einer Klettertour auf dem Mount Everest nahmen einige Forscher in 8400 Meter Höhe ihre Sauerstoffgeräte ab und untersuchten ihr Blut. Sie dokumentierten so die niedrigsten jemals im menschlichen Blut gemessenen Sauerstoffwerte. Der Körper reagiert auf eine derartige Unterversorgung mit einem genetischen Notprogramm. Gießener Forscher haben jetzt herausgefunden, wie es im Einzelnen abläuft. Das berichten sie in der Fachzeitschrift Nature Cell Biology (2008, Vol. 11, S. 85-91).





Eigentlich wollte die Mannschaft aus britischen Wissenschaftlern um Mike Grocott, Notfallmediziner des University College London, sich ganz oben auf dem Gipfel des Mount Everest Blut entnehmen. Doch in 8848 Metern Höhe war das Wetter so stürmisch, dass sie die Kanülen erst später auf dem Rückweg ansetzen konnten, an einer einigermaßen geschützten Stelle in 8400 Meter Höhe.

Blutentnahme auf dem Mount Everest

Die vier Probanden setzten ihre Sauerstoffgeräte ab und atmeten die dünne Höhenluft für etwa 20 Minuten ein. Wie Grocott im New England Journal of Medicine (2009, Vol 360, Nr. 2, S. 140-149) berichtet, waren die Werte überraschend niedrig. Im Durchschnitt kam er bei den vier Testpersonen auf 3,28 Kilopascal. Der geringste Wert lag bei 2,55 Kilopascal. Normal sind 12 bis 14 Kilopascal. Wer einen Wert von weniger als 8 Kilopascal aufweist, gilt üblicherweise bereits als ernsthaft krank. Ein Wert von rund 3 Kilopascal wäre für einen normalen Menschen auf Meeresspiegelniveau äußerst kritisch.

Grocott vermutet, dass die niedrigen Werte das Resultat eines Lungenödems, also einer Flüssigkeitsansammlung in der Lunge sind. Abgesehen von den extremen medizinischen Bedingungen ist der weitere wissenschaftliche Nutzen der Expedition umstritten. Die kletternden Ärzte verweisen auf mögliche Erkenntnisse zu Krankheiten wie dem akuten respiratorischen Distress-Syndrom (ARDS), der Mukoviszidose, dem Emphysem, dem septischen Schock, angeborenen Herzfehlern oder anderen Indikationen wie Schlaganfall oder Herzinfarkt, die mit eine gestörten Sauerstoffaufnahme einhergehen.

Auch das Innere von Tumoren, das nicht ausreichend mit Blutgefäßen durchzogen ist, ist permanent unterversorgt. Um mit diesen lebensfeindlichen Bedingungen klar zu kommen, hat der Körper ein spezielles biochemisches Programm entwickelt, dass Forscher der Justus-Liebig-Universität in Gießen jetzt weiter entschlüsselt haben.

Die roten Blutkörperchen oder Erythrozyten transportieren Sauerstoff von der Lunge zu den Körperzellen.Lightbox-Link
Die roten Blutkörperchen oder Erythrozyten transportieren Sauerstoff von der Lunge zu den Körperzellen.

Genetisches Notprogramm bei Sauerstoffmangel
Normalerweise hat unser Körper genug Sauerstoff zur Wahrnehmung seiner normalen Funktionen zur Verfügung. Dabei werden zunächst in der Lunge die roten Blutkörperchen mit Sauerstoff "betankt". Anschließend können die roten Blutkörperchen dann über die Blutgefäße ins Körperinnere wandern, um dort den Sauerstoff wieder abzugeben. Bei einer Sauerstoffunterversorgung - einer sogenannten Hypoxie - wird ein genetisches Notprogramm aktiviert. Gene, die sonst ruhen, werden jetzt umgehend abgelesen. Sie sorgen beispielsweise dafür, dass neue Blutgefäße gebildet werden oder dass der zelluläre Stoffwechsel so umgeschaltet wird, dass er auch ohne ausreichende Sauerstoffversorgung funktioniert.

Dieser Umschaltungsprozess wird durch ein ausgeklügeltes biochemisches Programm reguliert. Dabei spielen eine Reihe von Eiweißen eine Rolle, die sich gegenseitig regulieren. Ein wichtiges Regulationsprotein in der Antwort des Körpers auf niedrige Sauerstoffkonzentrationen ist das so genannte Siah-Protein: Es dockt an andere Proteine an, die dadurch zum Abbau durch das zelleigene Entsorgungssystem freigegeben werden. Daher ist es wichtig, dass dieses Siah-Protein nicht unkontrolliert arbeitet, denn die Zelle würde bald in Bedrängnis geraten, wenn wichtige Substanzen ohne Wenn und Aber abgebaut würden.

Im Notfall wird Siah von der Leine gelassen

Die Arbeitsgruppe von Lienhard Schmitz am Biochemischen Institut des Fachbereichs Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen hat nun einen bisher unbekannten molekularen Mechanismus entdeckt, der die Aktivität von Siah kontrolliert. Dies geschieht durch ein zweites Protein, das als Wächter funktioniert und permanent chemische Gruppen an Siah anheftet, um es in seiner zerstörerischen Aktivität zu behindern und zu bremsen.

Tritt allerdings Sauerstoffmangel ein, wird Siah von der Leine gelassen. Es wird befähigt, selbst an den Kontrolleur anzudocken und ihn damit zum Abbau freizugeben. Dadurch gibt es bald immer weniger Aufpasser, und Siah kann ganz ungehindert die hypoxische Antwort auslösen. Der jetzt entdeckte  Regulationsmechanismus ist von zentraler Bedeutung für das Anlaufen des Hypoxie-Programms beim Menschen und könnte dafür genutzt werden, die Selbsthilfekräfte des Körpers bei Sauerstoffmangel zu erhöhen.

 

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