Direktlink :
Inhalt; Accesskey: 2 | Hauptnavigation; Accesskey: 3 | Servicenavigation; Accesskey: 4

Ania Muntau: Kampf gegen seltene Krankheiten

Ania Muntau ist Oberärztin am Dr. Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie forscht an der Entwickung neuer Therapiestrategien für seltene Stoffwechselerkrankungen. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Ania Muntau ist Oberärztin am Dr. Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie forscht an der Entwickung neuer Therapiestrategien für seltene Stoffwechselerkrankungen. Quelle: Muntau

28.11.2008  - 

Ania Muntau widmet ihre Forschung den Patienten, die keine Lobby haben, weil sie an Krankheiten leiden, die zu selten sind, dass mit ihnen das große Geld verdient werden könnte. Als selten gilt eine Erkrankung in Deutschland, wenn sie bei weniger als 2000 Personen in Deutschland auftritt. Pharmafirmen lassen sie links liegen, auf Therapien müssen die Patienten lange warten. Das will Muntau ändern. Die Ärztin am Dr. Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilian-Universität (LMU) in München hat es vor allem auf Stoffwechselkrankheiten abgesehen.
 
 

„Erst in ihrer Gesamtheit werden diese Krankheiten überhaupt wahrgenommen“, sagt Muntau. 6000 seltene Stoffwechselkrankheiten sind bislang beschrieben, alleine in Deutschland leiden rund 160.000 Menschen darunter. Phenylketonurie ist eine von ihnen. „Die Betroffenen haben einen genetisch bedingten Enzymdefekt und können die Aminosäure Phenylalanin nicht abbauen“, erklärt die 43jährige Professorin. Deswegen müssen die Patienten eine strenge Diät einhalten, die an Selbstkasteiung grenzt: 200 g Kartoffeln pro Tag sind erlaubt, Fleisch, Fisch, Milch, Käse und Schokolade sind tabu. Fehlende Nährstoffe, Vitamine und Energie müssen über synthetische Nahrung aufgenommen werden. Das kostet viel Geld – und schmeckt noch dazu bescheiden. Wird die eiweißarme Diät allerdings nicht ernst genommen, drohen schwerste Behinderungen.

Im Jahre 2002 haben Forscher der LMU die Beobachtung gemacht, dass ein Kofaktor namens Tetrahydrobiopterin – kurz BH4 – zur Wiedererstellung der Enzymaktivität führt (New England Journal of Medicine, Vol. 347, 2002, S.2122-2132). „Für die Fachwelt war diese Entdeckung sensationell“, erklärt Muntau. 1934 wurde die Krankheit das erste Mal beschrieben. „Und wir sind 74 Jahre später in der Lage, 70 bis 80% aller Patienten zu einem normalen Leben zu verhelfen“. Für die Betroffenen ist BH4 ein Wunder: sie können beinahe wieder normal essen. In einigen Fällen entfällt die Diät sogar komplett.

Obwohl der Wirkmechanismus von BH4 zu dieser Zeit noch nicht aufgeklärt war, ließ die US-amerikanische Nahrungs- und Arzneimittelbehörde FDA die körpereigene Substanz als Medikament zu. Die Zulassung durch das europäische Pendant EMEA steht unmittelbar bevor.

Die Abbildung zeigt das Enzym Phenylalanindehydrogenase (PAH). Ein genetischer PAH-Defekt verhindert den Abbau der Aminosäure Phenylalanin, die in allen Nahrungsmitteln vorhanden ist.Lightbox-Link
Die Abbildung zeigt das Enzym Phenylalanindehydrogenase (PAH). Ein genetischer PAH-Defekt verhindert den Abbau der Aminosäure Phenylalanin, die in allen Nahrungsmitteln vorhanden ist.Quelle: Ania Muntau

Unterstützung vom Bayerischen Genomforschungsnetzwerk

Ania Muntau kämpft mit Herz und Seele für ihre Patienten. Nach zehn Jahren Forschung, vielen durchgearbeiteten Wochenenden und wenigen Ruhepausen ist die Forscherin am Ziel angekommen. „Heute wissen wir, dass das verantwortliche Enzym durch einen genetischen Defekt falsch gefaltet wird und deshalb seine ursprüngliche Funktion im Stoffwechselgeschehen nicht mehr ausüben kann,“ erklärt die Forscherin. Durch Zugabe des Kofaktors BH4 erlangt das Enzym wieder seine funktionsfähige Form. Diesen Wirkmechanismus konnte die Arbeitsgruppe um Muntau letztendlich nur aufklären, weil sie 2,1 Millionen Euro im Rahmen des bayerischen Genomforschungsnetzwerks BayGene erhielt. „Das Netzwerk ist das Beste, was mir je passiert ist“, so die Oberärztin.

Die bisherigen Forschungsergebnisse legen die Vermutung nahe, dass etliche seltene Krankheiten durch kleine chemische Moleküle, die Experten small molecules nennen, behandelt werden könnten. Muntau vertritt sogar die Meinung, auch viele andere Krankheiten in diese Kategorie fallen: Alzheimer, Parkinson, gewisse Krebserkrankungen und der Altersdiabetes.

Muntau gibt ihre Erfahrung gerne an jüngere Kollegen weiter

„Ich habe in der Zwischenzeit ein großartiges Team um mich herum", freut sich die Ärztin. 25 Wissenschaftler und Ärzte arbeiten engagiert an verschiedenen Projekten. „Leider werden heute viele gute Leute in der Medizin verheizt“, weiß Muntau aus eigener Erfahrung und hält das für einen völlig falschen Weg. Sie setzt sich dafür ein, dass es die kommende Ärztegeneration leichter hat als sie. „Ich verfolge mit Freude, wie gut sich meine jungen Mitarbeiter entwickeln und schnell ans Ziel kommen“, erzählt die Wissenschaftlerin. Dieses Mentoring ist inzwischen auch bekannt geworden. Erst kürzlich wurde sie mit einer „Honorary Mention“ anlässlich der Verleihung der „Nature Awards for Mentoring in Science 2008“ durch Bundesforschungsministerin Annette Schavan geehrt.


Autorin des Textes: Andrea van Bergen

 

Menschen

Forscherprofile

Sie möchten noch mehr Persönlichkeiten aus der biotechnologischen Forschung in Deutschland kennenlernen? In der Rubrik Menschen haben wir bereits eine ganze Reihe von Wissenschaftlern und Unternehmern porträtiert.


Zur Rubrik Menschen

Förderbeispiele

glowing cells in a test tube

Sie möchten erfahren, in welche Forschungsprojekte öffentliche Gelder fließen? Unter der Rubrik Förderbeispiele stellen wir regelmäßig öffentlich geförderte Forschungsvorhaben inhaltlich vor.


Zur Rubrik Erfindergeist

Nachwuchsförderung

Collage aus Broschüren-Deckblatt

Wege in die Biotechnologie: In den vergangenen 25 Jahren hat das BMBF mehr als 200 junge Wissenschaftler darin unterstützt, in die Biotechnologie zu gehen. Eine neue Broschüre verschafft nun Einblicke in den Verlauf dieser Karrieren: Was ist aus den einstigen Nachwuchsforschern geworden? Wie sind sie beruflich vorangekommen? Woran arbeiten sie heute? Die Broschüre kann kostenlos im Bestellservice geordert oder als PDF heruntergeladen werden.


Zur Rubrik Publikationen