Direktlink :
Inhalt; Accesskey: 2 | Hauptnavigation; Accesskey: 3 | Servicenavigation; Accesskey: 4

Jens Schneider-Mergener: Firmengründer im Berliner Wendechaos

Mitten im Wendechaos gründet Jens Schneider-Mergener die Biotech-Firma Jerini Anfang der 90er Jahre in Berlin. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Mitten im Wendechaos gründet Jens Schneider-Mergener die Biotech-Firma Jerini Anfang der 90er Jahre in Berlin. Quelle: Jerini

04.07.2008  - 

Aus dem Sonnenstaat Kalifornien nach Ostberlin. Die Gegensätze, die Jens Schneider-Mergener im Jahr 1990 erlebt, hätten größer kaum sein können. Die politischen Umbrüche in Deutschland reizen den studierten Chemiker jedoch so stark, dass er sich mitten im Wendechaos für eine Forschungsstelle an der ehemaligen sozialistischen Vorzeigeklinik Charité entscheidet. Schon zwei Jahre später gründet der Familienmensch Schneider-Mergener seine Firma Jerini. Je-Ri-Ni - wie Jens, Rita und Niklas, die Namen seiner Frau und seines Sohnes. Beinahe hätte die Berliner Vorzeigefirma das erste in Deutschland entwickelte Biotech-Medikament auf den Markt gebracht. Kurz zuvor ging jedoch das Geld aus. Anfang Juli hat nun das britische Pharmaunternehmn Shire zugegriffen und Jerini gekauft.

Zunächst ohne Venture Capital bestand das Geschäftsmodell der neuen Firma zunächst darin, Dienstleistungen für Pharmaunternehmen anzubieten - auf der Basis einer neuartigen Technologieplattform, mit der sich peptidbasierte Arzneimittel entwickeln lassen. Um die Jahrtausendwende überzeugte Schneider-Mergener den erfahrenen Pharmaforscher Jochen Knolle bei Jerini einzusteigen. Knoll war zuvor zehn Jahre bei Hoechst beschäftigt und brachte den Wirkstoff Icatibant mit. Damit hatte Jerini nun endlich den Stoff, der Phantasie bei Investoren weckt: einen klinischen Medikamentenkandidaten. Damals hatte die junge Berliner Biotech-Firma Glück. Venture Capital floss zu dieser Zeit reichlich. Jerini war stets eines der am besten versorgten deutschen Unternehmen und nahm bis zum Börsengang im Jahr 2005 mehr als 70 Mio. Euro ein. Das IPO brachte noch einmal rund 50 Mio. Euro in die Kasse. "Die fetten Jahre sind nicht vorbei, die kommen erst", sagte Schneider-Mergener einmal in Anspielung auf einen gleichnamigen Kinohit auf einer der in der Berliner Szene legendären Unternehmensfeiern in angesagten Locations der Hauptstadt.

In diesem kurzen Film aus dem Jahr 2007 wird die Entwicklung der Biotech-Firma Jerini vorgestellt. Der Ausschnitt ist Teil einer DVD, die im Bestellservice von biotechnologie.de kostenlos angefordert werden kann.Quelle: Fraunhofer IAIS im Auftrag des BMBF

Als Chef immer den Kontakt zur Basis gesucht

Der Chef, den die meisten Mitarbeiter heute noch duzen, pflegt auf solchen Gelegenheiten nicht nur launige Ansprachen zu halten, sondern auch stets die Tanzfläche als erster zu betreten - und sie inder Regel dann nicht mehr zu verlassen. Trotz seiner Rolle als CEO, in die der gelernte Wissenschaftler immer stärker hineinwuchs, gibt er sich ungezwungen. Trotz steigender Mitarbeiterzahlen sucht er immer wieder den Kontakt zur Basis,  frühstückt mit Mitarbeitern. Seine Bürotür steht meistens offen. Doch die Unkompliziertheit hat Grenzen. Je weiter Icatibant in der klinischen Entwicklung vorankommt, desto größer wird der Aufwand. Zudem gibt es internationale Konkurrenz auf dem Markt, für den das Mittel angeboten werden soll: Zielgruppe sind Patienten mit einem Gen-Defekt, der spontan auftretende schwere Schwellungen hervorruft. Die Krankheit - das erbliche Angioödem - ist eigentlich ein Nischenmarkt, deshalb traut sich Jerini die eigene klinische Entwicklung zu, mit dem Ziel, das Medikament auch einmal selbst zu vertreiben. Doch nicht nur die Berliner tummeln sich auf diesem Gebiet. Insgesamt drei weitere Firmen haben die gleichen Patienten im Blick. So ist es oft nicht leicht, für klinische Studien überhaupt genug Betroffene zu finden. Am Ende schien es jedoch fast geschafft:  LKWs mit Akten verlassen 2007 die Firmenräume in Berlin-Mitte in Richtung der Zulassungsbehörden. Der hohe regulatorische Aufwand setzt dem kreativen Chaos ein Ende. "Unterschätzt" habe Schneider-Mergener den Aufwand. In der Rückschau bezeichnet er den Entwicklungsprozess von Icatibant als "unglaublich anstrengend, aber auch unglaublich befriedigend". Dass ihm letztlich ein sehr wirksamer Placebo einen Strich durch die Rechnung macht und die Zulassung in den USA verhindert, kann er nicht wissen. Lediglich die europäische Zulassungsbehörde EMEA spricht eine positive Empfehlung aus, die FDA in den USA lehnt Icatibant im April 2008 ab.

Mehr zum Thema auf biotechnologie.de
Deutsche Biotech-Branche auf dem Radar internationaler Pharmakonzerne

So bleibt Schneider-Mergener  - kurz vor dem Ziel - nichts anderes übrig, als sein Lebenswerk zu verkaufen. Der Firma fehlt schlicht das Geld, um den Vertrieb in Europa aufzubauen. "Das ist ein schmerzhafter Moment", wird Jens Schneider-Mergener Anfang Juli in der Financial Times Deutschland zitiert. Am 29. Juni weiß davon jedoch noch keiner. Für den Chef ist die eigentlich als "Launch-Party" für Icatibant gedachte Veranstaltung im spektakulären Gehry-Bau der DZ Bank unweit des Brandenburger Tores eine Art Abschiedsparty. Die eingeladenen Mitarbeiter, Patientenvertreter, Ärzte, Investoren und Freunde des Unternehmers ahnen noch nichts vom bevorstehenden Verkauf an die britische Pharmafirma Shire, während ihr Chef ausgelassen tanzt. Eine Woche später wird der Deal veröffentlicht. Doch von der Bühne zurücktreten wird Schneider-Mergener vermutlich nicht. Er stünde bereit, Teile der Firma weiterzuführen, falls Shire sie verkaufen will, heißt es.  

 

Menschen

Forscherprofile

Sie möchten noch mehr Persönlichkeiten aus der biotechnologischen Forschung in Deutschland kennenlernen? In der Rubrik Menschen haben wir bereits eine ganze Reihe von Wissenschaftlern und Unternehmern porträtiert.


Zur Rubrik Menschen

Förderbeispiele

glowing cells in a test tube

Sie möchten erfahren, in welche Forschungsprojekte öffentliche Gelder fließen? Unter der Rubrik Förderbeispiele stellen wir regelmäßig öffentlich geförderte Forschungsvorhaben inhaltlich vor.


Zur Rubrik Erfindergeist

Nachwuchsförderung

Collage aus Broschüren-Deckblatt

Wege in die Biotechnologie: In den vergangenen 25 Jahren hat das BMBF mehr als 200 junge Wissenschaftler darin unterstützt, in die Biotechnologie zu gehen. Eine neue Broschüre verschafft nun Einblicke in den Verlauf dieser Karrieren: Was ist aus den einstigen Nachwuchsforschern geworden? Wie sind sie beruflich vorangekommen? Woran arbeiten sie heute? Die Broschüre kann kostenlos im Bestellservice geordert oder als PDF heruntergeladen werden.


Zur Rubrik Publikationen