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Patentanalyse: Deutschland kann bei weißer Biotechnologie im globalen Wettbewerb mithalten

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Die Unternehmensberater der Boston Consulting Group haben anhand einer umfassenden Patentanalyse den Innovationsstandort Deutschland begutachtet. Quelle: BCG

25.01.2007  - 

Der Forschungsstandort Deutschland kann sich im internationalen Vergleich sehen lassen, nur nicht dort, wo die größten Wachstumsraten locken: Je höher die Innovationsdynamik, desto schwächer die deutsche Position. Zu diesem Ergebnis ist die Boston Consulting Group (BCG) in ihrer Studie "Innovationsstandort Deutschland - quo vadis?" gekommen, die am 23. Januar in Berlin vorgestellt wurde. Die Ergebnisse basieren auf einer Analyse von mehr als 700.000 Patenten in 17 Technologiefeldern aus den Jahren 1998 bis 2005. Das Fazit der Analysten zur Biotechnologie ist zwiespältig:  Während sich die Deutschen in der weißen Biotechnologie eine gute Ausgangsposition im globalen Wettbewerb erarbeitet haben, besteht in der medizinischen Biotechnologie offenbar erheblicher Nachholbedarf. Ähnlich sieht es in der Agrobiotechnologie aus - hier könne Deutschland international lediglich in der Grundlagenforschung mithalten, heißt es in der Studie.

Die gute Nachricht lautet also: die private und öffentliche Forschung in Deutschland muss sich im globalen Maßstab nicht verstecken. Die Analysten der Unternehmenberatung BCG sehen durchaus eine Innovationsbasis, auf der Deutschland langfristig aufbauen kann. Allerdings beruhen aktuelle, gute Positionen vielfach auf vergangenen Erfolgen – dies gilt unter anderem für die Automobilindustrie oder die Bautechnologie. Bei Forschungsschwerpunkten, in denen künftig große Wachtsumsraten zu erwarten sind und damit für eine Gesamtwirtschaft von höherer Bedeutung sind, ist Deutschland eher schwächer vertreten und lediglich in einigen Feldern wie der Umwelttechnologie wirklich ganz vorn mit dabei. Das geht aus der Analyse von insgesamt 700.000 Patenten in 17 Technologiefeldern hervor, die durch die BCG für die Jahre 1998 bis 2005 durchgeführt wurde. Als Basis dienten Patentanmeldungen des Europäischen Patentamts (EPO), des US-Patentamts (USPTO) und der World Property Organisation (WIPO), die anhand von 150 Einzeltechnologien untersucht wurden.

BCG-Patentanalyse für alle 17 untersuchten TechnologiefelderLightbox-Link
Quelle: BCG

Die y-Achse zeigt die Marktdynamik des Technologiefeldes anhand des prognostizierten Wachstums. Die x-Achse beschreibt Deutschlands Position im Vergleich zum jeweiligen stärksten Wettbewerber. Je weiter rechts sich das Technologiefeld befindet, umso stärker ist die deutsche Position. 
Quelle: Boston Consulting Group (BCG)

Die Auswertung dieser Daten zeigt, dass die Patentanmeldungen in dem untersuchten Zeitraum ingesamt im Durchschnitt zwischen sechs Prozent (US-Patentamt) und acht Prozent (Europäisches Patentamt) gewachsen sind, während das weltweite Bruttoinlandsprodukt nur um durchschnittlich 2,8 Prozent zulegte. Insgesamt liegt Deutschland gemessen an den absoluten Zahlen nach den USA oder Japan stets an dritter Stelle, vor allem dank aktiver Patentanmelder wie Siemens, DaimlerChrysler oder Volkswagen. Heruntergebrochen auf die einzelnen Technologiefelder sind die Deutschen insbesondere bei Patenten in der Automobilbranche sehr stark, aber auch bei Chemikalien für Wasch- und Reinigungsmittel oder Fein- und Spezialchemikalien. Eine Patentanalyse, die die Bevölkerungszahlen berücksichtigt, zeigt für Deutschland ebenfalls ein gutes Ergebnis. Bei einer relativen Auswertung der Daten,die die absoluten deutschen Patentanmeldungen mit den jeweiligen Wettbewerbern vergleicht, kommt jedoch zu einem anderen Bild: Bei der Mehrheit der 17 Technologiefelder entfallen auf Deutschland nichtmal halb soviele Patente wie auf das jeweils führende Land – umso weniger in jenen Gebieten, die künftig hohe Wachstumsraten erwarten lassen (siehe Abbildung oben und folgende Tabelle).

Größe und Wachstum einzelner Technologiemärkte weltweit

TechnologiefeldMarktvolumen 2003 (Mrd. Euro)Marktvolumen 2015(Mrd. Euro)Jährliches Marktwachstum
Medizintechnik1141663%
Chemietechnologie1.1721.7713,5%
Pharma/rote Biotechnologie4398836%
Agrobiotechnologie4108%
Weiße Biotechnologie3611110%
Nanotechnologie2010715%

Quelle: Boston Consulting Group (BCG)


Die BCG-Analysten kommen deshalb zu dem Schluss, dass Deutschland angesichts von beschränkten finanziellen Möglichkeiten um eine Fokussierung der Forschungsbemühungen nicht herumkommt. So hält es BCG-Chef Peter Strüven beispielsweise für „abenteuerlich“, dass die Bundesländer den Großteil ihrer Forschungsmittel völlig ohne Abstimmung mit dem Bund ausgeben und der Förderalismus auf diese Weise eine Konzentration der Mittel behindert. Dies sei langfristig nicht der richtige Ansatz, um mit Wettbewerbern wie den USA oder asiatischen Ländern mithalten zu können. Schon jetzt würden China und Indien zusammen mehr Technikabsolventen pro Jahr von ihren Universitäten entlassen als USA, Japan, Deutschland, Großbritannien und Frankreich zusammen.

BCG-Patentanalyse für Deutschland in der weißen BiotechnologieLightbox-Link
Quelle: BCG

Patentanalyse für Deutschland in der weißen Biotechnologie. Quelle: Boston Consulting Group (BCG)


Eine detaillierte Sicht auf die Biotechnologie zeigt jedoch, dass Deutschland nicht gänzlich schlecht dasteht: Vor allem in der industriellen Anwendung (weiße Biotechnologie) können die Deutschen an vorderster Front mitspielen. Hier belegt Deutschland hinter den USA und Japan im internationalen Vergleich den dritten Platz bei Patentanmeldungen. Spitzenpositionen werden vor allem im Bereich Inhaltsstoffe für die Hautpflege- oder Nahrungsmittelindustrie erreicht. Als Grund hierfür nennt die Unternehmensberatung BCG vor allem die traditionelle Stärke der Deutschen in Methoden und Fermentation sowie die Existenz einer Reihe von Großunternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten, die sich diesem Forschungszweig explizit widmen. Um diese gute Ausgangsposition auch künftig zu halten und vom jährlich prognostizierten zehnprozentigem Wachstum dieser Querschnittstechnologie zu profitieren, fordern die Analysten allerdings eine stärkere Umsetzung von Forschungsergebnissen in praktische Anwendungen. „Wissenschaftler sollten mehr Anreize erhalten, um bereits frühzeitig über Anwendungsmöglichkeiten nachzudenken“, heißt es in der Studie. Das gleiche Problem sieht auch Professor Garabed Antranikian von der Universität Hamburg, der in einem Experteninterview zur Lage der weißen Biotechnologie in Deutschland befragt wird. Darüber hinaus bemängelt der Wissenschaftler auch ein Imageproblem: „Die Vorteile der weißen Biotechnologie werden in der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen und wenn doch, dann häufig mit der generellen Skepsis der Biotechnologie gegenüber.“

BCG-Patentanalyse für das Forschungsfeld der roten BiotechnologieLightbox-Link
Quelle: BCG

Patentanalyse für Deutschland in der roten Biotechnologie. Quelle: Boston Consulting Group (BCG)

Weniger positiv sieht die BCG-Analyse für die medizinische Biotechnologie aus: Zwar könne Deutschland auf eine lange Tradition in der Arzneimittelforschung zurückblicken, doch habe man in den vergangenen zwanzig Jahren im Wettbewerb mit den USA erhebliche Einbußen einstecken müssen. Viele deutsche Pharmaunternehmen seien abgewandert, würden Teile ihre Forschung in die USA verlagern oder ganz vom Markt verschwinden. Im internationalen Vergleich fehle den deutschen Biotech-Unternehmen die kritische Masse und eine genügende Menge an Projekten in der Pipeline, die kurz vor der Markteinführung stehen. Dies schlägt sich auch in geringen Patentanmeldungen nieder – obwohl Deutschland im Vergleich zur weißen oder grünen Biotechnologie erheblich mehr Patente vorweisen kann, fallen auf die USA in den meisten Feldern der roten Biotechnologie doppelt bis fünfmal soviele Patenteals auf die Deutschen. „In vielen Bereichen, wie etwa den biotechnischen Methoden zur Krebstherapie, hat Deutschland keine realistische Chance mehr, den Rückstand gegenüber den USA aufzuholen“, heißt es dazu in der Analyse. Günter Stock, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW), kritisiert im Experteninterview zudem die Vielzahl an verschiedenen regionalen Clustern in Deutschland: „Die Firmen arbeiten in den einzelnen Clustern an sehr unterschiedlichen Themen und können deshalb kaum Vorteile aus der räumlichen Nähe ziehen.“ Angesichts eines rund sechsprozentigen jährlichen Wachstums, das BCG dem Markt der roten Biotechnologie voraussagt, ist Deutschland im weltweiten Wettbewerb relativ abgeschlagen. Chancen sieht der Report lediglich in der Stammzellforschung. Hier sei die Kompetenz der Forscher außerordentlich hoch und das Gebiet noch im Stadium der Grundlagenforschung, weshalb Deutschland seine Stärken noch ausspielen könnte. Dieses Potenzial werde jedoch durch eine bislang rigide Gesetzgebung für die Nutzung von embryonalen Stammzellen begrenzt. „Auch wenn ethische Überlegungen in der Forschung nicht zu kurz kommen sollten, ist hier zu bedenken, dass die Zahl der tatsächlich benötigten Stammzellen wesentlich geringer ist, als allgemein angenommen. Es wäre äußerst bedauerlich, wenn wir diese Chancen verpassen würden“, erklärt Stock.

BCG-Patentanalyse für Deutschland im Feld der AgrobiotechnologieLightbox-Link
Quelle: BCG

Patentanalyse für Deutschland in der Agrobiotechnologie. Quelle: Boston Consulting Group (BCG)

In der Agrobiotechnologie zeigt die BCG-Patentanalyse, dass Deutschland bei der Grundlagenforschung und den Methoden (z.B. DNA-Sequenzen) eine relativ gute Position einnimmt, dagegen bei anwendungsbezogenen Themen wie Genexpression oder Herbizidresistenz deutlich zurückliegt. Insgesamt haben die USA in der grünen Biotechnologie einen großen Vorsprung aufbaut: Während Deutschland lediglich einen Anteil von acht Prozent an den weltweiten Patenten auf diesem Gebiet hat, liegen die USA bei 45 Prozent. Dennoch bewerten die Analysten von BCG die deutschen Chancen als aussichtsreich, um langfristig noch aufholen zu können – allerdings nur, wenn die Forschung stärker anwendungsorientiert wird. Um dies umzusetzen und die bislang starke Position nicht zu gefährden, sieht die Studie eine Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für Freilandversuche (Gentechnikgesetz) als zwingend erforderlich an. Dies betont auch Professor Bernd Müller-Röber vom Institut für Biochemie und Biologie der Univeristät Potsdam, der in der Analyse als Experte Stellung nimmt und eine Minderung des Haftungsrisikos für Forscher im Falle von Auskreuzungenn von gentechnisch veränderten Pflanzen fordert. Darüber hinaus hofft er auf einen Wandel im öffentlichen Bewusstsein: „Gerade als Wissenschaftler liegt mir sehr daran, dass die teilweise sehr emotional geführte Debatte stärker versachlicht wird.“

 

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Innovationsstandort Deutschland - quo vadis? Wie gut wir sind, wo unsere Chancen liegen und wie wir die Zukunft meistern können.

Boston Consulting Group, Dezember 2006 Download PDF (3,3 MB)