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Nobelpreise 2006 im Zeichen der RNA

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Andrew Fire (links) und Craig Mello haben eine Technik entdeckt, mit der sich gezielt einzelne Gene ausschalten lassen. Quelle: Nobel Foundation

04.10.2006  - 

Einst wurde die Ribonukleinsäure (RNA) als arme Verwandte der Desoxyribonukleinsäure (DNA) verspottet: Forscher wollten ihr kaum mehr als Boten-Dienste bei der Eiweißherstellung zugestehen. Inzwischen hat sich das Bild gewandelt, weil sich immer mehr herausstellt, dass RNA-Moleküle eine weitaus wichtigere Rolle im komplexen Zellsystem übernehmen. Die diesjährigen Nobelpreisträger in Medizin und Chemie haben mit ihren Arbeiten zum grundlegenden Verständnis der RNA beigetragen. Der Chemiker Roger Kornberg von der Stanford University erhält die begehrte Auszeichnung für seine kristallografische Darstellung der molekularen Vorgänge während der Gen-Transkription. Die US-Forscher Andrew Fire und Craig Mello wiederum werden mit dem Medizin-Nobelpreis für ihre Entdeckung der RNA-Interferenz gewürdigt – einer Technik, mit der sich einzelne Gene gezielt ausschalten lassen.

Schon der Vater von Roger Kornberg war ein Nobelpreisträger: 1959 erhielt Arthur Kornberg die Auszeichnung für seine Studien darüber, wie genetische Informationen von einem DNA-Molekül zum nächsten, von der Mutterzelle zu den Tochterzellen weitergegeben werden. Kornberg junior, der ihn damals zur Ehrung in Stockholm begleitete, folgte ihm nun in diesem Jahr und nimmt den mit 1,1 Millionen Euro dotierten Chemie-Nobelpreis entgegen. Der 59-jährige Wissenschaftler der Stanford University konnte als erster zeigen, wie genetische Informationen im Zellkern kopiert und an andere Stellen der Zelle transportiert werden. Kornberg entwickelte auf der Basis von Hefezellen jahrelang ein Modell, mit dem sich dieser Prozess auf molekularer Ebene visualisieren lässt – um vor allem die Rolle des Enzyms RNA-Polymerase besser zu verstehen. Diese Nanomaschine ist ein Komplex aus mehreren Eiweiß-Untereinheiten, ohne die die lebenswichtige Herstellung von Eiweißen in der Zelle gar nicht möglich wäre.
 

Der diesjährige Chemie-Nobelpreisträger Roger Kornberg hat den ersten Schritt der Eiweißherstellung (Transkription) in kristallografischen Bildern festgehalten. Lightbox-Link
Der diesjährige Chemie-Nobelpreisträger Roger Kornberg hat den ersten Schritt der Eiweißherstellung (Transkription) in kristallografischen Bildern festgehalten. Quelle: The Nobel Foundation

Das Enzym sorgt während der Transkription – dem ersten Schritt der Eiweißherstellung – dafür, dass die im Zellkern auf den Genen gespeicherte Erbinformation abgelesen wird. Dazu lagert sich das Enzym an die Startsequenz eines DNA-Abschnitts an, entwickelt den DNA-Doppelstrang mithilfe anderer Faktoren und produziert einen Strang aus Ribonukleinsäure (RNA). Dieses Produkt dient als Zwischenspeicher (messenger RNA, mRNA), auf dem die Bauanleitung für die Eiweiße vom Zellkern bis zum tatsächlichen Herstellungsort der Eiweiße der Zelle transportiert werden kann. Kornberg gelang es als erstem, die Rolle der RNA-Polymerase bei der Transkription sichtbar zu machen. Dazu stellte er Kristalle aus den beteiligten Molekülen her und hielt deren Struktur mithilfe von Röntgenstrahlen fest. Mit Hilfe dieser Bilders, die Kornberg zusammen mit dem deutschen Forscher und Leibniz-Preisträger Patrick Cramer(damals als Postdoc in Stanford) erstmals 2001 im Fachmagazin Science (Vol. 292, S. 1863-1876) veröffentlichte, können Computer dann errechnen, wo im Molekül sich welches Atom befindet.

Mehr Informationen zur Arbeit von Roger Kornberg finden Sie hier.

Ein Forscherportrait von Patrick Cramer finden Sie hier.

RNA-Interferenz: Vom unverstandenen Rätsel zur Wunderwaffe

Die Entdeckung der RNA-Interferenz begann zunächst mit einem Rückschlag, noch bevor Andrew Fire (heute Stanford University) und Craig Mello (heute Massachusetts Medical School in Worcester) ihre Arbeiten mit dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans begannen. Die kalifornische Biotech-Firma DNA Plant Technology Corp. wollte Anfang der 90er Jahre Petunien mit besonders violetten Blüten erzeugen, doch anstatt der gewünschten Farbe waren die Blüten entweder violett-weiß gescheckt oder ganz weiß. Was die Forscher damals nicht wussten: Sie hatten aus Versehen die Technik der RNA-Interferenz (RNAi) genutzt und gezielt die Aktivität eines Gens unterdrückt. Dadurch konnte ein Enzym nicht hergestellt werden, das für die Bildung der violetten Blütenfarbe zuständig ist.

Wie sich solch ein Mechanismus gezielt nutzen lässt, dafür legten im Jahr 1998 Andrew Fire und Craig Mello den Grundstein mit ihrer Veröffentlichung im Fachmagazin Nature (Vol. 391, S. 806-811). Am Fadenwurm C. elegans zeigten sie erstmals, wie sich bewusst einzelne Gene ausschalten lassen. Die Forscher arbeiteten damals gemeinsam am Carnegie-Institut in Washington und wollten herausfinden, wie sich ein Übermaß eines bestimmten Eiweißes auswirkt, das in den Muskeln der Würmer vorkommt. Dafür hatten sie den Tieren künstlich erzeugte, doppelsträngige Ribonukleinsäure (kurz: RNA) gespritzt, die mit der Sequenz der mRNA des Eiweißes übereinstimmte. Doch anstatt eine Überproduktion des Eiweißes zu beobachten, benahmen sich die Würmer im Experiment so, als wäre ihnen das Eiweiß völlig abhanden gekommen. Mello und Fire gingen diesem merkwürdigen Vorgang schließlich genauer auf den Grund und kamen dabei den Mechanismen der RNA-Interferenz auf die Spur: Mit diesem Verfahren ließ sich die Aktivität von Genen und damit die Produktion von Eiweißen in der Zelle gezielt unterdrücken. Für diese Entdeckung erhalten die US-Forscher nun den diesjährigen Medizin-Nobelpreis. Beide Wissenschaftler teilen sich die mit 1,1 Millionen Euro dotierte Auszeichnung.

Mehr Informationen zu Craig Mello und Andrew Fire finden Sie hier.

RNAi als natürliche Abwehrstrategie der Zelle gegen Viren

Heute weiß man, dass die RNAi eine natürliche Abwehrstrategie der Zellen gegen Viren ist – denn die eingeschleusten RNA-Moleküle sehen dem Erbgut einiger Viren sehr ähnlich. Gelangt fremde, doppelsträngige RNA in die Zellen, wird ein regelrechtes Programm gestartet: Ein Enzym, das DICER genannt wird, schneidet die RNA in kurze Stücke – es entsteht die sogenannte small interfering RNA (siRNA). Diese Schnipsel wiederum bilden mit einigen anderen Eiweißen zusammen den Komplex RISC und dienen dort als Vorlage zur Suche nach ähnlich aussehenden RNA-Stücken in der Zelle. Findet RISC diese ähnlichen Moleküle, werden sie vernichtet.

Da RNA-Moleküle in der Eiweißproduktion der Zelle eine wesentliche Rolle spielen, kann mithilfe der RNAi-Technik gezielt in die normale Genaktivität eingegriffen werden. So sorgt die mRNA wie eine Art Bote dafür, dass die auf den Genen abgespeicherten Bauanleitungen für Eiweiße abgeschrieben und vom Zellkern zur Eiweißproduktionsstätte im Zellplasma (Ribosom) gelangen. Wenn Forschern nun diese Sequenz bekannt ist, müssen sie nur ein passendes künstliches RNA-Molekül herstellen, und es in die Zelle einschleusen. Mithilfe von DICER und RISC wird die mRNA, die mit dieser Bauanleitung bepackt ist, auf ihrem Weg zum Ribosom abgefangen und vernichtet. Die für die Produktion vorgesehenen Eiweiße können dann nicht mehr hergestellt werden. Forscher sprechen in diesem Fall vom Gen-Knockout, weil die Aktivität des Gens quasi lahmgelegt wurde.

Vom Fadenwurm zur menschlichen Zelle

Bis die RNAi-Technik auch in menschlichen Zellen eingesetzt werden konnte, vergingen jedoch noch einige Jahre. Denn das Einschleusen von doppelsträngiger RNA allein konnte die Gene in menschlichen Zellen nicht einfach ausschalten, die Zellen starben ganz. Erst im Jahr 2000 kam der deutsche Forscher Thomas Tuschl dahinter, wie sich menschliche Gene gezielt zum Schweigen bringen ließen: Anstatt langer RNA-Moleküle sind lediglich kleine RNA-Schnipsel erforderlich. Werden diese siRNAs, die aus 21 Nukleotiden bestehen, künstlich hergestellt und in die Zelle eingeschleust, bleiben auch hier die Gene mit ähnlicher Sequenz stumm. Mit dieser Entdeckung, die Tuschl unter anderem als BioFuture-Preisträger (Förderprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung) in Gang bringen konnte, legte der Deutsche die Basis für eine breite Anwendung der RNAi-Technologie.

Nicht mehr wegzudenken ist die Technik heute in der Grundlagenforschung, denn durch das gezielte Abschalten einzelner Gene lassen sich deren Funktionen auf molekularer Ebene genau analysieren: Die Forscher bringen einfach das anvisierte Gen zum Schweigen und beobachten daraufhin, was in der Zelle passiert. Doch auch in der Bekämpfung von Krankheiten ergeben sich durch RNAi völlig neue Möglichkeiten, indem gezielt krank machende Gene ausgeschaltet werden. Erste Ansätze von Unternehmen wie Sirna Therapeutics in San Fransisco oder Alnylam Pharmaceuticals in Boston werden bereits für eine Augenkrankheit oder für ein Medikament gegen ein Virus von Atemwegserkrankungen entwickelt. Es gibt auch Projekte, die sich mit RNAi-basierten Therapien gegen Aids, Leukämie oder Hepatitis C beschäftigen. Das größte Problem derzeit ist jedoch der Transport der künstlichen RNA-Moleküle in die Zellen, die für eine Behandlung in Frage kommen.

Dieser Frage hat sich unter anderem das europäische Konsortium RIGHT (RNA-Interference Technology as Human Therapeutic Tool) unter der Leitung von Thomas Meyer am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin angenommen. Es umfasst rund 24 Forschergruppen in ganz Europa und wird mit 11 Milllionen Euro von der Europäischen Union (EU) gefördert.

Mehr Informationen zur RNA-Interferenz finden Sie hier.

 

Video Biofuture

Aufbauend auf den Arbeiten der diesjährigen Medizin-Nobelpreisträger Andrew Fire und  Craig Mello gelang es dem deutschen Forscher Thomas Tuschl im Jahr 2001 erstmals, die Technik der RNA-Interferenz beim Menschen anzuwenden. Er ist einer von 51 Preisträgern, die den BioFuture-Wettbewerb des BMBF gewonnen haben.