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Deutsche Hirnforscher gewinnen europäischen Nachwuchspreis

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Deutsche EURYI-Preisträger 2006: Pascal Fries und Dieter Chichung Lie.

04.08.2006  - 

Sie sind exzellent auf ihrem Forschungsgebiet, aber zu jung. Deshalb fehlt oft das nötige Geld, um sich mit einem eigenen Team zu etablieren. Um dieses Dilemma zu beheben, vergeben 20 nationale Forschungsgemeinschaften unter dem Dach der European Science Foundation (ESF) jedes Jahr den European Young Investigator (EURYI) Award an 25 herausragende Nachwuchswissenschaftler in Europa. Sie werden mit einem Preisgeld von bis zu 1,25 Millionen Euro ausgestattet und können sich damit ihre eigene Arbeitsgruppe aufbauen. Unter den diesjährigen Gewinnern sind auch sieben deutsche Nachwuchsforscher. Zwei von ihnen arbeiten in den Neurowissenschaften: Dieter Chichung Lie am GSF Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit sowie Pascal Fries am niederländischen F.C. Donders Centre for Cognitive Neuroimaging.

Denken, fühlen, lernen, erinnern – das menschliche Gehirn ist eines der komplexesten Systeme, das die Evolution hervorgebracht hat. Treten hier Erkrankungen auf, wie sie etwa bei Patienten mit Parkinson, Alzheimer oder Schlaganfall zu beobachten sind, gibt es aus medizinischer Sicht kaum Aussicht auf Heilung. Zu unklar sind Struktur und Funktionsweise der Milliarden von Nervenzellen, aus denen das Gehirn besteht. Beide diesjährigen deutschen EURYI-Gewinner wollen dies ändern und haben sich der Erforschung des Gehirns verschrieben. Sie erhalten ihr Preisgeld in Höhe von jeweils 1,25 Millionen Euro am 13. September in Prag. Die Ausschreibung für das kommende Jahr startet am 1. September.

Wie mithilfe von Stammzellen neue Nervenzellen entstehen

Der Biomediziner Dieter Chichung Lie vom GSF Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit beschäftigt sich dabei mit neuralen Stammzellen und deren außergewöhnlicher Eigenschaft, sich in alle relevanten Zellen des zentralen Nervensystems (ZNS) verwandeln zu können. Das einzigartige Wachstums- und Differenzierungspotenzial dieser Stammzellen wird vor allem während der embryonalen Entwicklung deutlich, wenn sie durch massive Zellteilung Milliarden neuer Nervenzellen bilden. Aber auch nach Abschluss der Entwicklung können ihre adulten Varianten die Entstehung neuer Nervenzellen (Neurogenese) anregen. Dies geschieht etwa im Hippocampus, einer Gehirnregion mit zentraler Bedeutung für Lernen und Gedächtnis.

Hauptfrage: Welche Signale kontrollieren Neurogenese?

Chichung Lie hat sich nun zur Aufgabe gesetzt, die molekularen und zellulären Prozesse der Stammzellaktivität im erwachsenen Hippocampus aufzuklären. Er will unter anderem herausfinden, welche Signalwege die Mechanismen lenken und ob es Möglichkeiten gibt, wie sich die Funktion des Hippocampus im Alter aufrecht erhalten lässt oder wie Patienten mit Parkinson oder Schlaganfall behandelt werden können. Bislang sind die Mechanismen der Bildung neuer Nervenzellen aus Stammzellen nämlich noch weitgehend ungeklärt. Forscher wie Chichung Lie gehen davon aus, dass dieser Vorgang eine komplexe Sequenz mehrerer Schritte ist, die alle einer strengen Regulation unterliegen. Schließlich kann nur so erstens die richtige Anzahl neuer Nervenzellen entstehen und zweitens die Entstehung eines Tumors verhindert werden. Bei einem Forschungsaufenthalt als Postdoc im Salk Institute for Biological Studies in La Jolla, Kalifornien (USA), nahm Chichung Lie dabei eine besondere Gruppe von Steuerungssignalen ins Visier: die sogenannten Wnt-Signale. In Experimenten mit Mäusen und Ratten konnte er bereits nachweisen, dass sie eine zentrale Rolle bei der Regulation der Neurogenese im erwachsenen Hippocampus spielen. Nun gilt es, diese Mechanismen auf molekularer Ebene genauestens zu entschlüsseln, um damit die Basis für künftige Behandlungsmöglichkeiten zu liefern.

Der heute 34jährige Chichung Lie hat seine wissenschaftliche Karriere mit einem Medizinstudium in Aachen begonnen, das er 1997 mit „sehr gut“ abschloss. Es folgte eine Promotion und eine Forschungstätigkeit an der Neurowissenschaftlichen Fakultät der Universität Regensburg. Von 1999 bis 2005 ging Chichung Lie schließlich als Postdoc nach La Jolla, Kalifornien. Im März 2005 kehrte er nach Deutschland zurück: als Nachwuchsgruppenleiter am Institut für Entwicklungsgenetik des GSF Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit in Neuherberg. Sein EURYI-Preisgeld wird er in den Ausbau dieser Forschungsgruppe investieren.

Die Verständigung der Nervenzellen untereinander im Visier

Pascal Fries wiederum arbeitet bereits seit 2001 am F.C. Donders Centre for Cognitive Neuroimaging in Nijmegen, Niederlande. Der 34jährige hat sich zwar auch der Gedächtnisaktivität des Gehirns verschrieben, will dabei aber eher der Interaktion von Hirnzellen und deren zugrunde liegenden Mechanismen auf die Spur kommen. Die Hauptfrage, der sich Fries widmet, lautet wie folgt: Wie verständigen sich räumlich im Gehirn zum Teil weit auseinanderliegende Nervenzellen darüber, dass sie bei der Kodierung bestimmter Inhalte zusammenarbeiten müssen? Fries geht davon aus, dass ein für die Gedächtnisbildung verantwortliches weit verteiltes Netzwerk an Zellen durch eine sogenannte neuronale Synchronisation zusammen gehalten wird – ein Forschungsfeld, das noch nicht sehr lange bearbeitet wird und zu dem Fries über Wolf Singer am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt gelangte, bei dem er als Postdoc arbeitete.

Hypothese: Nervenzellen sind wie Fußballfans im Stadion

Um das Phänomen der Synchronität von Nervenzellen zu beschreiben, greift Fries gern auf das Beispiel von Fußballfans im Stadion zurück: Bevor ein Spiel beginnt, reden viele, verschiedene Fans mit ihren Nachbarn über Spieler oder Trainer, manchmal auch über die gleichen. Aber solange sie alle einzeln reden, ergeben ihre Stimmen nur ein wirres Gemurmel. Erst, wenn das Spiel beginnt, starten die Fans lauthals ihre Gesänge und gemeinsamen Rufe. Dann lässt sich auf einmal auch klar unterscheiden, welche Gruppe für welches Team ist. Und selbst Fans des gleichen Teams, die nicht zusammensitzen, können gemeinsam das Gleiche singen und sich gegenseitig als eine gemeinsame Gruppe erkennen. Fries glaubt nun, dass sich Nervenzellen im Grunde wie Fußballfans verhalten: Auch hier gibt es seiner Meinung nach Gruppen von Neuronen, die zusammenarbeiten und gemeinsam Signale aussenden, auch wenn sie räumlich getrennt voneinander sind. Dies jedenfalls konnte Fries in Experimenten feststellen: Nahm er gleichzeitig mehrere Neuronen unter die Lupe, zeigte sich, dass sich viele von ihnen synchron verhalten. Unklar ist jedoch, ob diese Beobachtungen tatsächlich darauf hinweisen, dass es sich dabei um Gruppen handelt. Und wenn ja: Woher wissen die einzelnen Neuronen, zu welcher Gruppe sie gehören? All diese Fragen versucht Fries mit seinen Kollegen in den Niederlanden herauszufinden.

Ursprünglich hatte Fries Ende der 90er Jahre in Frankfurt am Main Medizin studiert. Im Jahr 2000 machte er bereits mit der besten PhD-Arbeit der Universität von sich Reden, bei der er unter anderem vom renommierten Hirnforscher Wolf Singer betreut wurde. Gleichzeitig absolvierte Fries einen Forschungsaufenthalt am National Institute of Mental Health in Beteshda, Maryland (USA). Seit 2001 leitet Fries die Nachwuchsforschungsgruppe „Neuronal Coherence Group“ des F.C. Donders Centre für Cognitive Neuroimaging an der Radboud University Nijmegen in den Niederlanden. Sein EURYI-Preisgeld will er dazu nutzen, sein dortiges Team weiter aufzubauen.

 

EURYI Award

EURYI-Preisträger aus Deutschland

Der European Young Investigator Award wird jedes Jahr unter dem Dach der European Science Foundation (ESF) an 25 herausragende Nachwuchsforscher in Europa vergeben. Auch deutsche Biowissenschaftler befinden sich immer wieder darunter.

Im Jahr 2005 zählte Daniel Gehrlich zu den Glücklichen. Der Systembiologe baute sich mit dem Preisgeld eine Arbeitsgruppe an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich auf. Mehr


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Downloads

Lebenslauf von Pascal Fries, EURYI-Preisträger 2006

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Lebenslauf von Dieter Chichung Lie, EURYI-Preisträger 2006

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Neue Nervenzellen aus Stammzellen im Hippocampus: ein Modellsystem für Zellersatz im erwachsenen Gehirn

Autor: Dieter Chichung Lie, GSF Forschungszentrum Umwelt und Gesundheit Download PDF (138,7 KB)