BIO 2012: Biotech-Branche am Scheideweg
22.06.2012 -
Wenn es eine Standortbestimmung für die globale Biotech-Branche gibt, dann ist es die BIO International Convention. In diesem Jahr fand die weltgrößte Biotechnologie-Messe in Boston statt, wohin vom 18. bis 21. Juni mehr als 16.000 Besucher reisten. Die Stimmung in diesem Jahr war allerdings gedämpft. Von Untergang bis Siegeszug wurden verschiedenste Szenarien diskutiert.
Der weltgrößte Pharmamarkt befindet sich im Umbruch. Die Konzerne fürchten, dass die von Präsident Obama durchgeboxte Gesundheitsreform ihre Umsätze beschneiden könnte. „Unsicherheit ist unser schlimmster Feind“, sagte Thomas Watkins, Chef des US-Biotech-Unternehmens Human Genome Science (HGS). „Die Messlatte für Innovationen wird immer höher“, analysierte Chris Viehbacher. Um eine Erstattung zu erhalten, so der Vorstandsvorsitzende des französischen Pharmakonzerns Sanofi, müssten die neuen Wirkstoffe wesentlich besser sein als alles, was es bereits gibt und nicht nur ein wenig besser. Schritt-Innovationen, mit denen sich die Pharmaindustrie einst über Wasser hielten, nützen demnach nichts mehr.
In Europa werden derzeit die Effizienz-Regeln definiert
In Europa sind diese Sparmaßnahmen bereits Realität. „Ob wir es wollen oder nicht, in Europa werden derzeit die Regeln für pharmakoökonomische Effizienz definiert“, sagte Stephen Burrill, Investor in der Biotech-Branche. Die Chance, Gesundheitsausgaben einsparen zu können, stehen derzeit nicht schlecht. Denn immer mehr Präparate verlieren ihren Patentstatus, so dass preiswerte Generika in den Markt gelangen. Die Kopien kosten im Durchschnitte etwa nur 20 bis 30 Prozent der Originalware. So sind in diesem Jahr weltweit rund 67 Millarden US-Dollar an Umsätzen mit Originalpräparaten bedroht, berichtete Evaluate Pharma auf der BIO. In den kommenden Jahren geht die Erosion weiter. Bis 2015 stehen weitere 56 Millionen US-Dollar dem Verfall anheim. Die Pharmakonzerne stehen unter Druck. Ihre Aktionäre erwarten steigende Umsätze und Gewinne. Viele haben daher selbst Sparmaßnahmen eingeleitet – vor allem in der Forschung. „Die forschenden Pharmakonzerne haben ihre Forschungsausgaben im vergangenen Jahr um 11,5 Prozent heruntergefahren“, so Burrill.
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63 Milliarden in die Branche investiert
Auch offizielle Stellen in den USA fördern die Wissenschaft weniger. Das National Institute of Health (NIH) senkte die Forschungsförderung um 20 Prozent. In Deutschland hingegen ist die Projektförderung konstant geblieben. Denn der Bedarf an neuen Medikamenten besteht weiterhin. Das zeigt die Umsatzsteigerung der weltweiten Biotechnologie-Industrie. Sie setzt mehrheitlich darauf, neue Präparate mit echtem Zusatznutzen zu entwickeln und verdiente im vergangenen Jahr gut, rund 10 Prozent mehr, so ein Ernst & Young-Report. Passend dazu ist auch die Höhe des Forschungsbudgets der „Biotechs“ konstant geblieben. Auch die Investoren hielten ihre Versprechen. Laut Burrill wurden 2011 weltweit rund 63 Milliarden US-Dollar investiert.
Zeit der neuen Entbehrung
So steht die Branche am Scheideweg. Einerseits wird sie als Erfindungsmaschine der Pharmaindustrie dringend gebraucht. Andererseits werden die Ansprüche dieses Ideenabnehmers immer höher und die Zahlungsbereitschaft dank sich leerender Kassen immer geringer. Welcher Effekt überwiegen wird, ist nicht klar. Auch die Experten sind sich uneins. Einerseits spricht Burrill von einer Zeit der „neuen Entbehrung“. Die Steuerberater von Ernst & Young haben sogar einen „seismischen Schock“ ausgemacht. Andererseits bieten solche Krisen auch immer Chancen für Neuerungen. So werden neue Modelle der Zusammenarbeit entwickelt. Ernst & Young prophezeit umfassende Allianzen zwischen Pharmakonzernen, Biotech-Unternehmen, Patientengruppen und Zulieferern, um neue Entwicklungsmethoden hervorzubringen, die auf die Bedürfnisse der Patienten maßgeschneidert sind. Burrill, anerkanntes Orakel der Branche, bleibt mutig: „Dies sind die besten Zeiten, um im Business zu sein.“
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