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Christian Kurts: Der Immunologe mit dem Plan B

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Christian Kurts ist Leiter des Instituts für Experimentelle Immunologie am Universitätsklinikum Bonn. Quelle: Kurts/Uniklinik Bonn

09.05.2012  - 

Dass es ist ratsam ist, ein paar Asse im Ärmel zu haben, das weiß Christian Kurts nicht zuletzt von seinem Forschungsobjekt, dem Immunsystem. Es wählt seine Waffen genau, je nachdem, ob es mit Bakterien, Viren oder Tumoren konfrontiert wird. Der zugrundeliegende Mechanismus konnte zuletzt aufgeklärt werden, von Kurts Forschern an den  Instituten für Molekulare Medizin und Experimentelle Immunologie der Universität Bonn. Der Leibniz-Preisträger Kurts leitet es seit 2009. Glatt sieht die Karriere des 47-Jährigen nur auf den ersten Blick aus. Immer wieder musste der Mediziner auf Plan B zurückgreifen. Nicht selten war das besser so.

Es hätte ein Desaster werden können. 1995 hatte sich Christian Kurts entschieden, nach seiner Promotion in Göttingen und einigen Jahren Ausbildung zum Internisten und Nephrologen an der Medizinischen Hochschule Hannover nach Melbourne zu wechseln, um bei Jacques Miller, dem berühmten Entdecker der T-Zellen, die Funktion von T-Zell-vermittelten Immunantworten in der Niere zu untersuchen. Die Zeit down under beschreibt Kurts “als eine der besten meines Lebens”. Er schätzt die entspannte und doch sorgfältige Art der Australier, und die traumhaften Naturschönheiten des Kontinents. Doch im Labor war von Lockerheit zunächst nichts zu spüren. Die Versuche an immunvermitteltem Nierenschaden klappten nicht. “Erst Jahre später in Deutschland habe ich die damaligen Fragen beantworten können”, erinnert er sich.

Kurts wuchs im Dorf Büddenstedt nahe Helmstedt am östlichen Rand Niedersachsens auf, nur 500 Meter von der deutsch-deutschen Grenze entfernt. “Mit Forschung und der akademischen Welt hatte ich als Schüler wenig Berührungspunkte”, sagt er. Lieber schrieb er Programme für den Heimcomputer C64. Er entschied sich für ein Physikstudium in Göttingen, gab dies aber nach einigen Semestern zugunsten eines Medizinstudiums auf. Keine verlorenen Jahre, wie er heute findet. “Die mathematisch-naturwissenschaftliche Denkweise, die in den Lebenswissenschaften oft ein wenig fehlt, kommt mir heute noch zugute.”

Fundamentale Entdeckung in Australien

Und der Blick für Alternativen. In Australien entschied sich der junge Forscher damals schnell für einen Plan B: Er untersuchte die Aktivierung von T-Killerzellen, die erkrankte Körperzellen angreifen und zerstören. Dabei gelang ihm ein Durchbruch: Kurts entdeckte, dass es die dendritischen Zellen sind, die die Killerzellen alarmieren. Der zugrunde liegende Mechanismus, den er mit seinen australischen Kollegen als „Kreuzpräsentation“ bezeichnete, besitzt fundamentale Bedeutung für die Immunabwehr gegen Viren, Tumoren und bei Impfungen. Zudem vermag er auch das Entstehen von Autoimmunerkrankungen wie den Diabetes mellitus zu vermeiden.

Photonenmikroskopie-Bild von DCs in der Niere einer lebenden Maus.Lightbox-Link
Photonenmikroskopie-Bild von DCs in der Niere einer lebenden Maus.Quelle: Kurts/Uniklinik Bonn

Das war unerwartet, zu unerwartet für manche Kollegen. “Damals herrschte in der Fachgemeinde die Überzeugung, dass dendritische Zellen an diesem Vorgang nicht beteiligt sein können.” Obwohl Kurts Belege eindeutig waren, bröckelte das vorherrschende Dogma nur langsam. “Tatsächlich hatte ich bei meiner Rückkehr nach Deutschland Probleme, Institutionen zu finden, die mich weiter an der Kreuzpräsentation arbeiten lassen wollten”. Ein Forschungsantrag für Anschlussarbeiten in Hannover wurde abgelehnt. „Im Nachhinein war das ein großes Glück, denn so konnte ich mit australischer Unterstützung ein drittes Jahr in Melbourne verbringen, und das war das erfolgreichste“ resümiert Kurts. Danach bewarb er sich am Basel Institut for Immunology, dem damaligen Mekka der europäischen Immunologie. Man teilte ihm dort jedoch bereits beim Bewerbungsgespräch mit, dass man nicht an Kreuzpräsentation glaube und sagte ihm wenige Wochen vor dem geplanten Arbeitsbeginn ab. Wieder einmal war es Zeit für Plan B. “Spätestens seit Basel weiß ich, dass es immer gut ist, eine Alternative parat zu haben.”

So kehrte Kurts zurück an das Universitätsklinikum Hannover, habilitierte dort und machte zusätzlich seinen Facharzt für Innere Medizin. Die klinische Karriere, eine Alternative, “falls das mit der Forschung gar nicht klappt”. Von Nordrhein-Westfalen mit den Mitteln für eine Nachwuchsforschergruppe ausgestattet, ging Kurts dann nach Aachen. Doch die Mäuse, an denen er forschte, starben allesamt an einer Hepatitis-Infektion. Die Arbeit von zwei Jahren war verloren. “Ein herber Rückschlag”, wie er sich erinnert. Gleichzeitig war jedoch Percy Knolle, ein guter Kollege von Kurts, Leiter des Instituts für Molekulare Medizin und Experimentelle Immunologie (IMMEI) in Bonn geworden und hatte damit begonnen, die Immunologie als Forschungsschwerpunkt der medizinischen Fakultät aufzubauen. Knolle etablierte dort eine moderne Department-Forschungsstruktur nach amerikanischem Vorbild, in der die Arbeitsgruppenleiter gleichberechtigt Entscheidungen treffen, und riet ihm, sich auf eine derartige Stelle zu bewerben. Kurts fand dieses innovative Konzept sehr attraktiv, bewarb sich, hielt sich aber auch hier einen zweiten Weg offen: die USA. Er hatte ein Angebot vom La Jolla Institute in Kalifornien und machte dort eine dreimonatige Stippvisite, “um zu sehen, wie die Amerikaner arbeiten, und um zu bleiben, wenn es eine Absage aus Bonn geben sollte”. Doch Bonn wollte ihn haben.

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Die Institute für Molekulare Medizin und Experimentelle Immunologie (IMMEI) sind international renommiert für ihre Forschung an den molekularen und zellulären Mechanismen, welche die Auslösung einer Immunantowort gestalten.

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Neue Konzepte in Bonn

Am IMMEI ist es besonders der direkte Kontakt mit den klinischen Ärzten, die hier Probleme aus dem medizinischen Alltag an die Immunologen herantragen, der ihn inspiriert. “Wir bauen hier Brücken zwischen Klinik und Forschung”, sagt er. In den vergangenen Jahren hat sich deren Tragfähigkeit durch eine ganze Kaskade an Entdeckungen bestätigt. Forscher aus Kurts’ Institut klärten zellbiologische Mechanismen der Kreuzpräsentation auf und entdeckten Hinweise auf eine Rolle des Immunsystems bei der postoperativen Darmlähmung und bei altersabhängiger Makuladegeneration, der häufigsten Ursache für Blindheit im Alter.

Das alles bleib nicht verborgen, und so hatte Kurts alleine im Jahre 2009 drei Angebote für Lehrstühle im In- und Ausland. Um ihn in Bonn halten zu können, spendierte die Landesregierung NRW dem Universitätsklinikum Bonn einen neuen Lehrstuhl „ad personam“. Zudem verzichtete sein Chef Percy Knolle auf einen Teil seines eigenen Instituts, damit beide, inzwischen auch persönlich enge Freunde, gemeinsam als Ko-Direktoren der nun in Institute für Molekulare Medizin und Experimentelle Immunologie umgetauften Einrichtung weiter in Bonn arbeiten können. Derartiger Korpsgeist ist in der konkurrenzgeprägten Welt der Spitzenwissenschaft nicht unbedingt üblich. Das IMMEI gehört inzwischen zu den leistungsstärksten immunologischen Forschungsinstituten überhaupt, obwohl es von der Grundausstattung her eher klein ist. „Wir verbringen einen großen Teil unserer Zeit damit, Anträge für Forschungsgelder zu schreiben; ansonsten hätten wir weniger als 10 statt über 70 Mitarbeiter“ bemerkt Kurts.

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Dennoch sind die Arbeitsbedingungen für Immunologen in Bonn zurzeit sehr gut. “Wir haben hier in Bonn durch eine gezielte Berufungspolitik, die größtenteils von Prof. Knolle ersonnen wurde, mittlerweile viele international renommierte Immunologen vor Ort”, sagt Kurts. Falls die Immunologie in Bonn es auch noch zum Exzellenzcluster schafft - die Entscheidung fällt im Juni 2012 - dann werde Bonn “ zu einem Zentrum der immunologischen Forschung in Deutschland”.

Für die Zukunft hat er noch einiges vor, z.B. die molekularen Mechanismen der Kreuzpräsentation so gut aufzuklären, dass man damit gezielt Impfstoffe entwickeln kann. Oder die Beteiligung des Immunsystems bei Epilepsie, Augentumoren, Nierenentzündungen und Narkose-Komplikationen zu klären. “Es gibt noch so unglaublich viel zu tun”, sagt er, der seine Arbeit als Hobby bezeichnet. Nebenher macht er vor allem Entspannendes: Reisen, Lesen, Musik, Laufen. Doch die Forschung ist der Dreh- und Angelpunkt seines Lebens. Und in dieser Hinsicht ist Kurts im Augenblick tatsächlich am richtigen Platz.

Zwar sind die Bonner für den gebürtigen “Preußen”, wie er sich selbst bezeichnet, manchmal etwas behäbig. Andererseits hat er die lokalen Eigenheiten durchaus liebgewonnen, etwa die “rheinische Lösung”, bei der durch die großzügige Auslegung von Vorschriften Konflikte “für alle Beteiligten positiv” und pragmatisch entschieden werden. “Mir gefällt es sehr gut hier. Ich hoffe, die politischen, finanziellen und räumlichen Rahmenbedingungen für die Wissenschaftler in Bonn verschlechtern sich nicht”. Und was wenn doch? „Dann wird es wieder Zeit für Plan B“.

Autor: Christoph Mayerl

 

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