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Lernen vom Lurch: Kranke Herzen heilen sich selbst

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Herzmuskelzellen entwickeln sich im kranken Herzen mit Hilfe von Oncostatin M zurück. Die Myofibrillen sind rot gefärbt, Zellkerne blau. Quelle: MPI f. Herz- und Lungenforschung

27.12.2011  - 

Bis zu 3 Milliarden mal schlägt das Herz im Leben eines Menschen. Jedes Mal spannen sich die Herzmuskelzellen in einem fein aufeinander abgestimmten Muster an, um so das Blut durch den gesamten Körper zu pumpen. Kommt es – beispielsweise durch einen Herzinfarkt – zu einer Schädigung des Herzmuskels, so schalten einige der verbliebenen gesunden Zellen auf eine Art Notfallprogramm. Sie bilden sich zurück in Vorläuferzellen, um so die fatalen Folgen des Infarktes zu begrenzen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim und der Schüchtermann-Klinik in Bad Rothenfelde haben nun ein Protein identifiziert, das bei diesem Prozess eine zentrale Rolle spielt.

Der mexikanische Schwanzlurch Axolotl (Ambystoma mexicanum) ist ein wahres Regenerationswunder: ihm wachsen Gliedmaßen und Organe vollständig und funktionstüchtig nach (mehr…). Auch beim Herzinfarkt funktioniert das. Um abgestorbene Herzmuskelzellen zu ersetzen fallen einige überlebende, gesunde Herzmuskelzellen zunächst in ihren Urzustand zurück. Dieser als Dedifferenzierung bezeichnete Prozess produziert Zellen, die eine Reihe von Stammzellmarkern in sich tragen und ihre Zellteilungsaktivität wiedererlangen. Auf diese Weise entstehen neue Zellen, die sich wiederum in Herzmuskelzellen umwandeln.

Dem Menschen ist diese erstaunliche Fähigkeit jedoch weitgehend abhanden gekommen. Löst ein Infarkt den Gewebeuntergang aus, so gelten die abgestorbenen Zellen bisher als rettungslos verloren. Vor einiger Zeit wurden zwar Herz-Stammzellen entdeckt, es ist aber umstritten, ob diese für die Herzreparatur überhaupt eine Rolle spielen. Erst seit wenigen Jahren ist bekannt, dass es auch bei Säugetieren Regenerationsprozesse gibt, die ähnlich ablaufen wie bei Salamandern.

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Herzzellen schalten innerhalb weniger Tage in Reparaturmodus

Die Arbeitsgruppe von Thomas Braun vom Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim entdeckte nun das für die Steuerung dieser Dedifferenzierung von Herzmuskelzellen im Säuger verantwortliche Molekül. In der Fachzeitschrift Cell Stem Cell (2011, Bd. 9, S. 420-432) präsentieren sie ihre Ergebnisse.

Zunächst fiel den Wissenschaftlern in Gewebeproben aus den Herzen von Infarktpatienten die hohe Konzentration von Oncostatin M auf. Dieses Protein steuert als Zytokin eigentlich die Blutbildung, ist aber auch am Entstehen von Entzündungen beteiligt. Außerdem ist bekannt, dass Oncostatin M für die Dedifferenzierung verschiedener Zelltypen verantwortlich ist.

Im Labor kultivierten die Forscher Herzmuskelzellen mit Oncostatin M und konnten die Rückentwicklung der Zellen dann in Echtzeit unter dem Mikroskop verfolgen: „Anhand bestimmter Änderungen in den Zellen konnten wir sehen, dass innerhalb von sechs Tagen nach der Behandlung mit Oncostatin M nahezu alle Herzmuskelzellen dedifferenziert waren“, sagt Braun. „In den Zellen konnten wir nun verschiedene Stammzellmarker nachweisen. Dies ist als ein Hinweis darauf zu werten, dass diese Zellen nun in einen Reparaturmodus umgeschaltet worden waren.“

Hintergrund

Am Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung erforschen Wissenschaftler den Aufbau und die Funktionsweise von Herz, Blutgefäßen und Lunge.
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"Kommt darauf an, Anwendungsfenster zu definieren"

Dass Oncostatin M tatsächlich auf die vermutete Weise die Reparatur von geschädigtem Herzmuskelgewebe stimuliert, bewiesen die Max-Planck-Forscher in einem Infarktmodell in der Maus. Dabei waren einige der Tiere genetisch verändert worden, so dass das Zytokin bei diesen Tieren keine Wirkung entfalten konnte. „Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen war erstaunlich: Während bei der Gruppe, in der Oncostatin M wirken konnte, nach vier Wochen noch fast alle Tiere lebten, waren bei den genetisch veränderten Mäusen 40 Prozent an den Infarktfolgen gestorben“, so Braun. Ursache war, dass das Protein für eine deutlich messbar bessere Herzfunktion sorgte, so der Forscher.

Die Bad Nauheimer Wissenschaftler möchten nun im nächsten Schritt einen Weg finden, über den Oncostatin M gezielt therapeutisch eingesetzt werden kann. Ziel ist es, die Selbstheilung eines geschädigten Herzmuskels zu stärken und erstmals eine tatsächliche Wiederherstellung der Herzfunktion zu ermöglichen. Ein Allheilmittel ist das nun gefundene Protein jedoch nicht. So konnten die Forscher bereits herausfinden, dass Oncostatin M die Schäden an einem chronisch erkrankten Herz eher verschlimmerte. „Wir denken, das Oncostatin M ein hohes Potenzial besitzt, geschädigtes Herzmuskelgewebe effizient zu heilen. Es kommt nun aber darauf an, dass wir das Anwendungsfenster exakt definieren, um etwaige negative Effekte zu verhindern“, sagt Braun.

© biotechnologie.de/bk
 

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