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EuGH verbietet Patente auf Stammzellen

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Der EuGH hat nun entschieden, dass embryonale Stammzellen nicht patentiert werden können.

19.10.2011  - 

In einer Grundsatzentscheidung hat der Europäische Gerichtshof am 18. Oktober der Patentierung von Stammzellen einen Riegel vorgeschoben. Ein Verfahren, das die Zerstörung des Embryos nach sich zieht, sei von der Patentierung auszuschließen, so hat es das Gericht bestimmt. Während Befürworter des Urteils den weitgehenden Schutz menschlichen Lebens begrüßen, erwarten Kritiker einen Rückschlag für die Entwicklung von stammzellbasierten Therapien.

 

Mit seiner Entscheidung, embryonale Stammzellen von der Patentierung auszuschließen, folgt das Gericht dem Antrag von Generalanwalt Yves Bot vom März 2011 (mehr…). Die Wurzeln des Verfahrens reichen zurück bis in das Jahr 1999. Damals hatte der Bonner Neuropathologe Oliver Brüstle ein Verfahren zum Patent angemeldet, mit dem sich Nervenzellen aus humanen embryonalen Stammzellen (hES-Zellen) gewinnen ließen. Mit der Technik sollte es möglich werden, aus hES-Zelllinien Nervenzellen zu gewinnen, z.B. für eine Reparatur von Schäden in Gehirn und Rückenmark. Das Patentamt in München hatte das Patent zunächst erteilt, doch im Jahr 2000 legte die Umweltschutzorganisation Greenpeace Einspruch gegen die Patenterteilung ein. 2004 folgte die Klage. Das Bundespatentgericht gab Greenpeace 2006 weitgehend recht. Brüstle ging in Revision, die Sache landete beim Bundesgerichtshof (BGH). Dort ist das Verfahren noch immer anhängig, allerdings fragten die Richter beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) nach, wie die einschlägigen EU-Normen anzuwenden seien.

Vor dem EuGH spielte die Frage, ab wann ein Embryo als Embryo gilt, eine entscheidende Rolle. Schließlich bestimmt die EU-Richtlinie 98/44/EG zum Schutz biotechnologischer Erfindungen: „ Ferner ist auch die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellenZwecken von der Patentierbarkeit auszuschließen.“ Greenpeace argumentierte nun, dass die humanen ES-Zelllinien ursprünglich aus befruchteten Eizellen gewonnen wurden. Damit stelle dies eine untersagte Verwendung menschlicher Embryonen und damit einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung dar. Brüstle hingegen betonte stets, das patentierte Verfahren selbst beinhalte weder eine Verwendung von Embryonen noch die Gewinnung von hES-Zellen, sondern gehe von bereits etablierten hES-Zelllinien aus, die international erhältlich sind und an denen in Deutschland legal gearbeitet werden darf. 

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Jede befruchtete Eizelle ist ein Embryo

Den Begriff des menschlichen Embryos fasste das Gericht in seinem nun verkündeten Urteil sehr weit: „Jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an, jede unbefruchtete menschliche Eizelle, in die ein Zellkern aus einer ausgereiften menschlichen Zelle transplantiert worden ist, und jede unbefruchtete menschliche Eizelle, die durch Parthenogenese zur Teilung und Weiterentwicklung angeregt worden ist, ist ein ‚menschlicher Embryo’.“ Diese Definition ergibt sich nach Ansicht des EuGH daraus, dass der Gesetzgeber Patente habe verhindern wollen, die geeignet sein könnten, die Achtung der Menschenwürde zu beeinträchtigen. Mit den neuen EuGH-Vorgaben läuft das BGH-Verfahren nun weiter. Die Karlsruher Richter müssen jetzt ein Urteil fällen, das den Vorgaben aus Luxemburg entspricht.

Die Reaktionen auf das Urteil fielen in Deutschland ganz unterschiedlich aus. „Der EuGH stellt klar, dass wirtschaftliche Interessen nicht über menschlichem Leben stehen. Das ist eine wichtige Orientierung für die Verwertung wissenschaftlicher Arbeit“, sagte Bundesforschungsministerin Annette Schavan und betonte, wie richtig es gewesen sei, die Erforschung adulter Stammzellen zu fördern – diese sind von dem Urteil nämlich nicht betroffen. Bei den sogenannten adulten Stammzellen werden keine Embryonen verbraucht. Stattdessen werden diese Zellen direkt aus dem Körper entnommen. Mesenchymale Stammzellen dienen beispielsweise der Geweberegeneration und vermehren sich noch besonders einfach. In den vergangenen Jahren sind zudem sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) in den Fokus der Forscher gerückt. Dabei werden normale Gewebezellen, zum Beispiel aus der Haut entnommen und anschließend im Labor zu Stammzellen reprogrammiert. Mit mesenchymalen oder iPS-Zellen lassen sich viele der ethischen Probleme der ES-Zellen umgeben. „Das Urteil wird Investitionen in ethisch vertretbare Alternativen lenken“, erwartet daher auch der Europaparlamentarier Peter Liese (CDU).

Embryonale Stammzellen als Goldstandard

Doch ganz ohne die ES-Zellen wird es wohl noch nicht gehen. Dafür plädierten vielen renommierte Wissenschaftler bereits vor der Veröffentlichung des Urteils in einem gemeinsamen Statement (mehr...). Denn noch ist unklar, ob die iPS-Zellen tatsächlich ein vollwertiger Ersatz für die embryonalen Stammzellen sein können. „Letztere bleiben deshalb die wichtigste Referenzgröße, wenn es um Zellersatztherapien geht“, sagt der Stammzellexperte Wolfgang-Michael Franz von der Universität München. Wie Franz argumentieren viele Experten. Noch sind viele grundlegende Mechanismen der Stammzellentwicklung nicht verstanden, daher gelten die embryonalen Zellen sozusagen als Messlatte, um das wahre Potenzial der künftigen Zellersatztherapien zu bestimmen. Viele laufende Forschungsprojekte mit hES-Zellen nutzen diese deshalb vor allem als Vergleich. Eine Übersicht über alle Projekte, die in Deutschland mit hES-Zellen durchgeführt werden, gibt das Stammzellregister des Rober-Koch-Institut. (zum Register: hier klicken)

Stammzellforscher Brüstle, über dessen Patent der EuGH nun entschieden hat, zeigte sich von der Niederlage vor Gericht enttäuscht. Durch die Entscheidung würden „die Früchte jahrelanger transnationaler Forschung europäischer Wissenschaftler in einem Handstreich weggewischt und dem außereuropäischen Ausland überlassen“.  So dürften europäische Forscher zwar noch Grundlagenforschung betreiben, die Anwendung der auf diesen Erkenntnissen entwickelten medizinische Verfahren werde jedoch anderswo umgesetzt, „und werde letztendlich wieder nach Europa importiert“, so Brüstle. Gerade in einer Zeit, in der erste klinische Studien mit Therapien auf der Basis von hES-Zellen angelaufen sind (mehr...), setzt das Urteil damit aus Sicht der meisten Stammzellforscher in Europa das falsche Signal.

© biotechnologie.de/bk
 

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