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Genom des historischen Pest-Erregers liegt offen

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In Zähnen und Knochen der Pesttoten auf dem Londoner Friedhof Est Smithfield fanden die Tübinger Forscher DNA-Reste des Pesterregers "Yersinia pestis". Quelle: Museum of London

13.10.2011  - 

Die Biotechnologie wird immer wieder gerne als "Zukunftstechnologie" bezeichnet. Falsch ist das nicht. Auch auf biotechnologie.de geht es schließlich immer wieder um Entdeckungen, die möglicherweise erst in vielen Jahren in Therapien oder Produkten enthalten sein werden. Doch manchmal blicken Molekularbiologen auch in die Vergangenheit. Ein internationales Forscherteam - angeführt von Wissenschaftlern der Universität Tübingen und der McMaster University in Kanada - hat das Genom von Yersinia pestis entschlüsselt, dem Erreger des "Schwarzen Todes". Es ist das erste Mal, dass das Erbgut eines historischen Krankheitserregers rekonstruiert werden konnte. Die Arbeit, die im Fachblatt Nature (Oktober 2011, online frei zugänglich) veröffentlicht wurde, könnte dabei helfen zu verstehen, wie sich Erreger im Laufe der Evolution entwickeln und wie sie ihre Virulenz erhalten. Dieses Wissen wiederum könnte Schwachstellen von gefährlichen Infektionskrankheiten offenbaren.


 

Die Entschlüsselung ist eine deutsch-kanadische Gemeinschaftsleistung: Die Genetiker Johannes Krause und Verena Schünemann von der Universität Tübingen kooperierten in diesem Projekt mit Kollegen vom Max Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig sowie mit Wissenschaftlern der McMaster University im kanadischen Hamilton sowie der University of South Carolina in den USA. Deutsche Forscher haben sich bei der historischen Detektivarbeit in der Molekularbiologie, der sogenannten Paläogenetik, in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht. So veröffentlicht das Team von Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig in regelmäßigen Abständen aufsehenerregende Erkenntnisse über das Erbgut des Neandertalers (mehr...). Vor einem Jahr konnten Anthropologen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz anhand von molekularbiologischen Analysen an Pestskeletten die genaue Art des Erregers der großen Pestwelle im Mittelalter identifizieren und den Ausbreitungsweg nachverfolgen (mehr...). Bei dieser Epidemie kam im Mittelalter in nur fünf Jahren, zwischen 1347 und 1351, die Hälfte aller Europäer ums Leben. Der Blick ins Erbgut sollte jetzt dabei helfen, zu verstehen, warum Yersinia so erfolgreich war.

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Vorläufer aller heutigen Peststämme

„Um zu verstehen warum die mittelalterliche Pest so katastrophale Auswirkungen hatte, entschlüsselten wir das gesamte Erbgut des mittelalterlichen Pesterregers mit Hilfe neuester DNA-Sequenziermethoden“, sagt Johannes Krause, Juniorprofessor an der Universität Tübingen und Spezialist für Paläogenetik. Die Vergangenheit ist dabei direkt mit der Gegenwart verknüpft. „Die genetischen Informationen zeigen uns, dass der mittelalterliche Peststamm der Vorläufer aller heute noch vorkommenden Pestbakterien ist. Jeder heutige Pestausbruch auf der Erde geht auf einen direkten Nachfahren der mittelalterlichen Pest zurück“, sagt Krauses Kollege Hendrik Poinar. Die direkten Nachfahren der mittelalterlichen Beulenpest existieren bis heute und töten in etwa 2000 Menschen jährlich.

Da die Epidemie schon fast 700 Jahre zurück liegt, war die DNA gar nicht so einfach zu bekommen. Für die Studie wurden menschliche Überreste von Pestopfern untersucht, die auf dem Londoner Pestfriedhof 'East Smithfield' bestattet wurden. Dafür wurden Proben aus den Zähnen von fünf Skeletten verwendet, die bereits positiv auf die Anwesenheit von Y. pestis getestet worden waren. Die in den Zähnen konsevierte DNA des Erregers wurde gezielt angereichert, um so den Hintergrund aus menschlicher DNA und der von Pilzen und anderer Bakterien zu verringern. Durch diese Puzzlearbeit konnten nahezu alle Gene des historischen Y. pestis-Bakteriums erfasst werden. Eine genaue Rekonstruktion ihrer Anordnung auf dem Chromosom ist allerdings so nicht möglich.  

Die Verbreitung des "Y. pestis" Erregers in Europa im 14. Jahrhundert, wie sie von den Forschern rekonstruiert werden konnte.Lightbox-Link
Die Verbreitung des "Y. pestis" Erregers in Europa im 14. Jahrhundert, wie sie von den Forschern rekonstruiert werden konnte.Quelle: Krause

Wie ihre heutigen Verwandten besaßen die bakteriellen Y. pestis-Erreger ein Chromosom, das aus rund 4,6 Millionen Basenpaaren besteht. Zusätzlich besitzt Y. pestis drei Erbgutringe mit jeweils rund 100.000 Basenpaaren. Eines dieser Plasmide konnten die Wissenschaftler schon vor einigen Monaten entschlüsseln. Ein Vergleich mit modernen Pest-Erregern ergab, dass sich das Erbgut der Mittelalter-Mikrobe in weniger als 100 Punktmutationen unterscheidet . Indem sie diese langsame Veränderungsrate miteinbeziehen, konnten die Forscher ermitteln, wann der Pest-Urahn die weltbühen betreten haben muss: um das Jahr 1282 herum ist er wohl entstanden. "Dieser Vorfahre ist nur zwei Punktmutationen von den Bakterien von East Smithfield entfernt", sagt Krause.

Warum war die Pest so tödlich?

Wahrscheinlich entstand das erste Pestbakterium in Ostasien, vermuten die Forscher. Offenbar hat sich Y. pestis damals aus dem im Boden vorkommenden, harmlosen Mikroorganismus Yersinia psuedotuberculosis entwickelt. Erst durch die Aufnahme einiger Erbgut-Plasmide aus anderen Bakterien ermöglichte es ihnen, höher entwickelte Säugetiere wie den Menschen zu infizieren. Frühere Pestausbrüche wie die Justinianische Pest, die im 6. Jahrhundert mehr als 100 Millionen Menschen weltweit tötete, wahrscheinlich von einem anderen, bisher nicht identifiziertem Erreger verursacht wurden. Ob die wenigen Veränderungen im Erbgut des Erregers dazu geführt haben, dass die moderne Pest nicht mehr so aggressiv ist wie die Originalversion aus dem Mittelalter, ist noch unklar. „Im nächsten Schritt wollen wir herausfinden, warum die mittelalterliche Pest so tödlich war“, sagt Poinar.

Der jetzt entwickelte Werkzeugkoffer mit speziellen DNA-Fahndungsmethoden ist nicht auf den Einsatz bei der Pestforschung beschränkt. „Mit unserer neuen Methodik sollte es möglich sein, die Erbinformation der Krankheitserreger unterschiedlicher historischer Epidemien zu untersuchen“, sagt Krause. „So können wir einen Einblick in die Evolution von menschlichen Pathogenen und deren Einfluss auf historische Ereignisse bekommen.“  Gleichzeitig demonstrierten die Ergebnisse eindrücklich, welch katastrophale Auswirkungen ein neuartiger Erreger haben kann, wenn er auf den Menschen trifft.

© biotechnologie.de/cm
 

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