Verzögerungstaktik: Tripper-Erreger bleiben außen vor
26.08.2010 -
Viele Krankheitserreger, etwa Viren oder Bakterien, drängen darauf, in das Innere von Wirtszellen zu gelangen. Dort sind sie vor Attacken des Immunsystems geschützt und können sich vermehren. Forscher des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin haben jedoch zusammen mit Wissenschaftlern der Harvard Universität bei Gonokokken einen ungewöhnlichen Mechanismus beobachtet: Die Erreger der Geschlechtskrankheit Gonorrhoe (Tripper) tun einiges dafür, einen verfrühten Eintritt ins Zellinnere zu verhindern. Unmittelbar nach dem ersten Kontakt bewirken die Bakterien mit Hilfe von Signalmolekülen eine lokale Verstärkung des Stützskeletts in der Wirtszelle und können dadurch außerhalb der Zelle bleiben. Wie die Forscher im Fachblatt PLoS Biology (24. August 2010, Online-Veröffentlichung) berichten, haben sie diese bislang unbekannte Infektionsstrategie auch bei weiteren Krankheitserregern nachgewiesen.
Weltweit stecken sich jährlich 60 Millionen Menschen mit der Gonorrhoe an, in Deutschland sind etwa 25 000 bis 35 000 Frauen und Männer betroffen. Auslöser ist das Bakterium Neisseria gonorrhoeae. Die Keime werden beim ungeschützen Geschlechtsverkehr übertragen und können zu einer Entzündung der Harnröhre, Gebärmutter und Eierstöcke führen. Häufig gibt es einen eitrigen Ausfluss aus der Vagina der Frau oder der Harnröhre des Mannes. Dieses Symptom hat der Geschlechtskrankheit den deutschen Namen „Tripper“ eingebracht. Zwar lässt sich die Erkrankung gut mit Antibiotika behandeln, doch in den letzten Jahren ist die Infektionskrankheit wieder auf dem Vormarsch.
Wechselspiel von Erreger und Wirtszelle
Die Trippererreger werden auch als Gonokokken bezeichnet. Die Bakterien heften sich mit Hilfe fadenförmiger Proteine, so genannter Pili, an Schleimhautzellen an. Dort kann es den Angriffen des Immunsystems durch raschen Wechsel seiner Oberflächenstruktur mit Leichtigkeit entgehen. Erst in einer späteren Phase der Infektion dringt es dann gelegentlich in die Zellen ein, um in tiefere Gewebe zu gelangen und dort weiteren Nährboden zu finden. Bislang beschäftigten sich Wissenschaftler vor allem mit den Tricks, die es Bakterien erlauben, in Zellen einzudringen.
Die Ergebnisse der Berliner Forscher um Thomas Meyer vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie legen jedoch nahe, dass Bakterien bei Bedarf viel Mühe darauf verwenden, nicht in Zellen aufgenommen zu werden. Da Körperzellen laufend kleine Membranbläschen von ihrer Oberfläche abschnüren, werden so auch die winzigen Bakterienzellen "ungewollt" nach innen befördert. Die Berliner Wissenschaftler haben nun den Signalweg aufgeklärt, mit dem die Erreger verhindern, von Zellen derart "verschluckt" zu werden. Wenn sich Gonokokken an der Zellmembran anheften, lösen sie demnach an dieser Stelle unterhalb der Membran eine Verstärkung des Zellskeletts aus. Kettenförmige Aktin-Proteine werden zum Ort der Anheftung transportiert und dort miteinander verknüpft. Dabei spielt das Transportprotein Caveolin-1 sowie die Signalproteine Vav2 und RhoA eine zentrale Rolle.
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Thomas Meyer und seine Kollegen wollen bei ihren Studien das Wechselspiel zwischen Erreger und Wirt im Detail aufklären. Dabei setzen die Berliner Forscher auf die RNA-Interferenz als Werkzeug für ihre Studien (mehr...). Die Projekte werden vom BMBF im Rahmen der Förderinitiative ERA-Net Pathogenomics gefördert. Erst im Oktober 2009 wurde ein Hochdurchsatz-Screeninglabor am MPI für Infektionsbiologie eingeweiht, in dem mittels der RNAi-Technologie nach zellbiologischen Faktoren bei Infektionsprozessen fahnden (mehr...).
Lieber draußen als drinnen
Die Ergebnisse der aktuellen Studie eröffnen eine völlig neue Sichtweise auf den Verlauf von Infektionskrankheiten. "Lange Zeit ging man davon aus, dass sich Krankheitserreger besonders darum bemühen, möglichst schnell in Körperzellen einzudringen. Das Gegenteil ist aber offenbar der Fall. Zunächst scheint es für die Gonokokken lebenswichtig zu sein, auf der Oberfläche der Zellen zu verbleiben", erläutert Thomas Meyer. Die Verankerung an der Zellmembran mit ihren Pili-Proteinen und die darunterliegenden Veränderungen des Stützskeletts machen die Erreger offensichtlich noch widerstandsfähiger gegen die mitunter unwirtlichen Lebensumstände außerhalb der Zellen.
Die entdeckten Signalwege können möglicherweise künftig medizinisch genutzt werden, um Infektionen abzuwehren. Denn die Wissenschaftler konnten zeigen, dass krankmachende Escherichia coli-Darmbakterien ebenfalls diesen Signalweg nutzen. Wahrscheinlich verhindern auch noch weitere Bakterien auf diese Weise, dass sie von Zellen aufgenommen werden. Dazu zählen Krankheitserreger, die schwere Wundinfektionen, Lungen- und Hirnhautentzündungen hervorrufen können.