Bioinformatik: Wie sich Arzneimittel im Körper ausbreiten
20.08.2010 -
Biophysiker und Informatiker melden einen methodischen Fortschritt für die Suche nach wirkungsvollen Medikamenten: Forscher des Leipziger Max-Planck-Instituts für Mathematik in den Naturwissenschaften und der Universität Aarhus in Dänemark können mit einem neuen mathematischen Modell schneller und genauer als bislang vorhersagen, ob ein Arzneimittel zu seinem Wirkungsort gelangt. Das Modell berechnet aus chemischen Daten die Route biologisch aktiver Substanzen im Körper. Wie die Forscher im Journal of Chemical Physics (2010, Online-Veröffentlichung) schreiben, könnte das neue Hydrationsenergie-Modell auch dazu genutzt werden, um die Wege von Chemikalien in Ökosystemen beschreiben.
Biologisch aktive Substanzen müssen im menschlichen Körper eine Vielzahl wässriger Lösungen, Lipidmembranen und Blutbarrieren durchdringen, um zu ihrer jeweiligen Wirkungsstätte vorzudringen. Forscher um Maxim Fedorov vom Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften in Leipzig ermöglichen es nun gemeinsam mit Kollegen der Aarhus Universität in Dänemark, die Wege bioaktiver Stoffe im menschlichen Körper zuverlässiger und schneller zu beschreiben als bislang. Sie haben ein neues mathematisches Modell entwickelt, das die freie Hydratationsenergie vieler biologisch aktiver Stoffe berechnet. Über die freie Hydratationsenergie der Moleküle ermitteln Forscher, wie gut sich die Substanzen in verschiedenen Medien lösen. Daraus ergibt sich, welche Wege die Stoffe in komplexen Umgebungen einschlagen.
Moderne Mathematik führt zu schnelleren Simulationen
Das neue Modell basiert auf einer Datenbank mit den freien Hydratationsenergien von etwa 50 bioaktiven Substanzen. Aus ihnen errechnet die Software der Forscher innerhalb weniger Sekunden die freie Hydratationsenergie weiterer, chemisch ähnlicher Stoffe. Ältere automatisierte Simulationsmodelle auf Basis der gleichen Datenbank brauchten oft Wochen, um ein Ergebnis zu liefern.
MPI für Mathematik in den Naturwissenschaften |
Seit 1996 existiert dieses Max-Planck-Insititut in Leipzig. Die Forscher entwickeln mathematische Verfahren und Methoden für die Natur- und Ingenieurwissenschaften. Zur Webseite des Instituts: hier klicken |
"Und das war dann häufig ungenau", sagt Maxim Fedorov. Sein Team hat eine bereits bestehende Theorie mit modernen mathematischen Methoden weiterentwickelt und verbessert. "Die älteren Modelle nutzen nicht alle Möglichkeiten, die uns die Mathematik heute bietet", so Fedorov. "Das liegt auch daran, dass neue Entwicklungen in der Mathematik von anderen Disziplinen oft übersehen werden." So dauerte die Berechnung der freien Hydrationsenergie bislang so lange, dass sie für die Industrie unpraktikabel war. Daher liegen derzeit nur von 1000 der insgesamt 20 Millionen bekannten bioaktiven Stoffe entsprechende Werte vor.
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Aufwendige Ermittlung der Hydrationsenergie vereinfacht
Vor allem in der Medikamentenentwicklung ist die Löslichkeit von bioaktiven Stoffen ein wichtiger Punkt. "Zu Beginn von Studien arbeiten Wissenschaftler in extrem geringen Dosen, im Nano- oder Milligrammbereich", sagt Fedorov. "Bei diesen geringen Mengen in Labortests zu testen, wie sich ein Stoff später im Körper verteilen wird und ob er überhaupt in die Zielzellen eindringt, ist quasi unmöglich." Für die Tests im Labor müssen Forscher die Substanzen zunächst kristallisieren, was oft schwierig oder gar unmöglich ist. Anschließend bestimmen sie in mehreren Schritten die freie Hydrationsenergie. "Die Messungen sind langwierig, teuer und gerade zu Beginn der Wirkstoffentwicklung unpraktisch", sagt Fedorov.
Wie sich Chemikalien in Ökosystemen verhalten
Das neue Modell soll nicht nur im pharmakologischen Bereich Anwendung finden. "Das Modell ist die Grundlage für viele Berechnungen, die mit der Verteilung von Stoffen in komplexen Umgebungen zu tun haben", so Fedorov. Es gilt für beliebige wässrige Systeme, und der menschliche Körper ist eines davon. "Wir wollen letztlich die Bewegung einer Substanz in einer beliebig komplexen Umgebung vorhersagen." So könnten die Ergebnisse auch für die Umweltforschung relevant werden. Sie erlauben es Wissenschaftlern beispielsweise die Verbreitung landwirtschaftlicher Chemikalien in Ökosystemen oder industrieller Abgase und Abwässer in der Luft und Flüssen zu prognostizieren.