Alexander Gottschalk: Fadenwürmer mit Licht fernsteuern
22.06.2010 -
Er ist klein und unauffällig, seine Rolle bei einer der größten Herausforderungen der Wissenschaft könnte aber riesig sein. Mit Hilfe einer neuen Forschungsrichtung, der Optogenetik, untersucht der Biochemiker Alexander Gottschalk an der Universität Frankfurt das Nervensystem des Fadenwurms Caenorhabditis elegans. Das Besondere dabei: Mit Hilfe von Licht lassen sich einzelne Nervenzellen des Tieres aktivieren, und so Rückschlüsse auf die Funktion der Neuronen ziehen. Davon erhofft sich Gottschalk schließlich auch Erkenntnisse für das menschliche Nervensystem und den Aufbau des Gehirns.
Das Nervensystem von Säugetieren ist wohl das kompliziertesten Netzwerk des Universums: Ein einzelnes der 100 Milliarden Neurone des Menschen kann mit bis zu 10.000 anderen Nervenzellen verschaltet sein. Mit Hilfe der Optogenetik könnte es nun gelingen, dieses riesige Netzwerk als das Zusammenspiel zahlreicher Schaltkreise besser zu verstehen. „Wir können mit Lichtimpulsen einzelne Nervenzellen an- und ausschalten“, erklärt Gottschalk, „um anschließend zu beobachten, wie sich der Organismus verhält.“ Gottschalk hat auf seinem Laptop zahlreiche Filme von Fadenwürmern, die unter der Bestrahlung mit unterschiedlichem Licht ihr Verhalten verändern: sie strecken oder krümmen sich, machen Wellenbewegungen oder wechseln plötzlich die Richtung.
Nervenzellen mit An/Aus-Schalter
Die Optogenetik ermöglicht es, in einzelne Nervenzellen gewissermaßen einen Einschaltknopf einzubauen. Diese Schalter bestehen aus Proteinen, die auf Licht mit bestimmten Wellenlängen unterschiedlich reagieren: Der Eiweißstoff Channelrhodopsin zum Beispiel reagiert auf blaues Licht und aktiviert eine Nervenzelle, Halorhodopsin dagegen reagiert auf gelbes Licht und schaltet die Nervenzelle quasi aus. Dem Labor von Gottschalk ist es zum ersten Mal gelungen, diese lichtgesteuerten Proteine in einen lebenden Organismus zu lotsen: Sie schleusten die Erbinformationen für das Eiweiß einfach in die Keimbahnzellen des Fadenwurms. Die Nervenzellen der Nachkommen lassen sich nun mit dem passenden Licht an- oder ausschalten.
Fadenwurm: einfach gebauter Alleskönner
In seiner Dissertation erforschte der Biochemiker Gottschalk ursprünglich ein molekularbiologisches Thema rund um die Messenger-RNA von Hefe. „Doch irgendwann wollte ich weg von den Einzellern“, erzählt er. Die Neurobiologie faszinierte ihn, eben das Zusammenspiel von vielen Nervenzellen. „Das spannende ist natürlich, wie einzelne Zellen die Signale weitergeben.“ Eher zufällig stieß er bei der Suche nach einem Forschungsschwerpunkt auf den Fadenwurm. „Das Nervensystem von Fadenwürmern ist zwar einfach, kann aber gleichzeitig verhältnismäßig viel“, erklärt der Forscher.
Jedes Tier hat nur 302 Nervenzellen mit 7000 Verschaltungen, dennoch kann der Wurm riechen, schmecken und Berührung wahrnehmen. „In Deutschland wird bisher noch zu wenig gesehen, dass man viele relevante Prozesse von diesem Wurm ableiten kann“, so Gottschalk. Für die Fadenwurm-Expertise ging er nach seiner Doktorarbeit deswegen zunächst in die USA, Ende 2003 kehrte er für eine Juniorprofessur nach Deutschland zurück, seit März ist er Heisenberg-Professor an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Menschliche Nervenzellen lassen sich prinzipiell auch abschalten
Mit Hilfe der Optogenetik will Gottschalk zunächst grundsätzlich verstehen, wie das Nervensystem des Fadenwurms funktioniert. Obwohl dessen Nervensystem viel einfacher ist als das des Menschen, findet man dabei große Ähnlichkeiten. Prinzipiell könnte es im nächsten Schritt also sogar möglich sein, auch menschliche Neuronen mit den optogenetischen Methode zu manipulieren. So könnten zum Beispiel bei besonders starken Formen der Epilepsie oder der Parkinson'schen Krankheit Nervenzellen, die aus dem Ruder laufen, ruhig gestellt werden. „Bei Parkinson werden schon jetzt so genannte Hirnschrittmacher eingesetzt, die bestimmte Nervenzellen elektronisch stimulieren“, sagt Gottschalk. Allerdings könne man dabei nicht bestimmen, welche Zellen genau angeregt werden. „Mit der Optogenetik könnte man ganz gezielt vorgehen.“
Autorin: Ute Zauft