Direktlink :
Inhalt; Accesskey: 2 | Hauptnavigation; Accesskey: 3 | Servicenavigation; Accesskey: 4

Thore Rohwerder: Der Stoffwechselfahnder

Thore Rohwerder fahndet nach Stoffwechselwegen, die bislang keiner kennt. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Thore Rohwerder fahndet nach Stoffwechselwegen, die bislang keiner kennt. Quelle: Thore Rohwerder

15.02.2010  - 

Wenn Thore Rohwerder in seinem Garten gräbt oder spazieren geht, steckt er zuweilen Erde ein, nimmt sie mit ins Labor und kultiviert sie auf dem Schüttler. Aus ostdeutschen Bodenproben isolierte der Mikrobiologe auch ein Bakterium, das einen Ausgangsstoff für Acrylglas produzieren kann. Diesen Kunststoff aus Naturzutaten anstelle von Erdöl herzustellen, wollte die Industrie schon lange. Dass Rohwerder diesen Weg nun fand, verdankt er seiner Recherchelust, denn eigentlich fahndet er nach Organismen, die Altlasten abbauen.

Jeden Arbeitstag eilt Dr. Thore Rohwerder als erstes in den Keller der Abteilung Umweltmikrobiologie, des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Dort kontrolliert er die Kulturen der Bakterien-Schüttler. „Ich will sehen, was gewachsen ist“, sagt der Biologe mit dem schwedischen Vornamen, der an seine Urahnen erinnert. „Denn ich suche neue Stoffwechsel-Typen bei Bakterien“. So ähnlich begannen auch die Arbeiten, die ihn später in die Schlagzeilen brachten. Denn was er entdeckt hatte, klang viel versprechend: Ein bakterielles Enzym, das einen Weg offenbarte, natürliche Kohlenstoffquellen anstelle von Erdöl für die Herstellung von Acrylglas zu nutzen. Das ließ sie Industrie aufhorchen, die ihn für den European Science-to-Business Award nominierte, der mit 100.000 Euro dotiert ist.

Das Bakterium Aquincola tertiaricarbonis ist in der Lage die Altlast Methyltertiärbutylether (MBTE) vollständig zu verstoffwechseln und damit verunreinigtes Trinkwasser wieder genießbar zu machen. Lightbox-Link
Das Bakterium Aquincola tertiaricarbonis ist in der Lage die Altlast Methyltertiärbutylether (MBTE) vollständig zu verstoffwechseln und damit verunreinigtes Trinkwasser wieder genießbar zu machen. Quelle: Thore Rohwerder, UFZ

„Nicht nur wir, auch alle Gutachter waren verblüfft, dass ein Lebewesen ein solches Enzym überhaupt hat“, berichtet Rohwerder. Den Biokatalysator hatte er zufällig entdeckt, als er gemeinsam mit seinem Chef, Dr. Roland Müller, den natürlichen Abbau einer Altlast untersuchte. In dem vom BMBF geförderten Projekt (mehr Infos: hier klicken) sollten natürliche Abbauprozesse im ostdeutschen Leuna analysiert werden, die die Selbstreinigung des Grundwassers unterstützen. Dort war, wie an vielen alten Industriestandorten, der Benzinzusatz Methyltertiärbutylether (MTBE) ins Wasser gelangt. Ein Stoff, der die Klopffestigkeit von Ottokraftstoffen erhöht. Er ist zwar in den dort vorhandenen Mengen nicht toxisch, macht aber Trinkwasser ungenießbar, „weil er so stinkt“, ergänzt Rohwerder.

UFZ
Thore Rohwerder arbeitet am Helmholtz-Zentrum für Umwelt (UFZ) in Leipzig, in der Abteilung Umweltmikrobiologie. Mehr über seine Arbeiten erfahren Sie auf seiner Webseite.

zur Webseite: hier klicken

Von der Erde geschabt

Der Mikrobiologe begann also nach Bakterien zu fahnden, die die Substanz abbauen. Er untersuchte diverse Bodenproben, und auch in Erden, die er aus der Streu von Ginkobäumen geschabt hatte. Die Pflanzen stellen ein MTBE-ähnliches Molekül her und vielleicht leben dort Bakterien mit solchen Fähigkeiten, so die Überlegung. 

In Bodenproben aus Leuna wurde Rohwerder fündig. Den Abbauweg von MTBE im Aquincola tertiaricarbonis getauften Organismus klärte er dann auf vielen Ebenen auf, analysierte DNA und Proteine, Enzyme, Biochemie und Physiologie des Organismus. Dabei entdeckte er das Enzym, das ein Zwischenprodukt im MTBE-Abbau zu einer organischen Säure verarbeitet, genau genommen zu 2-Hydroxyisobuttersäure. Anschließend recherchierte er fast alles, was er über diesen Stoff finden konnte, und durchforstete auch Bücher, die schon ein halbes Jahrhundert in der Bibliothek gestanden hatten. Wie er herausfand, ist das Abbauprodukt eine Vorstufe für ein Monomer, das in der Polymerisierungsreaktion für Acrylglas eingesetzt wird. „Könnten möglicherweise andere von unserer Entdeckung profitieren?“ fragte er sich. Denn wenn das Enzym diese Säure biologisch abbauen kann, müsse man den Weg auch umkehren und aus natürlichen Kohlenstoffen Acrylglas herstellen können, folgerte Rohwerder, „man muss es nur noch zu Ende denken“. Fasziniert von den Fähigkeiten des Enzyms, schrieb er gemeinsam mit seinem Chef den Patentantrag.

Mehr zum Thema auf biotechnologie.de
News: 20 Jahre Dreck - Biosensoren messen Exxon-Valdez-Folgen
Förderbeispiel: Mit Leuchtkraft für sauberes Wasser

Aus Schadstoffen Biomasse gewinnen

Dass Bakterien „schier alles können“, also auf, von und in den verschiedensten Substraten leben, begeisterte Rohwerder schon in der Schule. Zwar habe er kurz mit der Aids-Forschung geliebäugelt, aber bald „erschienen mir Viren zu langweilig. Die vielfältigen Formen, wie Bakterien Energie gewinnen, fand ich viel spannender“, sagt der Mikrobiologe. Nach der Doktorarbeit in Hamburg ging der Norderstedter zum UFZ nach Leipzig zu einer Gruppe, die sich auf die biologische Beseitigung von Altlasten spezialisiert hat. „Eine schöne Sache, aus einem Schadstoff wieder Biomasse und Kohlendioxid zu machen“, erinnert er sich an seine damalige Entscheidung. Nach einem kurzen Forschungsaufenthalt an der Duisburg-Essener Universität kehrte er Ende 2009 wieder zum UFZ zurück.

In der fluoreszenzmikroskopischen Aufnahme erscheinen die Aquincola tertiaricarbonis-Bakterien rot, weil der zugesetzte Farbstoff ihren Speicherstoff Polyhydroxybuttersäure leuchten lässt. Lightbox-Link
In der fluoreszenzmikroskopischen Aufnahme erscheinen die Aquincola tertiaricarbonis-Bakterien rot, weil der zugesetzte Farbstoff ihren Speicherstoff Polyhydroxybuttersäure leuchten lässt. Quelle: Thore Rohwerder, UFZ

Dort hatte er das Verfahren zur enzymatischen Herstellung der Buttersäure ausgetüftelt. „Wir gewannen ein paar Milligramm“, sagt Rohwerder. Die Firma Evonik kaufte inzwischen das Patent und kam auf ihn und Müller zu, um das Verfahren weiter zu entwickeln und eines Tages Acrylglas in großen Mengen aus nachwachsenden Rohstoffen herstellen zu können.

Die Fahndung nach neuen Stoffwechselwegen vergisst Rohwerder auch in der Freizeit nicht. Wenn er mit Frau und Sohn „im Garten buddelt“, Bananen pflanzt oder spazieren geht, achtet er auf die Erde. Wenn er darin besondere Bakterien vermutet, weil er etwa Schwefelfäden entdeckt, steckt er „gerne mal `ne Probe“ ein und nimmt sie mit ins Leipziger Labor.

Ob das neue Bakterium noch weitere Überraschungen bereithält? Vielleicht sei sein Abbauweg erst vor kurzem entstanden, weil MTBE erst seit den 1970er Jahren in Kraftstoffe gemischt werde, erklärt der Biologe. Ob sich Rohwerder nun aber zuerst um Evolutionsfragen kümmert, weitere Enzyme „seines“ Aquincola-Bakteriums untersucht oder sich den jüngsten Bodenproben aus dem Leipziger Auwald widmet, lässt er offen, “ich habe immer mehrere Kulturen auf meinem Schüttler”.


Autorin: Dr. Esther Schwarz-Weig

 

Menschen

Forscherprofile

Sie möchten noch mehr Persönlichkeiten aus der biotechnologischen Forschung in Deutschland kennenlernen? In der Rubrik Menschen haben wir bereits eine ganze Reihe von Wissenschaftlern und Unternehmern porträtiert.


Zur Rubrik Menschen

Förderbeispiele

glowing cells in a test tube

Sie möchten erfahren, in welche Forschungsprojekte öffentliche Gelder fließen? Unter der Rubrik Förderbeispiele stellen wir regelmäßig öffentlich geförderte Forschungsvorhaben inhaltlich vor.


Zur Rubrik Erfindergeist

Nachwuchsförderung

Collage aus Broschüren-Deckblatt

Wege in die Biotechnologie: In den vergangenen 25 Jahren hat das BMBF mehr als 200 junge Wissenschaftler darin unterstützt, in die Biotechnologie zu gehen. Eine neue Broschüre verschafft nun Einblicke in den Verlauf dieser Karrieren: Was ist aus den einstigen Nachwuchsforschern geworden? Wie sind sie beruflich vorangekommen? Woran arbeiten sie heute? Die Broschüre kann kostenlos im Bestellservice geordert oder als PDF heruntergeladen werden.


Zur Rubrik Publikationen