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Expertengespräch über die Medizin von morgen

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Genchips, die die Aktivität von Genen messen, könnten künftig helfen, die richtige Therapie für Patienten zu finden. Quelle: DKFZ

29.05.2009  - 

Wie sieht die Medizin in zwanzig Jahren aus? Mit diesem Thema hat sich der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am 27. Mai in einem Expertengespräch auseinandergesetzt. Als Basis diente der mehr als 150seitige Zukunftsreport „Individualisierte Medizin und Gesundheitssystem“, den das Büro für Technikfolgenabschätzung im Deutschen Bundestag (TAB) im Auftrag der Abgeordneten durchgeführt hat.

Schon heute zeichnen sich erste Entwicklungen der individuellen Medizin ab. Insbesondere bei der Krebs- und HIV-Therapie lässt sich vorhersagen, ob ein Medikament bei einem Patienten voraussichtlich wirken oder ob der Patient dieses vertragen könnte. Bislang sind für elf Präparate Gentests vor der Anwendung vorgeschrieben, bei drei weiteren Medikamenten werden sie empfohlen.

Hintergrund

Sie wollen sich den Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) komplett durchlesen? Er steht allen Interessierten zum Download bereit.

mehr Infos zum TAB-Büro: hier klicken

vollständiger Bericht: PDF-DOWNLOAD

Schwerpunkt auf Biomarker und ihr Einfluss auf Medizin

Über diese ersten Beispiele hinaus haben die Autoren um Bärbel Hüsing und Arnold Sauter vom TAB das Thema "maßgeschneiderte Medizin" breit aufgerollt: Angefangen beim aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik bis hin zu Beispielen (Diabetes, Therapie bei Kindern und älteren Menschen, Zelltherapien) legen sie dar, wie sich die Behandlung von Krankheiten in den nächsten Jahren ändern könnte, welche Potenziale bestehen und welche Herausforderungen noch genommen werden müssen. Ein Schwerpunkt der Studie setzt sich zudem mit der Biomarker-basierten Medizin auseinander - einem in der Wissenschaft derzeit sehr dynamischem Feld, das fast täglich neue Nachrichten produziert. Insgesamt, so die Autoren, sei in zwanzig Jahren, wenn die Entwicklung weiter so voranschreite, eine stärkere Individualisierung der Medizin zu erwarten - was für den Patienten vor allem mit effektiveren Medikamenten einhergehen werde. Allerdings passiere eine solche Entwicklung nicht automatisch, sie bedarf insbesonder ein der Gesundheitspolitik der Regelung, so die Autoren.

Keine zu hohen Erwartungen wecken

Zugleich warnen die Experten vor zu hohen Erwartungen. „Insbesondere bei genombasierten Texts sind valide Aussagen über den konkreten Nutzen bislang kaum vorhanden“, sagte Hüsing beim Expertengespräch. Der Beitrag zu einer größeren Prävention ist aus ihrer Sicht zudem begrenzt. Im Bericht heißt es dazu: „Beim derzeitgen Stand von Wissenschaft und Technik ist nicht absehbar, wie die individualisierte Medizin als zentraler Treiber für ein präventionsorientiertes Gesundheitsversorgungssystem fungieren könnte.“ So sei der Einfluss von Umweltfaktoren auf die Entstehung von Volkskrankheiten vermutlich weitaus größer als genetische Faktoren, erläuterte Hüsing den anwesenden Abgeordneten des Forschungsausschusses sowie des Gesundheitsausschusses. Hier sieht die Autorin des Zukunftsreports deshalb noch großen Forschungsbedarf.

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Kliniker: Mindestrecht auf optimale Therapie
Indes verwiesen die geladenen klinischen Experten Ivar Roots, Professor für Pharmakologie an der Charité, sowie Hugo Katus,  Professor von der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg, auf die Vorteile bereits genutzter biomarkerbasierter Therapien – etwa in der Brustkrebsbehandlung.  Zugleich betonten sie den hohen Bedarf einer effizienteren Behandlung. „Starke Nebenwirkungen sind die fünfhäufigste Todesursache, jedes Jahr werden mehr als zwei Milliarden Euro für die Behandlung von Nebenwirkungen ausgegeben“, erläuterte Roots. Jeder Patient habe  aus seiner Sicht deshalb ein Mindestrecht auf optimale Therapie – und Biomarker könnten langfristig zu einer Verbesserung beitragen, davon zeigte sich der Kliniker überzeugt.

Pay for Performance als neues Erstattungsmodell

Wie schwer tatsächliche Erkenntnisse allerdings in die Praxis umzusetzen sind, davon berichtete Hagen Pfundner vom Pharmakonzern Roche. „Wir stellen inzwischen in unserer Forschung und Entwicklung jedem Therapieprojekt ein Biomarkerprogramm zur Seite, das verdoppelt uns in der präklinischen Forschung allerdings auch unsere Kosten“, sagte er. Zugleich betonte Pfundner, dass man damit in der Industrie noch relativ exotisch sei. Schließlich besteht die Herausforderung zum einen darin, überhaupt valide Biomarker zu finden und zum anderen, darauf aufbauend ein effektives Geschäftsmodell zu entwickeln. Das Problem: Wenn Medikamente gezielter eingesetzt werden, reduziert sich die jeweilis davon profitierende Patientenzahl, und das wiederum heißt für die Industrie weniger Einnahmen. Dennoch sei die Entwicklung unausweichlich, betonte Pfundner, schon allein weil man angesichts auslaufender Patente auf Innovationen und neue Produkte angewiesen sei. Biomarker könnten aus seiner Sicht dazu beitragen, die Treffsicherheit bei der Entwicklung neuer Medikamente signifikant zu verbessern und  Fehlschläge zu vermeiden. Für den Patienten wiederum steigt die Effzienz und er muss mit weniger Nebenwirkungen oder Fehlbehandlungen rechnen. „Aus diesem Grund müssten biomarkerbasierte Arzneien im Gegensatz höhere Kosten rechtfertigen, weil sie eben effektiver einsetzbar sind“, sagte Pfundner. Bislang allerdings ist das nicht der Fall. Selbst bei erfolgreichen Beispielen, wie im Fall der Brustkrebsbehandlung mit dem Medikament Herceptin, der nur bei bestimmten Patienten wirkt, habe man den Test sogar mehrere Jahre lang kostenlos abgegeben, so Pfundner. Da höhere Kosten im Gesundheitssystem aber schwierig zu rechtfertigen sind, kann er sich einen ganz anderen Weg aus dem Dilemma vorstellen.  „Weil wir es hier mit messbaren Erfolgen zu tun haben, könnten wir uns auch ein Modell ‚Pay for Performance’ mit den Krankenkassen vorstellen“, erläuterte er. So habe man als Firma Planungssicherheit, könne dem Gesundheitssystem aber bei den Kosten entgegenkommen.

Wandel des Begriffes Gesundheit

Regine Kollek, Professorin für Technikfolgenabschätzung der modernen Biotechnologie in der Medizin an der Universität Hamburg, wies bei der Diskussion wiederum darauf hin, dass individualisierte Medizin viel mehr Eigenverantwortung der Patienten verlange. "Da entwickelt sich schnell ein Wunsch, ein Anspruch und dann auch eine Pflicht zur Gesundheitsvorsorge, " warnte die Professorin.

Zugleich gab sie zu Bedenken, dass man womöglich zu einer ganz neuen, nämlich aktiven Definition von Gesundheit kommen wird. "Wenn es kein risikofreies Genom mehr gibt, dann ist Gesundheit  die Folge eines Willens und Teil der aktiven Vorsorge. Dann könnte Krankheit im Gegenzug aber auch als Schuld des Patienten angesehen werden“, so Kollek. All dies könnte schließlich zugespitzt auf eine „sittliche Verpflichtung von Gesundheit“ hinauslaufen. Ihr Fazit lautete deshalb: „Einen Zwang zur Gesundheit darf es nicht geben.“  Für die Abgeordneten zeigte die Diskussion vor allem eines: Die Diskussion um die Medizin von morgen hat gerade erst begonnen.

 

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