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Vielseitige Stammzellen im menschlichen Hoden entdeckt

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Tübinger Forschern ist es gelungen, in menschlichen Hoden vielseitige Stammzellen zu finden. Quelle: Thomas Skutella/Universität Tübingen

15.10.2008  - 

Lange schon suchen Forscher nach einem Ersatz für embryonale Stammzellen. Experimentelle Biologen aus Tübingen sind jetzt im Hodengewebe von Männern fündig geworden. Dort gibt es Zellen, die bei richtiger Behandlung offenbar ebenso vielseitig sind wie ihre Pendants im Embryo. In Nature (2008, 8. Oktober, Online-Vorabveröffentlichung) berichten die Tübinger von ihrer Hoffnung, mit dieser Entdeckung eine sichere und ethisch einwandfreie Quelle für Stammzellen aufgetan zu haben.


Am Anfang ist die Eizelle. Ein ganzer Mensch entsteht aus ihr. Deshalb verfügt jeder Embryo zu Beginn über universal begabte Zellen, die sich in jede Art von Gewebe entwickeln können. Doch will man diese sogenannten Stammzellen vom Menschen in der Forschung oder zur Entwicklung von medizinischen Therapien nutzen, stellen sich viele ethische Probleme, wie die Bundestags-Debatte um die Verschiebung des Stichtages in der Stammzellforschung gezeigt hat (mehr...). Denn bei der Gewinnung der Stammzellen stirbt der Embryo ab.

Gesucht: ethisch einwandfreie Stammzellen

Wissenschaftler suchen deshalb seit Jahren emsig nach einer Alternative. Ein vielversprechender Ansatz sind dabei adulte Stammzellen. Denn auch im Körper von Erwachsenen bleiben teils das ganze Leben hochflexible Zellen erhalten. Sie werden gebraucht, damit sich bestimmte Gewebe auch in höherem Alter erneuern können. Solche Zellen lassen sich ohne größere Verletzungen aus dem Körper von Erwachsenen gewinnen. Allerdings war keine adulte Zelle bisher so vielseitig wie das embryonale Pendant. Mit Werkzeugen aus der Gentechnik lassen sich aber auch erwachsene Zellen wieder flexibel machen.

So gelang es japanischen Forschern vor zwei Jahren erstmals, Zellen aus dem Hautgewebe von erwachsenen Mäusen so umzuprogrammieren, dass sie sich ähnlich vielseitig verhalten wie embryonale Stammzellen. Vor einem Jahr gelang das Kunststück auch mit Hautzellen erwachsener Menschen. Den neuartigen Zelltyp tauften die Wissenschaftler „induzierte pluripotente Stammzellen“ (iPS). Allerdings mussten die vier dazu notwendigen Gene per Retroviren in die Zelle eingeschleust werden, die ein gewisses Krebsrisiko mit sich bringen (mehr...). Vor kurzem gelang es einem Team um Konrad Hochedlinger von der Harvard-Universität, diese durch gewöhnliche Schnupfenviren zu ersetzen (Science, 25. September 2008, Online-Veröffentlichung). Doch noch ist nicht klar, ob sich der Weg über die Hautzellen auch in der klinischen Praxis bewährt. Deshalb verfolgte die wissenschaftliche Welt mit großem Interesse, wie sich die Hodenzellen im Vergleich zu humanen embryonalen Stammzellen schlugen. Schon vor gut zwei Jahren lenkten Gerd Hasenfuß und Wolfgang Engel von der Universität Göttingen den Blick der Kollegen auf das Hodengewebe. Aus Mäusehoden gewannen sie „pluripotente“ Zellen, die sich ähnlich wie embryonale Stammzellen in verschiedene Zelltypen entwickeln können (mehr...). Beim Menschen blieb die Suche allerdings vorerst erfolglos.

Glückliches Händchen bei der Kultivierung von Zellen

Thomas Skutella von der Universität Tübingen hat Stammzellen aus Hodengewebe extrahiertLightbox-Link
Thomas Skutella von der Universität Tübingen hat Stammzellen aus Hodengewebe extrahiertQuelle: Skutella
Bis jetzt. Thomas Skutella von der Universität Tübingen und sein Team der Abteilung für experimentelle Embryologie haben nun gefunden, wonach Dutzende von Kollegen auf der ganzen Welt vergeblich fahndeten. Skutella konnte aus Vorstufen von Samenzellen des menschlichen Hodengewebes von Erwachsenen nicht nur Stammzellen generieren, sondern diese auch stabilisieren und dazu anregen, sich zu unterschiedlichen Gewebearten zu entwickeln. Dazu war gar kein kompliziertes gentechnisches Verfahren nötig, wie Skutella bestätigt. „Es waren die glücklichen Händchen von meiner Mitarbeiterin Sabine Konrad, die viel Erfahrung in der Kultivierung von Zellen hat.“

Wie die Forscher im Fachmagazin Nature berichten, ist die Kultivierung der Zellen der Schlüssel der Methode. Unter normalen Bedingungen stellen die gewonnenen Zellen Spermatozyten und später die Spermien her. Die Tübinger Wissenschaftler haben das Gewebe nun einer besonderen Selektionsmethode unterzogen, um die gewünschten flexiblen, spermienbildenden Zellen gezielt aus dem restlichen Körpergewebe zu isolieren. Dazu dockten die Forscher zum Beispiel mit Eisen versehene Antikörper an die Zelloberfläche, so dass die markierten Zellen mit Magneten abgetrennt werden konnten. Dann kultivierten sie die Zellen auf den Nährmedien Kollagen und Laminin. Nur die Kultur auf der Laminingrundlage entwickelte sich zu pluripotenten Zelllinien, stellten die Forscher fest. Warum das so ist, können sie allerdings noch nicht sagen.
Die auf Laminin gezüchteten Zellen verhalten sich im Test ähnlich wie embryonale Stammzellen. Je nach Kulturmedium waren sie in der Lage, sich in alle drei Keimblätter des Körpergewebes zu entwickeln – bislang in Inselzellen, die in der Bauchspeicheldrüse Insulin erzeugen, sowie Nervenzellen und Knochen-, Knorpel- und Sehnenzellen.

Kein fremdes Erbgut, das sich in Stammzellen einbaut

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Im Gegensatz zu allen anderen bisher umgewandelten erwachsenen Zelltypen enthalten sie deshalb kein virales Genmaterial und auch keine im eigenen Erbgut eingebauten fremden DNA-Bausteine. Deshalb gelten sie laut heutigem Stand des Wissens als ‚sicher’ und könnten im Rahmen von medizinischen Therapien als Ausgangsmaterial für defekte Gewebe dienen. Allerdings funktioniert die Methode erst auf Kulturschalenniveau im Labor. Bis zu einer Therapie und dem Erfüllen strenger medizinischer Standards sei es jedoch noch ein weiter Weg, geben auch die Forscher bereitwillig zu.
Falls sich das Verfahren stabilisieren lässt, verspricht es zwei Vorteile: Zum einen sind sie wegen ihrer unkomplizierten Gewinnung ethisch nicht so umstritten wie embryonale Stammzellen. Zum anderen werden pluripotente Zellen, die aus dem Gewebe des Patienten selbst gewonnen werden, vom Immunsystem nicht abgestoßen. So lassen sich für jeden maßgeschneiderte Gewebe und Therapien entwickeln. Der Weg über die Hodenzellen steht offensichtlich aber nur Männern offen. Bei Frauen ist eine ähnlich einfache potenzielle Stammzellquelle bisher noch nicht entdeckt worden.

 

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