Mit Enzymen pflanzliche Gesundmacher herstellen
20.10.2010 -
Begehrt sind die sekundären Pflanzenstoffe derzeit in vielen Bereichen, allen voran der Lebensmittelbranche, denn ihnen werden vielfältige gesundheitsförderliche Eigenschaften zugeschrieben. Doch oft lassen sich die Naturstoffe nur sehr aufwendig oder auf chemischen Weg und damit nicht nachhaltig gewinnen. Der Hamburger Duft- und Aromenhersteller Symrise will die Stoffe daher mit Hilfe von enzymatischen Verfahren herstellen. Im Rahmen des Clusters BIOKATALYSE2021 fahnden die Symrise-Forscher nach geeigneten Biokatalysatoren, die auch Produktionskosten sparen sollen.
Sekundäre Pflanzenstoffe sind chemische Verbindungen, die geordnet nach ihrer chemischen Struktur folgende Klassen umfassen: Phenolische Verbindungen, isoprenoide Verbindungen, Alkaloide, spezielle Aminosäuren sowie spezielle Stoffe, die in photosynthetisch aktiven Pflanzenteilen zu finden sind. Dem stimmt Jens-Michael Hilmer uneingeschränkt zu. Der Director Enzyme & Reaction Technology im Bereich „Research & Innovation“ des Duft- und Aromenherstellers Symrise hat aber noch eine andere Definition für die zu den Polyphenolen gehörenden sekundären Pflanzenstoffe parat: „Sekundäre Pflanzenstoffe sind ein wichtiger Baustein für die Zukunft unseres Unternehmens“, so der Chemiker. Was die derzeit im Fokus der Wissenschaft stehenden sekundären Pflanzenstoffe so spannend für das Unternehmen macht: Den sekundären Pflanzenstoffen werden die unterschiedlichsten positiven Wirkungen auf den menschlichen Organismus zugeschrieben. So können sekundäre Pflanzenstoffe unter anderem das Risiko für Krebserkrankungen vermindern, den Blutdruck regulieren, den Blutcholesterinspiegel senken oder das Immunsystem stärken. Darüber hinaus können sie antibakteriell, antiviral und entzündungshemmend wirken.
Heute muss ein Lebensmittel schmecken und gesund sein
Und genau diese Eigenschaften treffen den Nerv der Gesellschaft: „Früher sollte ein bestimmtes Lebensmittel nach Blaubeere schmecken“, sagt Hilmer. Heute müsse es nach Blaubeere schmecken und gleichzeitig auch einen gesundheitlichen Zusatznutzen bieten. „Sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe wie zum Beispiel Polyphenole können das teilweise leisten“, informiert der Forscher, „daher sind sie mehr denn je gefragt“. Verfahren, diese Stoffe zu gewinnen, gebe es natürlich bereits, sagt Hilmer. Sie können aus Pflanzenmaterial, wie etwa Orangen oder Zitronen, gewonnen werden. Dazu werden die Schalen, in denen sich die Wertstoffe anreichern, zunächst getrocknet, dann gemahlen und anschließend mit natürlichem Lösungsmittel versetzt. Nach einem Trennverfahren bleibt dann der gewünschte Stoff übrig.
Doch so einfach ist es in der Regel nicht, an die kleinen Gesundmacher zu kommen: Protzen Zitrusfrüchte gerade zu mit ihren sekundären Pflanzenstoffen, geizt die Mehrzahl der Pflanzen damit. Die geringen Konzentrationen in den entsprechenden Pflanzenteilen machen die Isolierung entsprechend aufwendig und damit die Reinsubstanzen relativ teuer. In manchen Pflanzen sind die sekundären Pflanzenstoffe sogar kaum noch nachweisbar. Sie können im technischen Maßstab bisher nur über einen chemischen Weg wirtschaftlich gewonnen werden. Für natürliche Aromen erlaubt der Gesetzgeber allerdings nur physikalische, enzymatische oder auch fermentative Verfahren, erklärt Hilmer.
BioKatalyse2021 |
Um die industrielle Biotechnologie in Deutschland zu fördern, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung 2007 den Clusterwettbewerb BioIndustrie2021 ins Leben gerufen. Das Hamburger Cluster BioKatalyse2021 gehörte zu den großen Gewinnern und erhielt 20 Millionen Euro. |
Enzymatische Verfahren sind nachhaltiger
Zudem widersprechen diese chemischen Verfahren häufig dem grundsätzlichen Gedanken der Nachhaltigkeit: Sie verbrauchen mehr Wasser, Energie und Rohstoffe auf Basis von Erdöl – und haben damit einen erhöhten Kohlendioxid-Ausstoß zur Folge. „Wir streben aber bei jeder neuen Produktentwicklung seit einigen Jahren bereits konsequent nachhaltige Prozesse an“, so Forscher Hilmer. „Um Nachhaltigkeit, Natürlichkeit und Wirtschaftlichkeit bei der Produktion von sekundären Pflanzenstoffen unter einen Hut zu bringen, setzen wir nun auf die Biokatalyse“, sagt Hilmer. Welche Vorteile das Verfahren bietet, wird an der bei Symrise bereits praktizierten biokatalytischen Produktion von Vanillin klar: Die Ausgangsbasis des Geschmacksstoffs bildet ein nachwachsender natürlicher Rohstoff. So ist es möglich, auf die Verwendung bisher eingesetzter beispielsweise chlorhaltiger Ausgangsprodukte zu verzichten. Auch Rohstoffe aus fossilen Quellen, wie Erdöl, sind nicht mehr notwendig, so Hilmer. Weiterhin werden Schwermetallrückstände vermieden, wie sie bei der herkömmlichen Katalyse anfallen. Und last but not least: Da der Prozess bei Raumtemperatur abläuft, wird Energie gespart, und auch das Abwasser ist pH-neutral. Von den gleichen positiven Effekten möchte Symrise jetzt auch bei der Herstellung von sekundären Pflanzenstoffen profitieren. Im Rahmen des BIOKATALYSE2021-Clusters arbeitet Hilmer daher zusammen mit Uwe Bornscheuer, dem Leiter des Instituts für Biochemie an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald und Thomas Scheper, dem Leiter des Instituts für Technische Chemie der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover, an einem biokatalytischen Modellprozess zur Produktion von speziellen sekundären Pflanzenprodukten.
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Automatisiertes Casting nach den besten Kandidaten
„Die Arbeiten sind schon weit fortgeschritten“, freut sich Hilmer. In einem mehrstufigen Screening-Prozess hat das Team zunächst geeignete Enzym-Kandidaten identifiziert, die als Biokatalysatoren für den gewünschten Prozess in Frage kommen. Dazu wurden mehrere tausend in Frage kommende Bakterien und Pilze auf sogenannte 96-Loch-Platten aufgebracht – und anschließend mit dem natürlichen Grundstoff, aus dem das ersehnte Zielmolekül entstehen soll, zusammengebracht. „An einer Farbreaktion haben wir dann gesehen, ob die Mikroorganismen ihren Job ausüben“, erklärt Hilmer. Über Nacht hat dieses erste automatisierte Enzym-Casting zehn mögliche Anwärter hervorgebracht. Diese habe man dann in der nächsten Stufe eine Nummer größer kultiviert, beschreibt Hilmer das Vorgehen. Im Schüttelkolben untersuchte der Wissenschaftler genau, ob die Reaktion tatsächlich vollständig abläuft – und ob das Zielmolekül nachher nicht doch wieder abgebaut wird. „Das ist natürlich ganz und gar nicht das, was wir wollen“, sagt Hilmer. Mittels Hochdruckchromatographie überprüfte er daher alle drei Stunden die exakten Konzentrationen des Ausgangsstoffes und des Endproduktes. Nur wenige Organismen haben das harte Auswahlverfahren überstanden. Diese seien laut Hilmer aber „sehr viel versprechend“. Gerade sei man dabei, den Up-Scaling-Prozess vorzubereiten, eine der letzten Stufen auf dem Weg zur Produktion im industriellen Maßstab, so der Symrise-Forscher. Belüftung, Temperatur und pH-Wert müssen dabei so eingestellt werden, dass die Reaktion in den Mini-Fermentern mit einem Volumen zwischen ein und zehn Litern mit einer möglichst großen Ausbeute abläuft. „Wenn wir das erreicht haben, steht einer ersten Demonstrationsanlage im Produktionsmaßstab aus wissenschaftlicher Sicht nicht mehr viel im Wege“, sagt Hilmer. Er sei sehr zuversichtlich, auch diesen Schritt bald nehmen zu können. Jetzt die Industrielle Biotechnologie auszubauen, sei eine unternehmerisch sinnvolle Strategie für die Zukunft – und zwar gleich in zweierlei Hinsicht, so Hilmer und weiter: „Der Markt wird in zunehmendem Maße danach verlangen – und langfristig sind wir es der Umwelt schuldig.“
Auszug aus dem Clustermagazin BioKatalyse2021 - Ausgabe Nr. 3