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Hoffnung und Risiko: Debatte zur Synthetischen Biologie

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In der Synthetischen Biologie entstehen aus einzelnen Biobausteinen neue biologische Systeme. Quelle: Geneart

28.07.2009  - 

Deutschland braucht einen Dialog über die Synthetische Biologie. Davon sind die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) und die Deutsche Akademie der Naturforscher (Leopoldina) überzeugt. Die drei Organisationen veröffentlichten ein gemeinsames Positionspapier. Darin bescheinigen die Wissenschaftler dem Forschungsfeld ein "großes Potenzial", für neue Impfstoffe und Medikamente, aber auch Kraftstoffe und neuartige Materialien. Noch steckt die Disziplin in der Grundlagenforschung. Allerdings sei schon jetzt eine Debatte notwendig, um ethische und sicherheitspolitische Fragen mit der Öffentlichkeit zu klären, sagen die Forscher.



Immer wieder Craig Venter. Der Tausendsassa der Biotechnologie sorgte schon bei der Entschlüsselung des menschlichen Genoms für Wirbel. Später war er auch für den bisher größten Durchbruch in der Synthetischen Biologie verantwortlich. Im Februar 2008 baute der US-amerikanische Bio-Entrepeneur mit seinen Forschern ein Bakteriengenom nach (mehr...). Das Kunstgenom von Mycoplasma genitalium war zwar nicht das erste künstlich hergestellte Genom, aber das größte jemals auf diese Art geschaffene. Vorher war das nur bei Viren gelungen, deren Erbgut um ein Vielfaches kleiner ist.

Stellungnahme Synthetische Biologie
Auf 40 Seiten schildern die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften acatech und die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina die Herausforderungen, vor denen die Synthetische Biologie steht. Die Präsidenten der drei Organisationen haben zudem separate Kommentare verfasst, in denen sie einzelne Punkte des Papiers herausgreifen.

Pressemeldung der DFG: hier klicken
Stellungnahme: PDF als Download

Der künstliche Nachbau erfolgte in mehreren Schritten, die einer Kaskade ähneln. Zunächst bauten die Forscher Einzelstücke des Erbguts im Reagenzglas mithilfe von Enzymen zu immer größeren Abschnitten zusammen. Diese Schnipsel ließen sie dann von Bakterien zu größeren Stücken zusammensetzen. Hefezellen übernahmen schließlich die Endmontage des kompletten Kunst-Genoms. Derzeit arbeitet Venter aber auch daran, das Kunstgenom in eine leere Mycoplasma-Hülle zu verpflanzen und damit zum Leben zu erwecken.

Aus einzelnen Bausteinen neue Zellen schaffen
Der Funktionstest ist der Goldstandard der Synthetischen Biologie. Schließlich geht es darum, mit biologischen Systemen konkrete Herausforderungen aus Wissenschaft und Industrie zu lösen. Das kann die Aufnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre sein oder die Umwandlung von Pflanzenresten in Biokraftstoff. Erst Mitte Juli sorgte Venter erneut für Schlagzeilen, weil der Ölkonzern Exxonmobil mit seinem Start-up Synthetic Genomics Inc. ein gemeinsames Biokraftstoffprogramm gestartet hat - mit einem Investitionsvolumen von 600 Millionen Dollar. Darüber hinaus könnten mithilfe der synthetischen Biologie bestehende biotechnologische Herstellungsverfahren, etwa in der pharmazeutischen oder chemischen Industrie, vereinfacht umgesetzt  oder ganz neue entwickelt werden.

Nach dem Baukastenprinzip setzen synthetische Biologen einzelne Biomodule zusammen, um ganz neue Stoffwechselkreisläufe und damit auch neue Eigenschaften in biologischen Systemen zu etablieren. Indem sie ganz von vorne anfangen und nicht wie in der Gentechnik nur punktuelle Veränderungen am vorhandenen Erbgut eines Organismus vornehmen, erhoffen sich die Forscher auch mehr Spielraum bei den Einsatzmöglichkeiten.

Das Erbgut von Mycoplasma genitalium lieferte die Vorlage zum Bau des ersten künstlichen Bakteriengenoms.Lightbox-Link
Das Erbgut von Mycoplasma genitalium lieferte die Vorlage zum Bau des ersten künstlichen Bakteriengenoms.

Dabei müssen aus den einzelnen Bausteinen gar keine vollständigen Organismen oder Zellen mehr entstehen. Unter Minimalgenom versteht man in der Synthetischen Biologie ein abgespecktes Genom, von dem alles entfernt wurde, was nicht direkt für die Erfüllung der anvisierten Aufgabe notwendig ist. Das Minimalgenom steckt dann in einem Minimalorganismus oder einer sogenannten Protozelle, die nur die für ein Funktionieren unabdingbaren Teile einer kompletten Zelle aufweist. Durch die Kombination verschiedener Biobausteine versuchen die synthetischen Biologen dann funktionierende genetische Schaltkreise aufzubauen, die wiederum für den Aufbau von Stoffwechselkreisen und schließlich die Herstellung der gewünschten Stoffwechselprodukte sorgen.

Sicherheit und ethische Fragen früh ansprechen
Nicht nur in den USA, auch in Deutschland nimmt die synthetische Biologie an Fahrt auf. Beim weltweiten iGEM-Wettbewerb, bei dem Studententeams jedes Jahr biologische Systeme entwerfen, indem sie einen vorgegebenen biologischen Baukasten benutzen, ist die deutsche Beteiligung respektabel. In der letzten Runde räumten deutsche Mannschaften zwei Goldmedaillen ab (mehr...), für 2009 haben sich vier deutsche Teams aus Freiburg, Dresden und Heidelberg angemeldet (mehr...).

iGEM-Wettbewerb

Beim iGEM-Wettbewerb handelt es sich um einen Studentenwettbewerb der synthetischen Biologie in den USA. Teams aus aller Welt konkurrieren darum, mit einem vorgegebenen Baukasten biologischer Module möglichst attraktive biologische Systeme aufzubauen. Der Wettbewerb entwickelte sich aus einem Sommerkurs im Jahr 2003 am Massachusetts Institute for Technology, in diesem Jahr werden bis zu 120 internationale Mannschaften erwartet.

mehr Informationen: hier klicken

Damit biologische Systeme in Zukunft von Grund auf neu zusammengesetzt werden können, müssen sie aber erst einmal grundlegend verstanden werden. Daran arbeiten in Deutschland mehrere Forschergruppen, vor allem jene, die sich mit systembiologischen Fragen beschäftigen. So arbeitet zum Beispiel Wolfgang Wiechert am Forschungszentrum Jülich daran, die komplexen Stoffflüsse in der Zelle quantitativ zu erfassen und damit komplexe biochemische Netzwerke zu beschreiben (Forscherprofil von Wolfgang Wiechert: hier klicken). Am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Brauschweig versucht hingegen Vitor Martins dos Santos, wie sich das Bakterium Pseudomonas putida auf seine wesentlichen Gene reduzieren lässt (mehr Infos: hier klicken).

Die Disziplin allerdings noch ganz am Anfang. Früh genug allerdings, um einen schlechten Ruf in der Öffentlichkeit zu bekommen. Spätestens seit die Redaktion der englischen Tageszeitung Guardian synthetisch hergestellte Bestandteile des Pockenvirus-Genoms per Internet bestellten, ist sich jeder bewusst, dass in der synthetischen Biologie immer auch ein Risiko steckt.

Synthetische Biologen forschen an Protozellen, das sind abgespeckte Versionen natürlicher Zellen, die nur noch die nötigsten Bestandteile aufweisen.Lightbox-Link
Synthetische Biologen forschen an Protozellen, das sind abgespeckte Versionen natürlicher Zellen, die nur noch die nötigsten Bestandteile aufweisen.Quelle: Harvard Medical School / Massachusetts General Hospital

Ein guter Zeitpunkt, um die Öffentlichkeit in die Diskussion über die Forschung, die Sicherheit und die Ethik der neuen Disziplin einzubinden, glauben die Wissenschaftsorganisationen DFG, acatech und Leopoldina. Das gerade veröffentlichte Positionspapier soll die stabile Grundlage für diese Debatte bilden. "Wir wollten möglichst frühzeitig auf die Öffentlichkeit zugehen und eine breite Diskussion beginnen", sagte Volker ter Meulen, der Präsident der Leopoldina, bei der Präsentation des Positionspapiers am 27. Juli 2009 in Berlin. Damit sollen Befürchtungen und Vorbehalten in der Bevölkerung frühzeitig begegnet werden.

Bestehende Gesetze reichen aus

Die Stellungnahme skizziert anhand von fünf Handlungsfeldern, wie Deutschland am besten vom Potenzial der Synthetischen Biologie profitieren kann. Die fünf Handlungsfelder umfassen die Grundlagenforschung, die Ausbildung, die Patentierung, die Sicherheitsforschung sowie eine begleitende Technikfolgenabschätzung. Großen Raum nimmt in dem Papier die Frage ein, wie verhindert werden kann, dass künstliche Zellen eventuell zu einer Gefahr oder gar einer Waffe werden kann. "Nach unserer Auffassung sind die bestehenden Gesetze zur biologischen Sicherheit (Biosafety) und zum Ausschluss eines möglichen Missbrauchs (Biosecurity) hinreichend", sagte DFG-Präsident Matthias Kleiner. So sei etwa der Kauf von DNA-Sequenzen durch das Infektionsschutzgesetz oder auch das Kriegswaffenkontrollgesetz geregelt. "Eine Ergänzung der Rechtslage halten wir momentan nicht für erforderlich", sagt Kleiner. Allerdings entwickle sich das Gebiet so rasch weiter, dass Sicherheitsfragen nach wie vor ein Thema bleiben und immer wieder diskutiert werden müssten. Diese Aufgabe könnte nach Auffassung der Organisationen die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS) übernehmen, ein Expertengremium beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), das bisher zu Fragen der Sicherheit von gentechnisch veränderten Organismen Stellung nimmt.

Australia Group
In der Australia Group haben sich verschiedene Länder zusammengeschlossen, um durch eine Harmonisierung der Ausfuhrbestimmungen die Verbreitung von biologischen und chemischen Waffen zu verhindern.

mehr Informationen: hier klicken

Export von DNA-Sequenzen rechtlich geregelt

Biotech-Unternehmen, die künstlich erstellte DNA-Sequenzen verbreiten, arbeiten schon heute nach bestimmten rechtlichen Vorgaben, um einen Missbrauch zu verhindern. So hat sich das Regensburger Unternehmen Geneart, weiltweit einer der führenden Anbieter synthetischer Gensequenzen, freiwillig verpflichtet, die strengen Richtlinien der Australia Group einzuhalten. Demnach werden alle DNA-Lieferungen vom Unternehmen noch einmal daraufhin kontrolliert, ob sie eventuell als Grundlage biologischer Waffen benutzt werden könnten. "Wir behalten es uns deshalb vor, Behörden einzuschalten oder die Bestellung abzunehmen, falls eine DNA-Sequenz in mehrfacher Hinsicht benutzt werden kann", heißt es dazu auf der Webseite von Geneart (mehr...).

Nationale und internationale Forschungsförderung
Ein weiteres wichtiges Thema in der Stellungnahme ist auch die Ausbildung und die Forschungsförderung. Während in der Ausbildung noch Defizite bestehen, sehen die Autoren in der Forschungsförderung durchaus schon gute und ausbaufähige Ansätze, auf nationaler wie auf internationaler Ebene. So haben sich mehrere EU-Initiativen in den vergangenen Jahren eine Vernetzung und Stärkung der europäischen Szene der synthetischen Biologie zur Aufgabe gesetzt. Bereits im 6. Rahmenprogramm der Europäischen Kommission wurden von 2007 bis 2008 innerhalb der "New and Emerging Science and Technology Pathfinder Initiative" 18 Projekte der synthetischen Biologie mit einem Volumen von rund 25 Millionen Euro gefördert. Darunter befand sich auch das Projekt TESSY, das vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe koordiniert wurde. Auf der Basis einer Umfrage unter Wissenschaftlern ging es darum, eine Roadmap für die Weiterentwicklung der synthetischen Biologie in Europa zu entwerfen (mehr...). Für Deutschland fordern die Autoren der Stellungnahme nun konzertierte Aktionen, die insbesondere zu einer strukturellen Bündelung der vorhandenen Expertisen führen.

Interdisziplinärer Workshop schafft Grundlage für Strategiepapier

Das Papier ist das Ergebnis eines international und interdisziplinär besetzten Workshops im Februar 2009. Der Workshop hatte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den Bereichen Biochemie, Molekularbiologie, Genetik, Mikrobiologie, Virologie, Chemie und Physik, Ingenieurwissenschaften sowie aus den Geistes- und Sozialwissenschaften vereint. Aus den Ergebnissen der Diskussion entwickelte eine Expertengruppe unter der Leitung der Berliner Mikrobiologin Professor Bärbel Friedrich (Humboldt-Universität), Mitglied der DFG Senatskommission für Grundsatzfragen der Gentechnik und Vizepräsidentin der Leopoldina, die nun veröffentlichte Stellungnahme.

 

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