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Insekten helfen im Kampf gegen Krankheitserreger

Mediziner sehen mit Neid auf die Fähigkeiten der Insekten. Die Larven der gemeinen Schmeißfliege etwa heilen Wunden, in dem sie Bakterien auflösen - egal ob resistent oder nicht. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Mediziner sehen mit Neid auf die Fähigkeiten der Insekten. Die Larven der gemeinen Schmeißfliege etwa heilen Wunden, in dem sie Bakterien auflösen - egal ob resistent oder nicht. Quelle: John Talbot

03.04.2009  - 

In den vergangenen Jahren sind einige Krankheiten wieder aufgetaucht, die Mediziner zumindest in den Industrieländern schon für ausgerottet hielten. Das liegt nicht nur an der wachsenden Impfmüdigkeit, sondern auch an der zunehmenden Resistenz der Krankheitserreger gegen die verwendeten Antibiotika. Andreas Vilcinskas von der Universität Gießen sucht bei Insekten nach neuen Ideen im Kampf gegen Bakterien. Aussichtsreiche Kandidaten sind etwa Schmeißfliege, Mistbiene oder Wachsmotte. So wenig die Namen verheißen, so vielversprechend sind die Methoden, mit denen sie sich gegen Mikroorganismen wehren. 


 

Menschen und Bakterien haben ein gespaltenes Verhältnis. Einerseits lebt jeder Mensch mit Billionen von Mikroorganismen zusammen, die Fett verdauen, das Immunsystem unterstützen oder Vitamine bereitstellen. Bakterien treten aber auch in Gestalt von Krankheitserregern auf, die den Körper angreifen. Seit Jahrtausenden sind Mediziner deshalb auf der Suche nach neuen Waffen gegen die winzig kleinen Eindringling. Vor einigen Jahrzehnten wurde mit dem Penicillin und all den Antibiotika, die darauf folgten, der bisher mächtigste Verbündete in diesem Kampf gefunden.

Insektenkundler
Die Deutsche Gesellschaft für allgemeine und angewandt Entomologie trifft sich alle zwei Jahre, um über neuste Entwicklungen zu diskutieren.
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Bakterien werden resistent gegen Antibiotika

Seit einigen Jahren aber droht sich der große Erfolg der Medizin gegen sie selbst zu wenden. Von den Antibiotika bedroht, mutieren viele Bakterienstämme zu widerstandsfähigeren und nicht selten auch aggressiveren Formen.  Die Antibiotika-Resistenz ist zu einem großen Problem geworden.So versuchen die Wissenschaftler nicht nur, mit chemischen Handwerkszeug immer neue Antibiotika zu entwickeln. Einige Forscher richten ihren Blick auch auf die Natur. Denn Tiere und Pflanzen haben ebenfalls Methoden entwickelt, um die allgegenwärtigen Bakterien im Zaum zu halten. Der Erfindungsreichtum ist dabei enorm, viele Arten haben ganz eigene und äußerst trickreiche Abwehrmechanismen entdeckt. Einige, so die Hoffnung der Forscher, könnten auch dem Menschen helfen.

Neben der Pflanzenwelt sind besonders die Insekten im Visier der Wissenschaft. Insekten produzieren eine Fülle von chemischen Substanzen, um sich gegen Feinde und Krankheiten zu schützen und um sich Nahrungsquellen zu erschließen. Bis zu 6 Millionen verschiedene Insektenarten gibt es auf diesem Planeten, und viele davon haben ihren ganz eigenen innovativen Weg gefunden, um mit Bakterien fertig zu werden.

Neue Antibiotika
Dirk Bumann forscht an der Medizinischen Hochschule Hannover an neuen Antibiotika gegen Krankheitserreger. Dafür wurde er in der ersten Runde des Go-Bo-Wettbwerbs vom BMBF unterstützt.
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Neue Wirkstoffe aus der Insektenwelt

Einige dieser Wege zu entdecken und vielleicht sogar für den Menschen gangbar zu machen, daran arbeitet Andreas Vilcinskas am Institut für Phytopathologie und Angewandte Zoologie der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Auf der jüngsten Tagung der Insektenforscher Mitte März in Göttingen stellte er jetzt einige besonders vielversprechende Ideen vor, an denen er und seine Mitarbeiter der Abteilung Angewandte Entomologie dran sind.

"Insekten haben ein extrem potentes Immunsystem. Wir wollten herausfinden, wie sie sich gegen Bakterien und Pilze verteidigen", sagt Vilcinskas, dessen Arbeitsgruppe seit 2005 die Insektenwelt nach Innovationen durchforstet. "Da sich Resistenzen gegen die existierenden Antibiotika ausbreiten und viele scheinbar ausgerottete Krankheiten zurückkehren, braucht man neue Wirkstoffe, mit denen Infektionskrankheiten therapiert werden können." Dabei konzentrieren sich Vilcinskas und seine Mitarbeiter nicht nur auf die Moleküle, die direkt von den Insekten gebildet werden, sondern auch auf Substanzen, die Insekten als Reaktion auf und in Verbindung mit Mikroorganismen herstellen. Dabei haben die Forscher eine ganze Reihe von Kandidaten im Blick.

Die Schmeißfliege sorgt für saubere Wunden

Die Schmeißfliege Lucilia sericata wird von der Medizin schon lange für ihre wundheilenden Fähigkeiten bewundert. Genauer gesagt ihre Larve. Sie sondert Enzyme ab, die abgestorbenes Gewebe verflüssigen, von dem die Larven sich dann ernähren. So wird die Wunde nach und nach von totem, bakterieninfiziertem Gewebe befreit. Das sieht nicht gerade appetitlich aus, hinterlässt aber nach wenigen Wochen eine klinisch saubere Wunde. Larven von Lucilia sericata werden deshalb schon seit Jahren auch in Deutschland eingesetzt, um etwa Geschwüre zu säubern, die als Folge einer Diabetes-Erkrankung entstanden sind. Resistenzen interessieren die ausgewachsen etwa 12 Milliimeter großen Larven dabei nicht. Ihre Beißwerkzeuge vertilgen ausnahmslos alle Bakterien.

Britische Diabetologen haben deshalb mit Lucilia sericata auch schon gute Erfahrungen mit der Bekämpfung Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) gemacht (mehr...). Die Larven beseitigten dabei Bakterienstämme, die sich in diabetischen Fußgeschwüren breitgemacht hatten. Schon in den Napoleonischen Kriegen und im amerikanischen Bürgerkrieg sind die Larven erfolgreich zur Wundbehandlung eingesetzt worden, wie berichtet wird.  Die deutschen Forscher wollen nun die Stoffe aus dem Arsenal der Lucilia sericata nutzbar machen.

Der Rotbraune Reismehlkäfer "Tribolium castaneum" ist zwar nur einige Millimeter groß, nutzt aber pfiffigerweise pflanzliche Antibiotika, um sich gegen Bakterien zu wehren.Lightbox-Link
Der Rotbraune Reismehlkäfer "Tribolium castaneum" ist zwar nur einige Millimeter groß, nutzt aber pfiffigerweise pflanzliche Antibiotika, um sich gegen Bakterien zu wehren.Quelle: Andreas Vilcinskas / Universität Gießen

Der Reismehlkäfer nutzt Pflanzenantibiotika

Die Genomanalyse ist dabei zum wichitgen Wekrzeug geworden. So arbeiteten Vilcinskas und sein Kollege Boran Altincicek an einem internationalen Projekt mit, um das Genom des Rotbraunen Reismehlkäfers Tribolium castaneum zu entschlüsseln. Die Gießener wollten genetische Mechanismen ausfindig machen, die den Käfer befähigen, Gifte und Pestizide unschädlich zu machen. Der Reismehlkäfer ist wegen dieser Fähigkeit ein gefürchteter Schädling.

Bei der molekularbiologisch und biochemischen Analyse, die 2008 zu einer Veröffentlichung in Nature (Vol. 452, 2008, S. 949-955) führte, stießen die Forscher in den Käfern auf Thaumatine, die in Pflanzen als wichtige antimikrobielle Abwehrmoleküle bekannt sind, in sonstigen Insekten aber nicht eingesetzt werden.

Die Wachsmotte in verschiedenen Entwicklungsstadien. Als Larve verfügt sie über ein Mittel gegen Cholera.Lightbox-Link
Die Wachsmotte in verschiedenen Entwicklungsstadien. Als Larve verfügt sie über ein Mittel gegen Cholera.Quelle: Andreas Vilcinskas / Universität Gießen

Die Wachsmotte wehrt Cholera ab

Auch die Wachsmotte Galleria mellonella ist im Visier der Gießener Forscher. Die Raupen der Motte, die sich gerne an Bienen schadlos hält und bei Imkern gefürchtet ist,  wehren sich mit einem Eiweiß sehr erfolgreich gegen gefährliche Bakterien wie Cholera- und Wundbranderreger. Dabei hemmt das Eiweiß der Motte offenbar ganz spezifisch die Enzyme hochgefährlicher Bakterien und nicht körpereigene menschliche Enzyme. Nebenwirkungen seien deshalb kaum zu befürchten. Vilcinskas prüft, ob die Eiweiße auch gegen Malaria wirken.

Die Rattenschwanzlarve überlebt dort, wo andere schon aufgegeben haben. Gegen feindliche Bakterien wehrt sich das unschuldig aussehende Tier mit einem ganzen Arsenal von antibiotischen Waffen.Lightbox-Link
Die Rattenschwanzlarve überlebt dort, wo andere schon aufgegeben haben. Gegen feindliche Bakterien wehrt sich das unschuldig aussehende Tier mit einem ganzen Arsenal von antibiotischen Waffen.Quelle: Andreas Vilcinskas / Universität Gießen

Die Rattenschwanzlarve überlebt fast überall

Viele Insekten überleben in extrem lebensfeindlichen Umgebungen. Diese Überlebenskünstler sind für die Forscher besonders interessant. So gedeiht die Rattenschwanzlarve, aus der einmal die Mistbiene wird, in Jauchegruben oder anderen Gewässern ohne Sauerstoff. "Dort gibt es so viele Pilze und Bakterien, dass kein anderes Tier überleben könnte", so Vilcinskas. "Allein hier haben wir 19 verschiedene Peptide antibiotischer Substanzen nachgewiesen, von denen einige recht vielversprechend sind." Derzeit sind die Forscher noch damit beschäftigt, diese zu charakterisieren und sie vor allem zu stabilisieren, um sie für die Humanmedizin nutzbar zu machen.

Die Arbeit wird Vilcinskas und seinem Team dabei nicht so schnell ausgehen. Es warten nicht nur Millionen weiterer Arten darauf, ihre Tricks bei der Insektenbekämpfung zu offenbaren. Auch bei gut erforschten Insekten ist über ihre Wechselbeziehung mit Mikroorganismen bislang kaum etwas bekannt.

 

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