Carsten Mehring: Vom Physiker zum Experten für Gehirnprothesen
15.02.2008 -
Die Idee, Maschinen direkt an das menschliche Gehirn zu koppeln, mutet zunächst einmal wie Science Fiction an. Was Carsten Mehring an der Universtität Freiburg vorhat, ist jedoch keine Phantasterei, sondern Wissenschaft der Spitzenklasse. Der Leiter der Arbeitsgruppe "Computational Motor Control & Brain-Machine Interfaces" will eine Prothese entwickeln, die sich direkt vom Gehirn aus steuern lässt - um so die Handlungsfähigkeit von schwerstgelähmten Patienten zu verbessern. Mit diesem Projekt überzeugte der 34-Jährige Schnellstarter neben der Fachwelt auch die Jury des GO-Bio Wettbewerbs, den das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Jahr 2006 gestartet hat.
Wie ist es möglich, ein Gerät direkt durch Gehirnaktivität zu steuern? Das Prinzip der neuronalen Prothese basiert auf der Tatsache, dass Nervenzellen über elektrische Signale miteinander kommunizieren. Diese Signale lassen sich mit Elektroden ableiten und messen. Bei einer „gedachten“ Bewegung, bildet sich nun ein spezifisches raum-zeitliches Aktivitätsmuster im Gehirn. „Jetzt muss man also nur noch herausfinden, welches Muster zu welcher Bewegunggehört und einem Computer beibringen, diese Muster zu erkennen“, erklärt Mehring. Dieser kann dann mit bestimmten Abläufen reagieren, z.B. eine künstliche Hand bewegen. Fertig ist die Neuroprothese, die einem die Wünsche vom Gehirn ausliest. Soweit die bunte Theorie.
GO-Bio Preisverleihung: Carsten Mehring gehörte zu den Preisträgern aus der ersten Runde des GO-Bio-Wettbewerbs des BMBF. Im Herbst 2006 übernahm Ministerin Annette Schavan persönlich die Gratulation. |
Wenn Wissenschaftler Gehirnströme ableiten wollen
In der Praxis fangen die Probleme schon beim Ableiten der Gehirnströme an. „Dafür gibt es im Prinzip drei Möglichkeiten“ erklärt Mehring. Das genaueste Signal erhält man direkt an der aktiven Nervenzelle. Eine Elektrode in das Gehirn einzusetzen, ist allerdings kein trivialer Eingriff. Die Aktivität einer Population von Nervenzellen ist jedoch auch außerhalb der Schädeldecke messbar. „Das ist allerdings so, als ob sie etwas durch eine Milchglasscheibe beobachten“ erläutert Mehring die Nachteile dieser nichtinvasiven Technik. Der Forscher und sein Team haben sich deshalb für eine halbinvasive Methode entschieden. Sie verwenden Elektroden, die direkt auf die Gehirnoberfläche gelegt werden – unter Schädeldecke und Gehirnhaut. „Damit ist das Signal sehr viel besser, das Gehirn bleibt unbeschadet und die Ableitung ist auch bei kleinen Verrückungen der Elektrode relativ stabil“ erläutert der Mehring seinen Ansatz.
GO-Bio-Projekt |
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Wie lassen sich Aktivitätsmuster Bewegungen zuordnen?
Einer der kritischsten Punkte der Technik liegt darin, das Aktivitätsmuster bestimmten Bewegungen zuzuordnen. Im Versuch sieht das so aus: Eine mit Elektroden ausgestattete Versuchsperson führt eine genau definierte Bewegung durch. Können die Wissenschaftler nur anhand des abgeleiteten Musters auf die durchgeführte Bewegung rückschließen, funktioniert die Mustererkennung. „Zweidimensionale Bewegungen, z.B. von einem Arm, können wir schon ganz gut voraussagen“ erzählt Mehring. „Ob man mit diesem Ansatz letztlich genug Information, etwa für eine detaillierte Fingerbewegung, herauslesen kann, ist noch eine offene Frage“, räumt er ein. Alternativen sind aber durchaus vorstellbar. So ließe sich die Prothese selbst mit einer gewissen Intelligenz ausstatten, so dass sie zwar den Befehl zur Bewegung vom Gehirn bekommt, die Details einer Greifbewegung dann aber selbst berechnen kann.
Karrierestart als Physiker
Zur Neurobiologie ist Mehring über die Physik gekommen. „Am liebsten hätte ich eine Art naturwissenschaftliches Studium Generale gehabt“ berichtet Mehring über seine Studienanfänge. Da es so was nicht gab, entschied er sich für Grundlagen auf hohem Niveau - Physik. „Dieses Fach lässt einem einfach viele Möglichkeiten offen“ so der Forscher.
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Schon während des Studiums faszinieren ihn neuronale Netze – allerdings zunächst nur in digitaler Form. „Im Laufe der Zeit habe ich mich aber viel mehr für die neurobiologischen Grundlagen solcher Netze interessiert“, erzählt er weiter. In der Promotion widmet er sich daher den neuronalen Grundlagen des motorischen Systems. In dieser Zeit hört er auch erstmals von Brain-Machine-Interfaces (BMI´s). Dass er selbst einmal wichtige Schritte auf diesem Gebiet machen würde, war ihm damals noch nicht klar. „Meine Promotion und insbesondere die daran anschließende wissenschaftliche Arbeit hat sich dann einfach mehr und mehr in diese Richtung entwickelt“ so Mehring. An den neurobiologischen Grundlagen der Motorik forscht er übrigens auch weiterhin. „Aus diesen Arbeiten können dann auch wieder Ideen für neue Strategien bei BMI´s entstehen“ so der Forscher.
Dem Sonnenstandort Freiburg wird Mehring vorerst treu bleiben „Die Chemie mit den anderen Leuten hier stimmt einfach, sowohl wissenschaftlich als auch persönlich“, erzählt er. Und auch wenn ihn ein Exkurs ins Ausland durchaus gereizt hätte – die Früchte seiner vierjährigen Arbeit in Freiburg möchte er jetzt nicht hinter sich lassen.
Autorin des Textes: Miriam Ruhenstroth