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EU-Umweltminister: Entscheidung zu gentechnisch veränderter Stärke-Kartoffel vertagt

In Luxemburg wollten die EU-Umweltminister (hier Deutschlands Sigmar Gabriel) eine Entscheidung über Amflora treffen. Diese wurde jedoch vertagt. <ic:message key='Bild vergrößern' />
In Luxemburg wollten die EU-Umweltminister unter Leitung von Deutschlands Minister Sigmar Gabriel eine Entscheidung über Amflora treffen. Diese wurde jedoch vertagt. Quelle: Tim Hoesmann/ www.eu2007.de

29.06.2007  - 

Eine gentechnisch veränderte Kartoffel entzweit Europa: Sie wurde von BASF Plant Science entwickelt und produziert Stärke in einer besonderen Form, so dass für die industrielle Produktion ein Verarbeitungsschritt wegfallen könnte. Seit Jahren kann sich die Europäische Union allerdings nicht zu einer offiziellen Zulassung durchringen. Zwar liegt eine positive Empfehlung der EU-Sicherheitsbehörde EFSA vor, doch bislang wurde in den zuständigen Gremien keine eindeutige Mehrheit erreicht. Derzeit ist der Rat der europäischen Umweltminister am Zug: Hier sollte am 28. Juni eigentlich ein Votum getroffen werden, das Thema wurde allerdings vertagt. Findet binnen der nächsten drei Monate keine Einigung statt, kann letztlich die EU-Kommission über die Zulassung befinden.

Stärke ist in der Industrie ein wichtiges Produkt: Sie wird unter anderem in der Klebstoffherstellung gebraucht, aber auch in der Papierproduktion oder der Textilstoffindustrie. In Europa stammt die meiste industriell verwendete Stärke aus der Kartoffel. Hier liegen allerdings normalerweise zwei verschiedene Formen von Stärke vor, Amylose und Amylopektin. Letztere ist dabei häufiger gefragt, weil sie über besondere Verdickungs- und Bindungseigenschaften verfügt. Mit Amylopektinstärke beschichtetes Papier erhält mehr Glanz, Beton und Klebstoffe bleiben durch den Zusatz dieser Stärkeform länger verarbeitungsfähig. Eine Trennung von Amylopektin und Amylose ist prinzipiell möglich, jedoch mit einem hohen Energieaufwand verbunden und unwirtschaftlich. Bisher wird daher die gelierende Wirkung der Amylose verringert, indem man sie vor der Anwendung chemisch modifiziert. Das wiederum geht mit erhöhtem Verbrauch von Energie und Wasser einher.

Mit bisherigen Züchtungsmethoden ließ sich eine Amylose-freie Kartoffel nicht züchten. Erst gentechnische Methoden machten es möglich.Lightbox-Link
Mit bisherigen Züchtungsmethoden ließ sich eine Amylose-freie Kartoffel nicht züchten. Erst gentechnische Methoden machten es möglich.Quelle: pixelquelle.de

Aufgrund dieser Anwendungsfelder haben Pflanzenbiotechnologen der BASF Plant Science eine gentechnisch veränderte Kartoffel entwickelt, die eine für technische Anwendungen optimierte, reine Amylopektinstärke bildet. Dafür wurde in der Kartoffel der für die Bildung von Amylose verantwortliche Stoffwechselweg gezielt blockiert. Käme diese Kartoffel nun in der industriellen Produktion zum Einsatz, könnten bisherige Aufreinungs- und Trennungsschritte wegfallen, so die Hoffnung.

Zehn Jahre hat die Entwicklung der Kartoffel bei BASF gedauert. So lange hatten die Entwickler in Labor- und Feldversuchen die molekulare Zusammensetzung der Kartoffel analysiert, mit herkömmlichen Knollen verglichen und ihre Wechselwirkung mit der Umwelt unter die Lupe genommen. Um sie in der Industrie einzusetzen, muss die neue Sorte allerdings von der EU zugelassen werden – dies ist jedoch ein langwieriger Prozess. Seit 1998 wurde keine gentechnisch veränderte Pflanze mehr für den kommerziellen Anbau zugelassen.

Blick ins Forschungslabor: Gentechnisch veränderte Kartoffelsprösslinge.Lightbox-Link
Quelle: BASF Plant Science

Markergene:

Im Labor dienen sie dazu, diejenigen Pflanzen herauszufiltern, bei denen die gentechnische Veränderung auch geklappt hat. Forscher verwenden hierzu oft Antibiotikaresistenzgene, die an das gewünschte Zielgen gekoppelt werden. Enthalten Zellen diese Gene, sind sie unempfindlich gegenüber dem entsprechenden Antibiotikum. Nach der Gen-Übertragung werden deshalb alle Zellen mit dem Antibiotikum behandelt. Aus den überlebenden Zellen werden dann die gv-Pflanzen gezüchtet.  Nach dieser Prozedur haben die Selektionsmarker keine Funktion mehr.  Da sie jedoch in der Regel sehr eng an das Zielgen gekoppelt sind, lässt sich das Markergen nicht oder nur mit großem Aufwand später wieder entfernen. 

Seit 2003 läuft bei Amflora das Verfahren, aber bislang ist noch keine Einigung auf dem Tisch. Im Februar 2006 kam die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zu dem Schluss, dass Amflora nicht mehr Risiken für Mensch, Tier und Umwelt birgt als konventionelle Kartoffeln. Dennoch konnte Ende des Jahres 2006 im zuständigen Regelungsausschuss der EU keine eindeutige Mehrheit gefunden werden. Nun wurde die Entscheidung an den Rat der europäischen Umweltminister weitergereicht, auf dessen Sitzung am 28. Juni in Luxemburg eigentlich ein Votum abgegeben werden sollte. Dies jedoch ist nun nicht geschehen – die Entscheidung wurde vertagt. Hat der Ministerrat bis zum 13. September keine Einigung mit einer erforderlichen qualifizierten Mehrheit (72,3 Prozent der Stimmen) erreicht, kann die EU-Kommission die Kartoffel zulasen. Sie hatte den Mitgliedsstaaten auf der Grundlage der EFSA-Sicherheitsbewertung bereits eine positive Empfehlung abgegeben.

Diskussionen bereitet insbesondere die Tatsache, dass Amflora ein bestimmtes Markergen namens nptII enthält, mit dem Wissenschaftler im Labor gentechnisch veränderte Pflanzenzellen kennzeichnen. Kritisch daran ist, dass es sich hierbei um ein sogenanntes Antibiotikaresistenzgen handelt, das unter Umständen in der Lage ist, in Bakterien Resistenzen gegen die Antibiotika Kanamycin und Neomycin zu vermitteln.

Ohne Stärke kommt die Papierindustrie nicht aus: Hier sorgt die Stärkeform Amylpektin für mehr Glanz auf dem Papier. Lightbox-Link
Ohne Stärke kommt die Papierindustrie nicht aus: Hier sorgt die Stärkeform Amylpektin für mehr Glanz auf dem Papier. Quelle: BASF

Kritiker befürchten nun, dass das Gen von den Kartoffeln in den Körper von Menschen oder Tieren gelangen und dort auf Krankheitserreger übergehen könnte. Die Mikroben wären dann gegen diese Antibiotika immun. Aufgrund dieser Bedenken hatte die EU-Kommission deshalb eine gesonderte Stellungnahme der EFSA zu diesem Thema angefordert. Das Fazit der Experten: Es besteht keine gesundheitliche Gefahr für Tiere oder Menschen durch das Markergen nptII. Im Labor sei ein solcher Transfer unter bestimmten Bedingungen schon beobachtet worden, in der Natur dagegen noch nie, heißt es in der Expertise.

Mehr Informationen zum Zulassungsverfahren von Amflora hier

BASF geht davon aus, dass noch in diesem Jahr eine Zulassung erfolgen wird. Derzeit wird Amflora bereits an zwei Standorten in Deutschland angebaut - sobald die Zulassung vorliegt, können diese 45.000 Knollen für die Industrie genutzt werden. Um eine unkontrollierte Verbreitung der genveränderten Knollen und ihre Vermischung mit anderen Sorten zu verhindern, wird die Kartoffel nicht frei verfügbar auf dem Markt zu kaufen sein, sondern nur an Vertragsbauern abgegeben. Diese müssen bestimmte vertraglich festgelegte Regeln beachten, die unter Praxisbedingungen im Hinblick auf Wirksamkeit und Praktikabilität getestet worden sind - mit einer roten, konventionellen Testkartoffel. Dieser Probeanbau, der 2005 in Tschechien und 2006 in Deutschland durchgeführt wurde, ergab: Die getrennte Ernte und Lagerung funktioniert. Die farblich auffälligen Knollen waren nicht unter konventionelle Ware geraten.

Mehr Informationen zu Sicherheitsstudien mit gv-Kartoffeln gibt es hier

Bei der Kartoffel ist eine unkontrollierte Ausbreitung zudem unwahrscheinlich, da sie sich nicht über Samen, sondern über die Knollen vermehren und ihre Pollen nur etwa zwanzig Zentimeter weit fliegen. Eine Einkreuzung mit Wildpflanzen ist dabei auch nicht möglich, weil die bei Kartoffeln nur mit verwandten Arten funktioniert und die fehlen in Europa.

Auch wenn BASF Amflora nur als Lieferant von Industriestärke nutzen will, hat der Konzern zusätzlich eine Zulassung der Kartoffelsorte als Lebensmittel und Tierfutter beantragt. Damit soll für den Fall vorgesorgt werden, wenn Reste aus der Stärkeproduktion an Tiere verfüttert werden sollen.

 

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