Bilanzschau der deutschen Biotech-Branche mit gedämpftem Optimismus
27.04.2007 -
Die ersten Monate des Jahres sind stets eine Zeit der Bilanz und der Vorausschau: Wir war das letzte Jahr und was steht demnächst an? Dies gilt auch für die deutsche Biotech-Branche, für die Ende April eine ganze Reihe von Zahlen veröffentlicht wurden. Die Daten stammen aus den unterschiedlichsten Quellen, doch sie zielen alle in eine ähnliche Richtung: In der Branche herrscht Zuversicht, vor allem mit Blick auf die Zukunft. So stehen in diesem Jahr für einige Unternehmen entscheidende Weichenstellungen an – allen voran hofft GPC Biotech mit Sitz in München auf eine US-Zulassung des Krebsmedikamentes Satraplatin. Aber auch der Blick zurück ins Jahr 2006 verdeutlicht insgesamt eine positive Tendenz. So ist im Vergleich zum Vorjahr mehr Geld in die Branche geflossen, der Umsatz zudem gestiegen. Allerdings gibt es einen Wermutstropfen. Der Erfolg beruht insbesondere auf den börsennotierten Firmen. Für private Unternehmen war Kapital im Jahr 2006 eher Mangelware.
Wie in jedem Jahr zählt der April zu den Monaten im Jahr, in denen die Wirtschaft eine Vielzahl von Daten und Fakten präsentiert – die Biotech-Branche in Deutschland ist davon nicht ausgenommen. So hat unter anderem die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young ihren jährlichen Biotech-Report vorgestellt – unter dem Titel „Verhaltene Zuversicht“. Dabei wurden insgesamt knapp 400 Firmen der Biotech-Branche einbezogen, die sich hauptsächlich im medizinischen Feld bewegen. Für sie haben die Wirtschaftsprüfer im Vergleich zu 2005 ein Umsatzplus von 14 Prozent auf 945 Millionen Euro im Jahr 2006 erhoben. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung erhöhte sich Ernst & Young zufolge um fünf Prozent auf 834 Millionen Euro, während die Verluste der von den Wirtschaftsprüfern betrachteten Unternehmen im Vergleich zum Vorjahr um acht Prozent auf 616 Millionen Euro kletterten. „In diesem Jahr wird die deutsche Biotech-Branche die Umsatzmilliarde überschreiten. Die Stimmung ist deutlich besser als in den Vorjahren, und es wird endlich wieder mehr investiert", erklärte Siegfried Bialojan, Leiter des Industriesektors Biotech bei Ernst & Young bei der Vorstellung der Zahlen am 23. April in Frankfurt. Einen Wermutstropfen gibt es jedoch: Der Erfolg im vergangenen Jahr beruhte hauptsächlich auf den börsennotierten Unternehmen, während etwa die Wagniskapitalfinanzierungen für nicht gelistete Firmen von einem großem Minus betroffen waren.
Branche fährt bei Finanzierungen 700 Millionen Euro ein
Zu dieser Einschätzung kommt auch die Redaktion des Biotechnologie-Nachrichtenmagazins transkript, das in einem aktuellen Sonderheft „Kapital & Börse“ unter anderem die Finanzierungssituation der Biotech-Branche im Jahr 2006 beleuchtet. Demnach haben die Unternehmen mit insgesamt rund 700 Millionen Euro an eingeworbenem Kapital ein Rekordergebnis eingefahren, das nur vom Boomjahr 2000 übertroffen wurde. Rund 460 Millionen Euro gehen dabei auf das Konto der 21 börsennotierten Unternehmen. Mit 240 Millionen Euro war Wagniskapital für den Rest der Branche eher Mangelware. Wie das Magazin aufschlüsselt, stammt das Geld vor allem aus der Tasche des SAP-Gründers Dietmar Hopp, der allein für 66 Millionen verantwortlich war. Ohne seine Unterstützung schafften lediglich U3 Pharma und mtm Laboratories den Sprung über die 15 Millionen Euro-Grenze. Insgesamt sind die Finanzierungen hierbei gegenüber dem Vorjahr um ein Drittel gesunken. „Der Goldrausch ist schon lange vorbei, viele Firmen haben es nicht geschafft“, kommentiert Bernd Seizinger der Münchner Biotech-Firma GPC in der Financial Times Deutschland (FTD).
Tabelle 1: Größter Kapitalzufluss börsennotierter Unternehmen im Jahr 2006
Unternehmen | Summe |
Qiagen NV | 210 Mio. Euro |
Wilex AG | 55 Mio. Euro |
GPC Biotech AG | 36,2 Mio. Euro |
Quelle: transkript Sonderheft Kapital & Börse
Seizingers Unternehmen steht für einige deutsche Biotech-Firmen, für die das Jahr 2007 entscheidend sein wird. Im August, so die Hoffnung, könnte GPC’s Krebsmedikament Satraplatin für den US-amerikanischen Markt zugelassen werden. Analysten schätzen dessen möglichen Jahresumsatz auf 500 Millionen Euro, den US-Vertrieb wollen die Münchner – unter anderem dank einer Hopp-Investition – allein stemmen. Damit gelangt GPC nach Einschätzung von Analysten aufs Radar größerer Investoren. „Die Märkte schauen zunehmend auf reife Produkte. Eine Übernahme von GPC kann ich nicht ausschließen“, lässt sich Seizinger in der FTD zitieren. Dies sei jedoch nicht sein Ziel, betont er.
Tabelle 2: Größte Finanzierungsrunden privater Biotech-Unternehmen im Jahr 2006
Unternehmen | Summe |
Axaron AG/ Sygnis Pharma AG | 28 Mio. Euro |
U3 Pharma AG | 27 Mio. Euro |
CureVac GmbH | 22 Mio. Euro |
Quelle: transkript Sonderheft Kapital & Börse
Biotechnologie als Jobmotor in der Industrie
Eine positive Entwicklung, zumindest in Richtung Beschäftigung, deutet wiederum eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW) und des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung an, die im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie (DIB) und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IGBCE) durchgeführt wurde. Hierin wurde insbesondere das Beschäftigungspotential der Biotechnologie in der Industrie analysiert, wobei auch die vorgelagerten und nachgelagerten Wirtschaftsbereiche einbezogen wurden. Dabei kommen die Autoren auf bis zu 443.000 Arbeitsplätze, die derzeit in Deutschland direkt von der Biotechnologie beeinflusst werden. Wobei 350.000 Jobs den Anwendungsbereichen Lebensmittel, Landwirtschaft, Chemie, Pharma und Umwelttechnik und bis zu 93.000 den Kernbereichen (FuE-Einrichtungen, Kleine- und mittelständische Unternehmen, Pflanzenzucht, Ausstatter) zugerechnet werden. In vorgelagerten Industrien wird das Potential an Jobs auf bis zu 471.000 beziffert. „Bis zum Jahr 2020 kann die Biotechnologie zwischen 369.000 und 596.000 Arbeitsplätze sichern“, erklärte Edeltraud Glänzer vom Hauptvorstand der IGBCE auf der Pressekonferenz am 24. April in Frankfurt. Bezogen auf einzelne Felder kommen die Autoren der Studie auf eine aktuelle Beschäftigungszahl von bis zu 493.000 in der Lebensmittelindustrie (Direktbeschäftigte und Zulieferindustrie) und von bis zu 56.000 in der chemischen Industrie, die von der Biotechnologie beeinflusst werden. Langfristig wird hier ein Wachstum im zweistelligen Prozentbereich prognostiziert und die Biotechnologie als „Jobmotor“ bezeichnet, der Arbeitsplätze schaffe und sichere.
Wachsende Bedeutung von Biotech-Medikamenten
Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA Bio) wiederum ließ von der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) den Stellenwert der Biotechnologie in der Pharmabranche beleuchten und stellte die Studie am 27. April der Öffentlichkeit vor. Demnach haben Biopharmazeutika in Deutschland einen Anteil von derzeit 12 Prozent am Gesamtpharmamarkt, dies entspricht 3,1 Milliarden Euro von 25,4 Milliarden Euro an Umsatz. Dieser verteilt sich ganz unterschiedlich auf die wichtigsten Anwendungsbereiche wie Krebs (373 Millionen Euro), Stoffwechselerkrankungen (768 Millionen Euro), Infektionen (528 Millionen Euro), Immunologie (219 Millionen Euro) oder Erkrankungen des Zentralen Nervensystems (391 Millionen Euro). Bei den Neuzulassungen in Deutschland konnten Biotech-Medikamente der Studie zufolge ihren Stellenwert mit einem Anteil von elf an insgesamt 36 neuen Wirkstoffen im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppeln (2005: 8 von 25). In Richtung Politik forderte Frank Mathias, Vorsitzender des VFA Bio, insbesondere eine auf internationalen Standards ausgerichtete Bewertung von Biopharmazeutika bei einer Kosten-Nutzen-Bewertung von Therapien, die im Rahmen der Gesundheitsreform eingeführt werden soll.
Tabelle 3: Umsatz mit Biotech-Medikamenten in Deutschland im Jahr 2006
Indikationsgebiet | Umsatz mit Biotech-Medikamenten in Deutschland |
Stoffwechselerkrankungen | 768 Mio. Euro |
Infektionen | 528 Mio. Euro |
Zentrales Nervensystem | 391 Mio. Euro |
Krebs | 373 Mio. Euro |
Immunologie | 219 Mio. Euro |
Gesamt | 3,1 Milliarden Euro |
Quelle: BCG-Studie im Auftrag des VFA Bio