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Neuausrichtung der EU-Biotech-Strategie: Potential in Europa besser ausschöpfen

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Die Europäische Kommission hat eine Bestandsaufnahme ihrer Biotech-Strategie vorgelegt. Quelle: EU

17.04.2007  - 

Die Biotechnologie ist als Wirtschaftsfaktor in Europa in den vergangenen Jahren zwar immer wichtiger geworden, dennoch hat die Branche ihr Potential längst noch nicht ausgeschöpft - und zeigt inbesondere im Vergleich zu den USA erhebliche Defizite. Zu diesem Schluss kommt eine von der Europäischen Kommission beauftragte Studie zur europäischen Biotechnologie, die als Teil eines Zwischenberichts zur europäischen Biotech-Strategie am 20. April in Brüssel vorgestellt wurde. Aufbauend auf den Ergebnissen will die Kommission ihre langfristige politische Stoßrichtung neu fokussieren. Künftig sollen zum einen kleine und mittelständische Unternehmen in der Biotechnologie stärker unterstützt und der Transfer von Forschungsergebnissen in den Markt erleichtert werden. Zum anderen soll angesichts der unübersichtlichen Datenlage zur Biotechnologie in 25 EU-Mitgliedsstaaten eine standardisierte Datenbasis aufgebaut werden.

Ausgehend von einer Anfrage des Europäischen Rates hatte die EU-Kommission im Jahr 2002 eine Europäische Strategie der Lebenswissenschaften und der Biotechnologie verabschiedet und hierin die Prioritäten der EU-Politik auf diesem Forschungs- und Wirtschaftsfeld festgelegt. Nun, vier Jahre danach, wird eine Bestandsaufnahme auf den Tisch gelegt, um bisherige Errungenschaften sowie künftige Potentiale benennen zu können. Ein Teil des Zwischenberichts, der sogenannten mid-term review, besteht dabei aus der Studie „Biotechnologie für Europa“ (Bio4EU), die vom Gemeinsamen Forschungszentrum (Joint Research Centre, JRC) in Sevilla durchgeführt wird, um erstmals eine umfassende Bestandsaufnahme der Biotechnologie und ihren Einfluss als Wirtschaftsfaktor vorzunehmen. Im Vordergrund standen dabei die Bereiche wirtschaftliches Wachstum und Arbeitsplätze, öffentliche Gesundheit, Ernährungsproduktion- und sicherheit sowie Umwelt und Energie. Mitte April sind die Ergebnisse nun in Brüssel veröffentlicht worden.

Das Fazit der rund 200 Seiten umfassenden Studie ist ernüchternd: Zwar zeigen die Zahlen einen zunehmenden Einfluss der Biotechnologie als Wirtschaftsfaktor in den verschiedensten, für den Verbaucher zumeist unsichtbaren Bereichen, dennoch hinken die Europäer den USA in großem Maße hinterher. Allein der Vergleich im medizinischen Bereich zeigt dies deutlich. (siehe Tabelle) Demnach werden in Europa lediglich elf Milliarden Euro mit Biotech-Medikamenten verdient, während der Umsatz in den USA mit 25 Milliarden Euro mehr als doppelt so hoch ist. Bezeichnend ist zudem, dass im Jahr 2005 nur 21 von damals rund 140 weltweit verfügbaren Biotech-Medikamenten in Europa entwickelt wurden. Dabei kommen sechs aus Deutschland, von den Pharmaunternehmen Bayer (4) und Boehringer Ingelheim (2). Beim Nachschub an neuen Medikamenten sieht es ähnlich aus. Eine Auswertung der Pharmaprojects-Datenbank des Verlagshauses PJB durch die Autoren der Studie ergab, dass europäische Firmen nur halb soviele neue Kandidaten in der Pipeline haben.

Umsatz von Biotech-Produkten im Gesundheitsbereich

EuropaUSA
Biopharmaka111 Milliarden Euro25 Milliarden Euro
Diagnostika (IVD)21,7 Milliarden Euro3,4 Milliarden Euro
Impfstoffe (Rekombinante Vakzine)30,3 Milliarden Euro0,3 Milliarden Euro

1 Quelle: ETEPS, 2005

2 Quelle: Frost u. Sullivan (für GB, Spanien, Deutschland, Italien), 2004

3 Quelle: Bio4EU, 2005

Etwas besser sieht es bei der industriellen Nutzung der Biotechnologie aus. So sind insgesamt 75% der weltweiten Enzymproduktion in Europa ansässig. 80 von weltweit 117 Herstellern haben hier ihren Hauptsitz. Die meisten davon befinden sich in Frankreich (17), gefolgt von Deutschland (11). Allerdings werden die größten Produktionsvolumina in Dänemark erreicht.


Einfluss der Biotechnologie lässt sich oft nicht in Zahlen fassen

In vielen Bereichen - etwa was Firmenzahlen außerhalb des Pharmamarktes oder Arbeitsplätze angeht - lässt sich die Biotechnologie allerdings nur schwer quantitativ erfassen. So hat die Studie für den Agrarbereich beispielsweise insgesamt rund 390 europäische Unternehmen identifziert, die im  Feld Biotechnologie aktiv sind. Dabei stammen 149 aus Deutschland, 78 aus Frankreich und 64 aus Dänemark. Die Daten für die einzelnen Länder variieren jedoch stark in der Jahreszahl, wurden unterschiedlichen Quellen entnommen und konnten insgesamt nur neun EU-Staaten berücksichtigen.

Ein anderes Problem besteht darin, dass die Anwendung der Biotechnologie vielfach indirekter Natur ist und nur schwer beziffert werden kann – beispielsweise die Nutzung biotech-basierter Züchtungsmethoden in Viehzucht oder Landwirtschaft. Das direkt Sichtbare nimmt sich hingegen oft minimal aus. So werden etwa gentechnisch veränderte Pflanzen in Europa nur vergleichsweise selten angebaut: Darüber hinaus lag der Umsatzanteil von gentechnisch verändertem Mais am gesamten EU-weiten Maisumsatz laut einer Schätzung des Europäischen Saatgutverbandes ESA im Jahr 2004 bei 3%. Dennoch schätzen die Autoren der Studie auf der Basis einer Analyse von Datamonitor-Zahlen, dass der Biotechnologie im Jahr 2005 etwa 20 bis 30 Prozent des Umsatzes in der Agrar- und Ernährungsindustrie zugeordnet werden konnten: Dies entspricht etwa 3 Milliarden Euro. Deutschland hat hierbei einen Anteil von etwa 244 Millionen Euro, den höchsten Wert erreicht Großbritannien mit 724 Millionen Euro.

Für den Beitrag der Biotechnologie zur öffentlichen Gesundheit ziehen die Autoren wiederum ein gemischtes Fazit: Einerseits können dank biotechnologischer Verfahren und Techniken gänzlich neue Medikamente entwickelt werden und für viele Krankheiten überhaupt erst eine Behandlung ermöglichen. Zudem hat die Biotechnologie die Etablierung von diagnostischen Tests ermöglicht, mit deren Hilfe sich eine Vielzahl an Vorhersagen treffen lassen, die es früher nicht gab und die indirekt ebenfalls zur Steigerung der öffentlichen Gesundheit beitragen. Andererseits gibt es auch Biotech-Medikamente, die mit herkömmlichen Therapien konkurrieren und nicht immer einen deutlichen Mehrnutzen vorweisen können. Dies ist nach Aussage der Autoren insbesondere aus Kostengründen problematisch, schließlich sind Biotech-Medikamente deutlich teurer als andere Behandlungsoptionen.

Im Umweltbereich sehen die Autoren vor allem bei der Nutzung von Biokraftstoffen langfristig Potential sowie in der Verwendung biotechnologischer Verfahren in der Industrie. Hier kann die Biotechnologie erheblich zur Produktionseffizienz beitragen und gleichzeitig den Verbrauch an Energie und Wasser senken, so die Studie. Was die Nachhaltligkeit bei der Nutzung von gentechnisch veränderten Pflanzen angeht, greifen die Autoren auf Ergebnisse einer Studie aus Spanien zurück, die im Auftrag des spanischen Forschungsministeriums durchgeführt wurde und den Anbau von gentechnisch verändertem Mais (Bt-Mais) in verschiedenster Hinsicht über mehrere Jahre hinweg analysierte. Demnach wurden beim gv-Anbau durchschnittlich weniger Pestizide verbraucht, allerdings variieren die Effekte je nach Region.

Mangel an belastbaren Daten zur Auswirkung auf Wirtschaft

All diese Erkenntnisse lassen nach Ansicht der Autoren den Schluss zu, dass die Biotechnologie in Europa ihr Potential noch längst nicht ausgeschöpft hat und der oftmals herrschende Mangel an belastbaren Daten über die Auswirkungen der Biotechnologie in den verschiedensten Feldern nicht dazu beiträgt, das Vertrauen der Gesellschaft in diesem Bereich zu stärken.

Diese Kritik greift die Europäische Kommission in ihrem mid-term review zur europäischen Biotech-Strategie nun explizit auf, die die künftigen Aktionsfelder für die Regierungen in Europa benennt: Unter anderem sind alle EU-Mitgliedsstaaten in Zusammenarbeit mit Industrievertretern, der Statistikbehörde Eurostat sowie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aufgerufen, Vorschläge zu einer eu-weiten strukturierten Datenerhebung auszuarbeiten. Diese soll langfristig zu einer stärker faktenorientierten Diskussion um Risiken und Chancen der Biotechnologie beitragen und den Mangel an vergleichbaren Zahlen beheben.

EuropaBio mahnt rasche Umsetzung der neuen Biotech-Strategie an

Gleichzeitig mahnt die Kommission die Regierungen der einzelnen Länder an, kleine- und mittelständische Unternehmen gezielter als bisher zu unterstützen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu fördern – beispielsweise durch Steuervergünstigungen wie sie Frankreich mit dem Young Innovative Company (YIC)-Status gewährt. Darüber hinaus will die EU ihren Einfluss dahingehend wirken lassen, Patentierungen in den Biowissenschaften durch KMUs zu erleichtern. Explizit gefördert werden sollen zudem Ansätze, die akademische Forschung und Industrie stärker miteinander vernetzen. Der europäische Unternehmensverband EuropaBio begrüßt die Empfehlungen im Mid-term review, fordert allerdings von den Mitgliedsländern eine rasche Umsetzung. "Wenn sie nicht ernsthaft angegangen werden, haben uns die USA, China und Japan ziemlich schnell überholt", betont EuropaBio's Generalsekretär Johan Vanhemelreijck in einer Presseerklärung. Schließlich sei Europa zwar in der Forschung Spitze, doch ein rascher Transfer in den Markt werde durch die fragmentierte rechtliche, wirtschaftliche und finanzielle Situation in den 25 EU-Mitgliedsstaaten extrem behindert. "Es liegt in der Hand der Minister, hier die Unterschiede zu reduzieren und Kohärenz zu schaffen", sagt Vanhemelreijck. 

 

Daten und Fakten

Daten und Fakten zur Biotech-Branche in Deutschland

Um den Einfluss der Biotechnologie als Wirtschaftsfaktor zu bemessen, sind belastbare Daten aus den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten unerlässlich. Bisher existieren jedoch kaum international vergleichbare Zahlen für die einzelnen Ländern. Dieses Problem hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bereits im Jahr 2004 erkannt und die Vielzahl der existierenden Biotech-Definitionen harmonisiert. mehr

Auf der Basis dieser Richtlinien führt biotechnologie.de seit 2006 eine jährliche Umfrage durch, um verlässliche Zahlen für die deutsche Biotech-Branche zu erheben. Die neuesten Zahlen werden Ende Mai veröffentlicht. Mehr Informationen zu den Daten aus dem vergangenen Jahr gibt es hier


Landerfokus

Daten und Fakten zur Biotech-Branche in anderen EU-Ländern

Sie suchen nach Informationen über die Biotech-Branche in anderen europäischen Ländern? In unserer Rubrik "Länderfokus" finden Sie regelmäßig neue Dossiers zur Situation von Wissenschaft, Wirtschaft sowie politischen Regelungen in anderen Staaten oder Regionen der Europäischen Union.


Downloads

"Biotechnology for Europe - Contributions of modern biotechnology to European policy objectives" (in Englisch)

2007, Joint Research Centre (JRC) im Auftrag der Europäischen Kommission, Draft Final Version Download PDF (1,7 MB)

"Consequences, Opportunities and Challenges of Modern Biotechnology for Europe" (in Englisch)

2007, Joint Research Centre, Synthesisreport Download PDF (5,5 MB)