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Franz-Ulrich Hartl: Die Rolle der Anstandsdame unter den Eiweißen aufgeklärt

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Franz-Ulrich Hartl ist Direktor der Abteilung zelluläre Biochemie am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried. Quelle: MPI für Biochemie, Martinsried

31.03.2006  - 

Schmetterlinge und Einzeller standen bei Franz-Ulrich Hartl als Kind im Mittelpunkt seines Interesses. Stunden konnte er damit zubringen, sie zu präparieren oder unter dem Mikroskop zu betrachten. Heute ist Hartl Direktor der Abteilung Zelluläre Biochemie am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried und ein Experte in der Welt der Eiweiße. Dabei hat der 49-Jährige ein grundlegendes Rätsel gelüftet: Wie die für den Körper essentiellen langen Molekülketten in der Zelle eigentlich ihre dreidimensionale Form finden, um aktiv zu werden. Jetzt wurde er dafür mit dem 750.000 Euro dotierten Körber-Preis 2006 ausgezeichnet. 

Eiweiße sind die molekularen Arbeitstiere des Körpers – ohne sie würde kein Mensch überleben. Seit Wissenschaftler herausgefunden haben, dass es weitaus mehr Eiweiße als Gene gibt, ist man der Bedeutung und Funktion all dieser vielen Moleküle auf der Spur. Forscher wie Hartl wollen dabei verstehen, wie aus einzelnen, aneinandergereihten molekularen Bausteinen ein dreidimensionales, aktives Eiweißmolekül wird. Im Fachjargon wird dieser Prozess Proteinfaltung genannt und Hartl hat schon sehr früh entdeckt, das eine ganz besondere Sorte von Eiweißmolekülen – die Chaperone – dabei eine entscheidende Rolle spielen. „Chaperone sind eine Art molekulare Anstandsdame, die dafür sorgen, dass sich die langen Eiweißketten zur richtigen Struktur zusammenfalten“, beschreibt Hartl das Forschungsfeld, dem er sich bereits seit Jahrzehnten widmet.

Von der Medizin zur Biochemie

Für Forschung konnte sich der gebürtige Essener schon als Kind begeistern. Mit 13 Jahren brachte ihm sein Biologielehrer bei, wie man Insekten sammelt und ihr Vorkommen in verschiedenen Biotopen kartiert. „Ich war begeistert davon und zog immer wieder in die Wälder, um neue Insekten zu bekommen“, erinnert sich Hartl. Bereits relativ früh war deshalb für ihn klar, dass sich sein späterer Beruf zwischen Biologie und Chemie abspielen würde. Nach dem Abitur entschied sich Hartl dennoch zunächst für ein Medizinstudium in Heidelberg. „Ich wollte mich nicht so auf Biochemie festlegen, und damals war es auch einfacher, schon während des Medizinstudiums biochemische Kurse zu belegen“, sagt Hartl. Dabei kam er im Labor von Wilhelm Just das erste Mal mit der Analyse von Enzymen und Zellorganellen in Berührung und von da an war sein Weg vorgezeichnet. Nach seiner Promotion in Heidelberg, die er mit summa cum laude abschloss, ging Hartl ins Labor von Walter Neupert am Institut für Physiologische Chemie der Universität München, wo er sich schließlich intensiv mit der Faltung von Eiweißen beschäftigte.

Anfangs war nur klar, dass die Faltung ein elementarer Prozess ist, ohne den Eiweiße nicht aktiv werden können und man wusste, dass bei Temperaturerhöhungen vermehrt Chaperone gebildet werden – als Antwort der Zelle auf die Stresssituation. Inzwischen hat Hartl herausgefunden, wie der Faltungsprozess im Detail vor sich geht: In einem ersten Schritt wird die ungefaltete Eiweißkette durch die Chaperone stabilisiert, um eine Verklumpung zu verhindern. In einem zweiten Schritt verbindet sich dieser Eiweißkomplex mit einem Chaperon, das dann die richtige Faltung einleitet und umsetzt. Dies geschieht wiederum nicht nur durch eine einfache Anlagerung. „Bestimmte Chaperone bilden eine Art Käfig, in den die zu faltenden Eiweißketten eingesperrt werden“, erklärt Hartl. In diesem eingeschränkten Raum haben die Moleküle offenbar gar keine andere Wahl, als sich in der richtigen Weise zu falten. Für seine bahnbrechenden Arbeiten auf diesem Gebiet ist Hartl bereits mehrfach ausgezeichnet worden: 2002 erhielt er den Leibnizpreis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und gerade erst hat er den mit 750.000 Euro dotierten Körber-Preis erhalten.  

Karriere führt schließlich zum "heiligen Grahl der Biochemie"
Wenn der Wissenschaftler zurückblickt auf seinen Werdegang, dann ist er vor allem froh, die richtigen Leute getroffen zu haben. „Ich bin Walter Neupert sehr dankbar, weil ich durch ihn schon in jungen Jahren eine Arbeitsgruppe leiten konnte und dadurch viele Fortschritte erreichte“, sagt Hartl heute. Damals legte er die Basis für eine ansehnliche Karriere: Nach der Habilitation in München ging Hartl Anfang der 90er Jahre ans Sloan Kettering Institute in New York. Zuvor hatte er auch Angebote aus Harvard, Berkeley und Princeton. „Ehrlich gesagt, hätte ich auch gut in den USA bleiben können, doch dann kam im Jahr 1997 auf einmal das Angebot vom MPI für Biochemie in Martinsried, eine eigene neue Abteilung zu leiten – und das konnte ich nicht ausschlagen“, erinnert sich Hartl. Schließlich hatte ihn das MPI schon während seiner Doktoranden- und Postdoktorandenzeit fasziniert: „Das war für uns Biochemiker der heilige Grahl.“

Chaperone für Medikamente nutzen
Gemeinsam mit seiner Frau, die ebenfalls als Biochemikerin arbeitet, kam er schließlich nach Deutschland zurück – und beschränkt sich inzwischen nicht nur auf die reine Grundlagenforschung. Im Moment ist er der Bedeutung der Chaperone für die Entwicklung neuer Medikamente auf der Spur. „Bei vielen neurodegenrativen Krankheiten wie Alzheimer oder Chorea Huntington spielt eine gestörte Eiweißfaltung eine entscheidende Rolle, möglicherweise weil die Aktivität von Chaperonen im Alter generell nachlässt oder den Patienten diejenigen fehlen, die für eine richtige Faltung sorgen“, erläutert er. Wenn man gezielt in diesen Prozess eingreifen würde – etwa durch ein Medikament, das die Menge der Chaperone in einer bestimmten Umgebung erhöht – dann könnte die Faltung womöglich verbessert und steuerbar sein. Zusammen mit Erich Wanker vom Max-Delbrück-Zentrum für molekulare Medizin in Berlin hat Hartl einen solchen Wirkstoffkandidaten für Chorea Huntington identifiziert, um die Verklumpung von Eiweißmolekülen im Gehirn zu verhindern.

Sammelleidenschaft Rotwein

Als Kollege versucht Hartl, das Miteinander so wenig hierarchisch wie möglich zu gestalten und auch als Chef stets ein offenes Ohr zu haben. „Die Wissenschaft verlangt eine hohe Selbstmotivation, daher muss die Atmosphäre stimmen, sonst ist man nicht produktiv“, davon ist er überzeugt. Für krititische Diskussionen sind aber nicht nur die direkten Arbeitskollegen, sondern auch seine Frau und Mitarbeiterin zuständig. „Kollegen sind ja mitunter auch gehemmt, gegenüber dem Chef kritische Punkte anzusprechen, sie aber nimmt kein Blatt vor den Mund“, sagt er. So mancher Abend endet deshalb bei einer fachlichen Diskussion, am liebsten bei einem guten Glas Rotwein. Diese Leidenschaft teilt Hartl mit seiner Frau und gemeinsam haben sie sich mit ihrer Sammelleidenschaft bereits einen ansehnlichen Weinkeller aufgebaut. Ein anderes Hobby – das Musizieren mit Querflöte und Klavier – musste gegenüber der Wissenschaft jedoch etwas zurückstecken. „Es macht mir immer noch Spaß, am Klavier zu sitzen, aber bei einer kleinen Bach-Fuge stoße ich inzwischen an die Grenzen meiner Möglichkeiten.“

 

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