BASF gibt Grüne Gentechnik in Europa auf

Der Limburgerhof ist der deutsche  Hauptstandort der BASF-Pflanzenbiotechnologie-Sparte Plant Science. Nun hat der Konzern entschieden, seine Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten nahezu komplett in die USA. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Der Limburgerhof ist der deutsche Hauptstandort der BASF-Pflanzenbiotechnologie-Sparte Plant Science. Nun hat der Konzern entschieden, seine Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten auf deutschen Böden zu stutzen und nahezu komplett in die USA zu verlagern. Quelle: BASF

18.01.2012  - 

Europa ist kein guter Markt für die Grüne Gentechnik. Mit dieser Begründung verlagert der Chemiekonzern BASF die Zentrale seiner  Pflanzenbiotechnologiesparte Plant Science aus Deutschland nach Raleigh, North Carolina (USA). Die Unternehmensleitung begründete den Schritt mit der fehlenden Akzeptanz der Pflanzenbiotechnologie in Europa. „Mit dem Gentech-Saatgut lässt sich aktuell in Deutschland kein Geld verdienen“, sagte der zuständige BASF-Vorstand Stefan Marcinowski. Plant Science wolle sich auf die „attraktiven Märkte in Nord- und Südamerika und die Wachstumsmärkte in Asien“ konzentrieren. In Deutschland verbleibt nur die Grundlagenforschung, die von der Konzerntochter Metanomics in Berlin durchgeführt wird. Von den Schließungen in der Versuchsstandorte in Gatersleben und Limburg und dem schwedischen Svalöv sind nach Firmenangaben bis zu 157 Arbeitsplätze betroffen.

BASF folgt damit dem Beispiel der Unternehmen Syngenta und Bayer, die bereits 2004 ihre Feldversuche auf deutschen Äckern eingestellt haben. Wie auch bei den beiden Wettbewerbern macht BASF-Vorstand Marcinowski die schlechten Rahmenbedingungen und die fehlende Akzeptanz für die Grüne Gentechnik in Europa für den Exodus verantwortlich. Erst im April des vergangenen Jahres zerstörten Gentechnik-Gegner Versuchsanlagen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt (mehr...).

Stellungnahmen

BASF-Ankündigung im Wortlaut: hier klicken

Verband Biologie, Biotechnologie und Biowissenschaften (VBIO): hier klicken

Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter: hier klicken

Greenpeace: hier klicken

Raus aus den Kartoffeln

Nicht nur von Umweltaktivisten, Verbrauchern und Landwirten, auch aus der Politik erhält die Grüne Gentechnik Kontra: Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) hatte 2009 den Anbau der gv-Maissorte MON810 der Firma Monsanto in Deutschland verboten (mehr...), durch eine EU-Regelung können die einzelnen EU-Länder unabhängig von der Sicherheitsbewertung Anbauverbote aussprechen (mehr...). Das Bundesverfassungsgericht stufte die Grüne Gentechnik 2010 als Hochrisikotechnologie ein. Das EU-Genehmigungsverfahren für die BASF-Stärkekartoffel Amflora zog sich über 13 Jahre hin (mehr...). Auch Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) hatte sich für die Genehmigung eingesetzt. Bei den Landwirten kam Amflora schlechter an:  zuletzt wurde die Industriekartoffel auf gerade einmal zwei Hektar angebaut.

Mehr Aufwand als Nutzen, entschied der BASF-Vorstand jetzt. Mit dem Rückzug aus Europa werden auch Entwicklung und Vermarktung der BASF-Kartoffel abgebrochen, ebenso wie die der Nachfolgeprodukte Amadea und Modena. Alle drei waren eigens für den europäischen Markt entwickelt worden – in Südamerika und Asien wird statt Kartoffeln eher Mais zur Stärkegewinnung genutzt. Die laufenden Zulassungsprozesse für andere gv-Pflanzen will BASF jedoch weiter verfolgen, um sich mögliche Marktpositionen in der Zukunft zu sichern. „Den einen oder anderen Freilandversuch wird es also noch geben“, sagte Marcinowski.

Seinen Angaben zufolge hat BASF bisher insgesamt 1,2 Milliarden Euro in die Entwicklung von gv-Pflanzen gesteckt, eine „zweistellige Millionensumme“ allein in die Entwicklung von Amflora. Wie bereits im Dezember bekannt wurde, räumt Marcinowski selbst seinen Vorstandsposten und geht kommenden Mai in den vorzeitigen Ruhestand. Gerüchte, dieser Schritt hänge mit dem Scheitern des BASF-Gentech-Programms und dem Abzug der Sparte aus Europa zusammen, wies er jedoch zurück.

Wachstumsmärkte für die Grüne Gentechnik

In Südamerika und Asien wird die Biotechnologie durch massive staatliche Förderung vorangetrieben. Grüne Gentechnik gilt dort als Zugpferd der aufstrebenden Industrienationen. In einem Dossier stellt biotechnologie.de die drei aktivsten Länder vor:

Länderdossier Brasilien

Länderdossier China

Länderdossier Indien

Emotionen statt Forschung

Branchenverbände und Wissenschaftler reagierten bestürzt auf den Konzernrückzug.  Die deutsche Industrievereinigung Biotechnologie (DIB) bezeichnet die Entscheidung jedoch als vorhersehbar. „Da in Deutschland und Europa Freisetzungen und Anbau von gv-Pflanzen aus ideologischen oder politischen Gründen seit vielen Jahren verhindert werden, ziehen die Biotechnologieunternehmen früher oder später ihre Konsequenzen“, sagte DIB-Präsident Ricardo Gent.  Als „beunruhigendes Signal für den Forschungs- und Wissenschaftsstandort Deutschland“ bezeichnet der Verband Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland (VBIO) den BASF-Rückzug. Die Entscheidung des Konzerns bedeute nicht nur den Verlust von Arbeitsplätzen, sondern auch eine „eher unbemerkte Abwanderung exzellenter Wissenschaftler“, Nachwuchskräfte und Forschungsprojekte. Die schlechten Bedingungen für die Pflanzenbiotechnologie in Deutschland sind laut VBIO-Präsident Wolfgang Nellen „volkswirtschaftlich ein Unding.“

Auch in der FDP hält man den Rückzug des Unternehmens für ein „hoch alarmierendes Zeichen“. Die Politik habe „tatenlos zugesehen, wie sich hierzulande eine wissenschafts- und wahrheitsfeindliche Diskussionsströmung breit gemacht“ habe, so die FDP-Abgeordnete Christel Happach-Kasan. Die gentechnikfeindliche Stimmung in Deutschland wird auch von anderer Seite beklagt. „Emotionale Entscheidungen werden höher bewertet als jahrzehntelange Erfahrung und umfangreiche Sicherheitsforschung“, kommentiert die Gesellschaft für Genetik. „Ich frage mich, wie viel Innovationsfeindlichkeit wir uns in Deutschland noch leisten können“, so der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter, Carl-Stephan Schäfer.

Magere Ernte: Für die Stärkekartoffel Amflora kämpfte sich BASF durch 13 Jahre Genehmigungsverfahren. In Deutschland wurden nur zwei Hektar angebaut.Lightbox-Link
Magere Ernte: Für die Stärkekartoffel Amflora kämpfte sich BASF durch 13 Jahre Genehmigungsverfahren. In Deutschland wurden nur zwei Hektar angebaut.Quelle: BASF
Fehlinformation der Verbraucher

In der Politik wird aber auch die Öffentlichkeitsarbeit des Konzerns gegenüber den Anti-Gentechnik-Kampagnen der Umweltverbände kritisiert. BASF habe „zu wenig getan, um den Nutzen und die Notwendigkeit solcher Forschung für die Menschen deutlich zu machen“, formuliert der Bundestagsabgeordnete Franz-Josef Holzenkamp (CDU). Statt Rückgrat zu zeigen, sei man vor einer öffentlichen Meinung zurückgeschreckt, die auf fehlender oder falscher Information basiert habe, sekundiert FDP-Politikerin Happach-Kasan.

Zustimmung erntet die Entscheidung hingegen bei den Umweltverbänden. Der Schlussstrich der BASF sei „ebenso konsequent wie unternehmerisch sinnvoll“, heißt es bei Greenpeace. Dirk-Zimmermann, Gentechnik-Experte der Organisation, hofft, dass BASF damit „eine Vorreiterrolle unter den Biotech-Konzernen einnehmen wird.“ Die Grüne Gentechnik sei „keine Zukunftstechnologie.“ Ähnlich sehen es mehrere Grünen-Politiker, darunter die Vizefraktionsvorsitzende Bärbel Höhn: „Ihr wichtigstes Produkt, die Gentechnik-Kartoffel Amflora, ist ein Flop“, sagte die Grünen-Abgeordnete. „BASF und Co. haben die ganzen Jahre lang am europäischen Markt vorbei geforscht“, argumentiert auch Ralf Bilke von der Umweltschutzorganisation BUND, und plädiert dafür, auch alle anderen gv-Lebensmittel aus den Kaufhausregalen zu entfernen. „Die Verbraucher müssen ganz vor der Grünen Gentechnik geschützt werden.“

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Dass es soweit kommt, ist jedoch wenig wahrscheinlich: Nach den Zahlen der Gentech-Industrievereinigung ISAAA beträgt die Anbaufläche von gv-Pflanzen derzeit mehr als 150 Millionen Hektar, und wächst jährlich um zehn Prozent (mehr...). „Das Geschäft mit gentechnisch verändertem Saatgut bedient weltweit eine sehr große Nachfrage, wir machen 28 Prozent unserer Umsätze damit – nur eben nicht in Deutschland“, sagt Sabine Michalek von der Saatgutfirma KWS. Das Traditionsunternehmen aus dem niedersächsischen Einbeck wird mit dem BASF-Rückzug zum Marktführer in der Pflanzenbiotechnologie in Deutschland. In diesem Jahr will es einen Feldversuch mit Zuckerrüben der Sorte „Round Up“ starten. Auch die Grundlagenforschung in der Pflanzenbiotechnologie geht weiter. In Deutschland verbleibt die BASF-Tochter Metanomics. Die in Berlin ansässige Firma hat analytische Methoden entwickelt, um den Stoffwechsel der Pflanzen zu untersuchen und damit interessante Merkmale für die Pflanzenzucht zu finden.  

Als Futtermittel für europäische Masttiere und in Form importierter Baumwollwaren nutzen europäische Verbraucher durchschnittlich mehr als 60 Kilogramm gv-Früchte pro Jahr. Entwicklungsforscher kritisieren inzwischen, dass Europa zum weltgrößten Nahrungsmittelimporteur heranwächst. Die dafür nötigen Ackerflächen in den Schwellenländern fehlen für die Ernährung der einheimischen Bevölkerung. „Jährlich importiert die EU 30 Millionen Tonnen gv-Pflanzen an Futtermitteln“, sagt BASF-Vorstand Marcinowski. Dass die Grüne Gentechnik trotzdem in Europa so wenig akzeptiert sei, „ist schizophren, aber Realität.“

© biotechnologie.de/ck

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