Modelle simulieren Alzheimer-Stoffwechsel
07.12.2010 -
Die Alzheimer-Demenz ist eine tückische Krankheit: Sie führt schleichend zu einem immer weitergehenden Verlust der kognitiven Fähigkeiten. Bereits Jahre bevor sich Symptome wie Gedächtnisstörungen oder der Verlust altbekannter Fertigkeiten zeigen, kommt es zu Veränderungen im Gehirn der Betroffenen. Die molekularen Grundlagen der Demenz sind erst in groben Zügen verstanden. Bioinformatiker um den Heidelberger Rainer König wollen das jetzt ändern. Sie haben Computermodelle entworfen, mit denen sich Stoffwechselwege zwischen verschiedenen Nervenzelltypen im Gehirn vorhersagen lassen. Gefördert wurden die Forscher durch das Nationale Genomforschungsnetz des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).
Die häufigste Form der Alzheimer-Erkrankung tritt erst nach dem 65. Lebensjahr auf. Nach Schätzungen der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft leben gegenwärtig etwa 1,2 Millionen Demenzkranke in Deutschland; etwa 800.000 von ihnen sind von der Alzheimer-Krankheit betroffen. Hierzulande wird Jahr für Jahr bei 300.00 Menschen erstmals eine Demenz des Alzheimer-Typs diagnostiziert. Die Zahlen zeigen: Neurodegenerative Erkrankungen wie die Alzheimer-Krankheit sind ein Volksleiden. Trotzdem sind ihre Ursachen noch immer nicht komplett verstanden.
NGFN-Plus |
In NGFN-Plus erweitern die Forscher in 26 Genomverbünden das grundlegende Verständnis molekularbiologischer und krankheitsrelevanter Prozesse von Volkskrankheiten unter klinischer Ausrichtung. Die Arbeitsgruppe von Rainer König ist eine von ihnen. zum NGFN: hier klicken zur Arbeitsgruppe von Rainer König: hier klicken |
Bekannt ist, dass es bei Alzheimerpatienten in bestimmten Hirnarealen zu massenhaftem Zelltod kommt. Jedoch sterben nicht alle Zellen gleichmäßig, vielmehr sind bestimmte Zelltypen empfindlicher und gehen früher unter als andere. Experten unterscheiden Nervenzellen im Hirn anhand des Botenstoffs, mit dem die Zelle Informationen an ihre Nachbarn überträgt. Beispiele für solche Transmitter sind GABA, Acetylcholin oder Glutamat. Untersuchungen an Alzheimerpatienten konnten zeigen, dass vor allem Nervenzellen, die Nachrichten mit Glutamat weitergeben, früh absterben, während GABA-Neurone erst später untergehen. Wie sich die unterschiedlichen Zellen gegenseitig beeinflussen und welche Veränderungen im Stoffwechsel durch den Zelltod verursacht werden, haben Forscher um König nun in Computermodellen simuliert.
Bei Alzheimer ist Energiestoffwechsel stark vermindert
Der Systembiologe König leitet eine Forschergruppe, die sowohl an der Universität Heidelberg als auch am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) beheimatet ist.
Gemeinsam mit amerikanischen Kollegen hat er drei Modelle entwickelt, mit denen sich Stoffwechselwege verschiedener Nervenzelltypen innerhalb des Hirns vorhersagen lassen. Wie die Forscher im Fachmagazin Nature Biotechnology berichten, umfassen die Modelle die Produkte von etwa 400 Genen (mehr...). König simulierte jeweils eine Nervenzelle, die entweder Acetylcholin, Glutamat oder GABA als Botenstoff nutzt. „Besonders spannend ist, dass unser Modell bekannte Phänomene bestätigt und wir außerdem neue Schlüsse ziehen können, die relevant für die Erkrankung sind“, erklärt König.
Die neuen bioinformatischen Modelle konnten zeigen, dass nicht alle Nervenzelltypen gleichermaßen von den verheerenden Folgen der Alzheimer-Krankheit betroffen sind. So scheinen auch Eiweiße aus dem Energiestoffwechsel eine besondere Rolle zu spielen.
Aus klinischen Daten wussten die Forscher, dass die Aktivität eines solchen Eiweißes, der α-Ketoglutarat-Dehydrogenase, bei Alzheimer-Patienten besonders niedrig ist. Wenn Ralf König dieses Enzym im Computermodell abschaltete, war das Ergebnis vergleichbar: Glutamat- und cholinhaltige Neurone zeigten eine deutlich verringerte Stoffwechselrate, ein Zeichen für den drohenden Zelltod. Die GABA-haltigen Neurone wiederum waren kaum betroffen, ihre Stoffwechselrate blieb normal. Eine Erklärung für dieses Phänomen fanden die Forscher, als sie sich die Stoffwechselwege der einzelnen Zelltypen genauer anschauten. GABA-haltige Neurone enthielten ein Eiweiß mit dem Namen Glutamat-Decarboxylase (GAD). Offenbar schützt seine Aktivität die GABA-Neurone. Diese These konnten die Wissenschaftler durch experimentelle Daten belegen: In besonders geschädigten Hirnregionen verstorbener Alzheimer-Patienten konnten sie nur geringe GAD-Mengen nachweisen.
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Computermodelle sollen eines Tages Therapieansätze liefern
Indem Neurowissenschaftler weltweit immer ausgefeiltere Experimente entwerfen, können sie die durch die Demenz verursachte Veränderungen immer präziser messen. Forscher wie König können solche Daten nutzen, um die Computermodelle immer weiter zu verbessern und so immer genauere Vorhersagen zur Krankheitsentwicklung zu liefern. Je feiner verschiedene Zelltypen und Hirnregionen im Modell aufgeschlüsselt werden können, umso größer ist der Nutzen solcher Modelle. Deswegen fördert das BMBF die Arbeit der Bioinformatiker durch das Nationale Genomforschungsnetz (NGFN). In dem seit 2001 laufenden Programm wurden bereits viele Genomforscher unterstützt. Die Arbeitsgruppe um König erhält Fördergelder für die Forschung an bestimmten Hirntumoren. Deswegen ist die Modellierung der Alzheimer-Erkrankung für ihn letztlich nur ein erster Schritt. Seine Hoffnung: Was jetzt beispielhaft an der Alzheimer-Demenz demonstriert wurde, sollte so auch bei ganz anderen Aufgabengebieten funktionieren. Die Modelle könnten dann auch zur Vorhersage von Medikamentenwirkungen oder Krankheitsverläufen genutzt werden.